Leichter Nieselregen, morgens früh um kurz vor acht vor der Talmud-Thora-Schule im Hamburger Grindelviertel. Die Schulkinder drücken den Klingelknopf am Stahltor, begrüßen den Wachmann am Eingang, verschwinden im Gebäude. Das Außengelände ist videoüberwacht. Drinnen hängt ein Bild von der 1939 abgerissenen Neuen Synagoge am Bornplatz, gleich neben dem Schulgebäude:
"Das Gebäude war sehr imposant, ein großer Bau, der Selbstbewusstsein ausstrahlen sollte und der praktisch das Zentrum der Aufmerksamkeit der Hamburger Juden seinerzeit war. Die Kuppel, 40 Meter, hoch, die war ein Statement."
Reiches jüdisches Leben in Hamburg
Das erklärt Philipp Stricharz, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Erbaut aus rotem Ziegelstein, mit großen, runden Rosettenfenster, wurde das Gotteshaus 1906 eingeweiht. In der Pogromnacht wurde die Synagoge schwer beschädigt. Ein Jahr später abgerissen. Auf Anweisung der Stadtverwaltung, auf Kosten der jüdischen Gemeinde.
Draußen, auf dem benachbarten Joseph-Carlebach-Platz, zeichnen in den Boden eingelassene schwarze Pflastersteine die Grundlinien des Kuppeldachs nach. Daneben ragt ein Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in den grauen Himmel. – Der Wiederaufbau der Synagoge wurde zwar schon früher immer wieder mal diskutiert. Seit dem antisemitischen Anschlag von Halle hat diese Debatte aber Fahrt aufgenommen:
"Es ist sehr tatsächlich Frage, wie reagiert man auf den Anschlag und eigentlich auf die das ganze Thema Antisemitismus, so dass man keine Angst ausstrahlt, sondern im Gegenteil sagt: "Das Judentum ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist normal."
Wiederaufbau als Zeichen
Mittlerweile stehen 600.000 Euro aus dem Bundeshaushalt für eine Machbarkeitsstudie zur Verfügung. Alle Parteien in der Hamburgischen Bürgerschaft unterstützen das Projekt. Wie der Neubau am Ende aussehen könnte, welche Dimensionen er haben wird, ist aber noch nicht geklärt. Der Hochbunker, heute zum Bürogebäude umgebaut, müsste der Synagoge aber sicher weichen, sagt Philipp Stricharz. Orientieren sollte sich der Entwurf an den alten, immer noch vorhandenen Bauplänen der einstigen Synagoge. Auch wenn der Innenraum kleiner ausfallen könnte.
"Es gab seinerzeit 1.200 Plätze. Und ehrlicherweise muss man sagen, heutzutage würden da auch 500 reichen. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass es auch mal wieder den Bedarf für 1.200 gibt. Es ist sicherlich auch ein Signal des Aufbruchs an die Hamburger Juden."
Ein Signal wollte heute auch die Liberale jüdische Gemeinde in Hamburg setzen. Ihr geht es nicht um einen Wiederaufbau des einstigen Tempels an der Poolstraße in der Neustadt, sondern um den Erhalt der Ruinen des Gotteshauses, sagt Vorstandsmitglied Galina Jarkova:
Fragen nach der Erinnerungskultur
"Für uns sind diese Portale sehr wichtig. Unter den Portalen liegen noch eingemauerte Sachen. Ich glaube, die Manuskripte von fünf Büchern Moses, in denen auch vermerkt ist, wer hier zur Gemeinde gehörte. Das müssen wir jetzt noch mal erforschen."
Vom 1844 in einem Hinterhof erbauten Tempel stehen heute nur noch Teile des Eingangsportals und die Apsis, das Halbrund, in dem einst die Thora-Rollen aufbewahrt wurden. Die roten Ziegel sind verwittert, aus dem offenen Dach ragt dürres Baumgeäst. Unten im Hof ist eine Autowerkstatt untergebracht. Kristina Sassenscheidt vom Hamburger Denkmalverein schüttelt den Kopf.
Versteckte Ruinen
"Das Gebäude steht seit 2002 unter Denkmalschutz und es ist nicht nachzuvollziehen, dass das Gebäude jetzt schon seit vielen Jahren verfällt. Wir können es hier sehen: das Dach des Apsis-Gebäudes steht offen, da wachsen Büsche raus und die Feuchtigkeit kann ungehindert eindringen und es hätten eigentlich schon längst Sicherungsmaßnahmen stattfinden müssen!"
Wie dringend nötig solche Sicherungsmaßnahmen sind, zeigte sich bei der Pressekonferenz im erhalten gebliebenen Teil des jüdischen Tempels. Während Miriam Rürup, die Direktorin des "Instituts für die Geschichte der deutschen Juden" von der einstigen Pracht des Hauses erzählt, fällt ein gerahmtes Bild von der Wand.
"Man könnte fast sagen, das passt zur Dramaturgie der ruinösen Situation, mit der wir es hier zu tun haben."
Ob die Ruinen des einstigen Tempels erhalten werden können, ist bislang noch nicht geklärt. Der Eigentümer des Areals möchte gern verkaufen, die Fläche, so die bisherigen Pläne könnten für den Wohnungsbau genutzt werden. Der Hamburger Senat hat dazu, anders als bei den Wiederaufbauplänen der Synagoge im Grindelviertel, noch nicht Stellung bezogen.