Im prächtigen Kaisersaal des Hamburger Rathauses hatten Mareile Kirsch und zwei ihrer Mitstreiter fast zwei Stunden Zeit, ihre Sicht auf das Abitur nach acht Jahren, das G8, zu schildern. Weil das G8 ihrer Ansicht nach so katastrophale Folgen hat, kämpft Mareile Kirsch für die flächendeckende Wiedereinführung des G9-Abiturs in Hamburg, zusätzlich zum kürzeren, sogenannten Turbo-Abi.
"G8 ist als eine gescheiterte Reform, nicht nur von Eltern, sondern auch von Schulexperten bezeichnet und erkannt. Das heißt, wir sollen in ein gescheitertes Tempo gezwungen werden oder eine Schule wählen, die nicht unsere erste Wahl ist, wo es nämlich das G9 gibt."
Die Schulen, die für Mareile Kirsch nicht erste Wahl sind, sind die Hamburger Stadtteilschulen. Dort können die Schüler ihr Abitur nach neun Jahren machen. Aber diese Stadtteilschulen sind eben mit einem Gymnasium nicht vergleichbar, so Kirsch, genauso wenig wie die Abschlüsse der beiden Schulformen:
"Das ist keine echte Wahlfreiheit. Wir wollen, so ist es im Zwei-Säulen-Modell vorgesehen, die freie Wahl zwischen zwei Schulformen haben und nicht die Wahl zwischen zwei Geschwindigkeiten. Das ist der Unterschied. Wir haben zwei gleichberechtigte Schulen, die aber nicht gleich sind. Und deswegen möchten wir uns für die Schule entscheiden können, die wir wollen und nicht in ein Tempo gezwungen werden, was wir nicht wollen."
Dieses Tempo, so Kirsch vor den Bürgerschaftsabgeordneten des Verfassungsausschusses, führe bei den Schülern zu massiver Überforderung, zu Depressionen, die oft nur noch stationär behandelt werden können. Das G8 sei zu kurz, um auf ein Hochschulstudium vorzubereiten, der Spaß am Lernen, die kritische Reflexion würden verloren gehen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe hörte sich Kirschs Argumente an. Und ja, auch er stimmt zu, dass das G8 und auch der Unterricht an den Stadtteilschulen verbesserungswürdig sind.
"Zweifellos muss man an allen Schulen weiter verbessern und weiterkommen. Aber wenn etwas nicht rund läuft, bedeutet es nicht, dass man das gesamte System wieder auf den Kopf stellt. Wenn mein Auto nicht richtig fährt, dann überlegt man auch, ob man es reparieren kann und nicht, ob man es wegschmeißt mit den vielen Problemen, die damit zusammenhängen. Es macht keinen Sinn, bei jeder guten Idee zu sagen: Das machen wir jetzt. Und dann in der Durchführung zu merken, was alles an Problemen da dran hängt. Und genau das ist heute angesprochen worden und wieder nicht gelöst worden."
Viele Jahre würde die Wiedereinführung des G9 an den Gymnasien dauern, viele Gelder verschlingen, so der Senator. Das Projekt sei eben nicht, wie von Mareile Kirsch behauptet, in einem halben Jahr zu stemmen. Belegungspläne müssten überarbeitet und alle Neubauplanungen revidiert werden, so Rabe. Wie die Umstellung en Detail ablaufen soll, ob dann aus Ganztagsgymnasien wieder Halbtagsschulen werden, das konnten die Initiatoren des Volksentscheids den Ausschussmitgliedern nicht abschließend erklären. Das sei – nach einem erfolgreichen Volksentscheid - Sache der Politik, so Kirsch und ihre Mitstreiter. Klar wurde, dass alle Parteien in der Hamburgischen Bürgerschaft die Pläne der Initiative ablehnen. Nach den Streitereien um die Einführung der Primarschule 2005 und dem erfolgreichen Volksentscheid dagegen solle der verabredete Schulfrieden eingehalten werden, die bestehenden Modelle bleiben und verbessert werden. Eine Einigung mit der Initiative wird es wohl kaum geben, der Volksentscheid wird kommen. Uneins über den Sinn des neuen Volksentscheids waren die Schülerinnen und Schüler, die gestern Abend die Anhörung verfolgten:
"G8 ist wirklich eine Schnapsidee gewesen. Ich bin auch der Meinung, dass es den Schülern nichts bringt. Es ist mehr Arbeit, es ist alles gedrängt und es bleibt einfach nicht viel hängen. Es ist mir immer noch nicht deutlich, warum die Eltern diese Initiative gestartet haben. Die Wahlmöglichkeit, die ja besteht in unserem Schulsystem, warum sie diese Wahlmöglichkeit nicht nutzen wollen und noch innerhalb des Gymnasiums eine Wahlmöglichkeit etablieren möchten."