Markus Dichmann: Gerade haben wir Ihnen hier von jungen Flüchtlingen erzählt, die zu uns nach Deutschland kommen, hier Deutsch lernen, die Schule besuchen, Berufsvorbereitungskurse machen und dann mit viel Glück vielleicht eine Berufsausbildung finden. Was aber, wenn der Wissensdurst dann noch nicht gestillt ist, wenn man jetzt zum Beispiel sich noch ein bisschen Know-how aus den Ingenieurswissenschaften, aus der Physik, der Chemie oder ein anderes Fach draufschaffen will – das gilt natürlich nicht nur für junge Flüchtlinge.
Solches Wissen für jeden überall abrufbar zu machen, daran arbeiten aktuell sechs Hamburger Hochschulen und nennen das ganze Hamburg Open Online University, die offene Online-Universität. 3,7 Millionen Euro stellt dafür auch der Hamburger Senat zur Verfügung, für diese Idee, die sich noch in der Entwicklung befindet.
Einer, der da mitarbeitet an der offenen Online-Uni, ist Sönke Knutzen, Vizepräsident für Lehrer an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, und ich habe ihn gefragt, ob ich mich eigentlich für die Online-Hochschule noch bewerben muss, ob ich eigentlich eingeschriebener Student einer Universität sein muss oder ob die Open Online University wirklich so offen ist, wie der Name suggeriert.
"Universitäten können eine andere Rolle in der Gesellschaft einnehmen"
Sönke Knutzen: Sie ist so offen, wie der Name suggeriert, man kann Student sein, man muss es aber nicht sein. Wir wollen die Hochschule öffnen für alle, weil ich glaube, dass Universitäten eine andere Rolle in der Gesellschaft einnehmen können. Ich halte für wichtig, dass jeder Zugang zu akademischen Inhalten haben kann, ohne unbedingt vier oder fünf Jahre seines Lebens an der Uni verbringen zu müssen.
Dichmann: Aber jetzt per Online-Plattform Vorlesungen, Paper, Übungen, ganze Bücher und so weiter online zu stellen und dann die Leute aber damit irgendwie sich selbst zu überlassen – ist das so was Neues oder, ich meine, sowas gibt es doch eigentlich schon noch und nöcher.
Knutzen: Ja, sowas gibt es noch und nöcher und gibt es ja auch schon weit vor dem Internet, wenn man an die Tele-Tutoren denkt der 70er-Jahre. Nein, wir wollen was ganz anderes machen: Insgesamt haben die Hochschulen ja versucht, einen großen Wechsel zu machen, weg von der lehrorientierten Lehre hin zum Lernen, also zum lernorientierten, und was wir machen wollen, ist, das ins Internet übersetzen.
Was man in Amerika in den letzten Jahren viel gesehen hat, sind ja diese Massive Open Online Courses, das sind mehr oder weniger Vorlesungen, die ins Internet gestellt worden, wozu man Übungen machen kann. Was wir machen wollen, ist eher projektbasiertes Lernen ins Internet zu bringen. Das heißt, man wird nicht alleine gelassen, sondern man arbeitet an Projekten und man arbeitet in Gruppen und im Idealfall auch durch Mentoren oder Tutoren betreut.
"Ein Problem ist die Qualitätssicherung"
Dichmann: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn Studierendenvertreter in Hamburg, Herr Knutzen, die äußern schon den Verdacht, dass durch diese digitale Plattform an Lehrpersonal gespart werden soll.
Knutzen: Wahrscheinlich wird das Gegenteil der Fall sein. Also vielleicht mal vorweg: Wir haben mit diesem Projekt überhaupt nicht vor, die Präsenzlehre an Universitäten einzuschränken oder zu ersetzen – wenn überhaupt, zu ergänzen –, auf keinen Fall zu ersetzen, insofern ist die Befürchtung der Studenten vielleicht nachvollziehbar, aber in diesem Fall ganz unbegründet.
Wir versuchen eher über vielleicht auch interdisziplinäre Dinge, das, was man üblicherweise an Universitäten macht, viel spannender und abwechslungsreicher zu machen und eben auch so, wie man es von einer modernen Gesellschaft erwartet.
Dichmann: Okay. Also ich stelle mir das jetzt so vor: Es steht praktisch alles zur Verfügung, was die akademische Welt zu bieten hat und jeder kann mit daran arbeiten, mitkreieren, mitforschen, egal ob Studierender, Nicht-Studierender, Forscher, Nicht-Forscher. Kriegen wir da nicht a – fangen wir damit mal an – urheberrechtliche Probleme?
Knutzen: Doch, ja, kriegt man. Also was heißt kriegt man – man muss sie halt lösen. Wir haben ja im Prinzip zwei große Probleme: Das eine Problem ist, wie stellt man Inhalte eigentlich offen zur Verfügung und welche Inhalte können das sein. Das eine Problem hatten Sie schon angesprochen, das Urheberrecht. Das andere Problem ist natürlich auch Qualitätssicherung. Wir müssen natürlich immer drauf aufpassen, dass die Elemente, die zur Verfügung gestellt werden, erstens tatsächlich frei sind.
Dafür gibt es ein Lizenzmodell, das sind die sogenannten Open Educational Resources, also tatsächlich freilizensierte Elemente, die zum Zweck der Lehre auch frei verwendet werden können und auch erstellt und bearbeitet werden können. Jetzt hat man das zweite Problem, nämlich Qualitätssicherung. Irgendjemand muss aufpassen, dass das, was bearbeitet wird, auch tatsächlich wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
"Der Zeitpunkt ist jetzt richtig"
Dichmann: Ganz genau, sonst sind wir nämlich schnell bei einem, ich nenne das jetzt mal Wikipedia-Problem – jeder stellt da rein, was er für richtig hält.
Knutzen: Ja, obwohl Wikipedia das unter dem Strich durch eine sehr, sehr große Community sehr gut macht. Sie werden zumindest bei eingeschwungenen Einträgen kaum noch große Fehler finden, sondern eher in den Anfangsphasen von neuen Einträgen. Das ist aber was, was wir hier nicht unbedingt machen wollen, sondern die Qualitätskontrolle wird bei den Universitäten liegen.
Dichmann: 3,7 Millionen Euro, habe ich vorhin schon erwähnt, investiert der Hamburger Senat jetzt in eine Pilotphase. Das ist ja eine ordentliche Summe, da scheint es also einen Willen zu geben, die Open Online University wirklich nach vorne zu bringen. Glauben Sie wirklich, dass das reicht, damit das Projekt, die Idee richtig abheben kann?
Knutzen: Für den Dauerbetrieb sicherlich nicht. Wir sind jetzt in einer Anfangsphase, das heißt, wir versuchen als Hamburger ... Also es sind alle öffentlich finanzierten Hamburger Hochschulen dabei, das ist ja schon mal eine großartige Sache, und wir versuchen, uns dem zu stellen, was die Herausforderung gerade ist, nämlich, was heißt eigentlich Digitalisierung und was heißt das Internet für Universitäten.
Was das am Ende sein wird, das kann man jetzt noch gar nicht genau sagen. Ich glaube nur, dass es wichtig ist, diesen Moment jetzt nicht zu verpassen. Ich glaube, wenn – und das glaubt der Senat auch –, wenn man jetzt nicht dabei ist, die richtigen Schritte zu gehen, die richtigen Entwicklungen zu machen, dann verpasst man den Anschluss. Deswegen ist der Zeitpunkt jetzt richtig.
"Sowas kann die Gesellschaft verändern"
Wir werden sehen, was dabei rauskommt. Wenn, egal, was dabei rauskommt, wird es teurer werden als die 3,7 Millionen. Also wenn wir einen Betrieb machen, der wirklich – wie Sie es angedeutet haben – für die Öffentlichkeit, vielleicht auch international, für Flüchtlinge, vielleicht berufs- oder akademisch vorbereitend sein soll, wenn der all das abdeckt, dann ist das natürlich – ich hatte schon gesagt, wir haben ein Lernverfahren im Kopf, was eben projektbasiert ist und was eben auch tutoriell betreut ist –, dann ist das viel Betreuungsaufwand und viel Personalaufwand, das wird mit Sicherheit teurer. Ich glaube aber auch, dass sowas die Gesellschaft verändern kann.
Dichmann: Darauf wollte ich zum Abschluss Sie noch mal ansprechen, Herr Knutzen: Also bei Ihnen steckt letzten Endes die Überzeugung, dass es eine Community dafür auch gibt, also dass wir in einer Wissensgesellschaft, einer Informationsgesellschaft angekommen sind, die das auch wirklich nutzen wird.
Knutzen: Absolut, ja, absolut. Ich glaube, wir haben ja ganz, ganz viele Probleme auf der Welt, von denen wir gar nicht genau wissen, wie wir sie lösen sollen, also auch die Universitäten wissen es erst mal nicht alleine, und auf viele Lösungen – und das wird ja zukünftig viel, viel mehr werden – wird man nur kommen, indem man über Grenzen hinweg über Dinge nachdenkt.
"Es wird eine riesige Community geben"
Also einige Fragen, die einen so umschwirren können, wie kriegt man das Hungerproblem der Welt in den Griff, wie kriegen wir den Müll aus den Meeren, wie löst man das Hygieneproblem in Krankenhäusern in Afrika, um vielleicht Ebola weiter einzudämmen, wie – was weiß ich. Es gibt viele, viele Themen, wo jetzt keiner eine genaue Antwort hätte und wo man wahrscheinlich aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen und am besten auch interkulturell drauf gucken sollte, und das ist ein bisschen die Idee. Also ich glaube, es wird eine riesige Community geben, wenn man es gut anstellt.
Dichmann: Sagt Sönke Knutzen, Vizepräsident für Lehre an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Wir haben mit ihm über die Open Online University gesprochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.