Die Hamburg-Karte im Büro von Peter Albrecht nimmt fast die ganze Wand ein. Ein Dutzend Stecknadeln mit weißen Köpfen markiert die Hamburger Stadtteilschulen, also: Gesamtschulen, an denen Reformbedarf besteht. Peter Albrecht, der Sprecher der Bildungsbehörde, zeigt, wo die Nadeln stecken:
"Einmal hier dieser ganze Bereich von Wilhelmsburg über die Elbinsel. Dann haben wir noch den Bereich Billstedt-Mümmelmannsberg, Billstedt-Hamm. Das ist ein Schwerpunkt. Und der dritte Schwerpunkt ist im Prinzip Hamburg-Mitte, reinreichend bis Altona."
Vier Jahre nach dem Start der Hamburger Stadtteilschulen ist die Balance zwischen den Anmeldungen dort und denen an Gymnasien gestört. 600 Schülerinnen und Schüler mehr als im Vorjahr wurden an Hamburgs Schulen angemeldet. Fast alle Eltern dieser 600 Kinder wählten für ihren Nachwuchs das Gymnasium – oft gegen den Rat der Lehrer. Für Albrecht ist das ein Zeichen für die Attraktivität des auch in Hamburg umstrittenen sogenannten Turbo-Abis an den Gymnasien. Aber auch das Image der Stadtteilschulen spielt eine Rolle, räumt Albrecht ein:
"Wir haben ja ganz viele Stadtteilschulen, die sehr attraktiv sind. Aber wir haben auch eine Handvoll Stadtteilschulen, das sind die, die öffentlichen Fokus auch sind, die noch große Probleme haben. Die wir im Blick haben. Und wo wir eine ganze Reihe Maßnahmen ergriffen haben, die aber natürlich Zeitz brauchen. Stadtteilschulen gibt es ja in Hamburg erst seit 2010. Und so eine Schulform braucht einfach Zeit, sich zu entwickeln."
Zusätzlich zum Start der Stadtteilschulen begann Hamburg als eines der ersten Bundesländer, die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen voranzutreiben. Und diese Aufgabe leisten in der Hansestadt nicht die Gymnasien, sondern vor allem die Stadtteilschulen.
Jan Baier leitet die "Schule am Hafen". Eine der Schulen, die auf Peter Albrechts Wandkarte mit einer Stecknadel markiert sind:
"Die Inklusion ist ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion meines Erachtens zu Recht als ein noch nicht befriedigend gelöstes wahrgenommen wird. Und ein anderes Thema, das weniger in der Öffentlichkeit ist, aber eine herausragende Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit nicht nur des Stadtteilschulsystems, sondern des Schulsystems in Hamburg insgesamt ist, das ist die Integration von Zuwanderern, die im Laufe ihrer Schulzeit in die Hamburger Schulen kommen. Da muss man nach meiner Ansicht noch sehr viel dran arbeiten. Dass man mit der Aufgabe offener und klarer umgeht!"
Nach Ansicht der Hamburger Elternkammer zieht das schlechte Image einzelner Stadtteilschulen zusätzliche Negativeffekte nach sich. Der Kammervorsitzende Gerrit Petrich warnt davor, dass vor allem die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler, die ihr Abitur in neun Jahren an den Stadtteilschulen machen könnten, diesen fehlen werden, wenn der Trend zum Gymnasium nicht gestoppt werde. Hinzu kommt: Wenn bis zu 50 Prozent der Eltern die Empfehlungen der Lehrer für die schulische Zukunft ihrer Kinder ignorieren, müssten viele schwächere Schüler schon nach zwei Jahren auf dem Gymnasium diese Schulform und ihren Klassenverband verlassen und dann auf der Stadtteilschule neu anfangen. Behördensprecher Peter Albrecht teilt diese Bedenken:
"Das ist für das einzelne Kind natürlich wirklich sehr schwierig. Das ist ein Bruch in der Schullaufbahn. Damit muss man erstmal zurechtkommen, muss aufgefangen werden an der Schule. Und deshalb ist unser Ziel, eigentlich so etwas zu verhindern. In dem Sinne, dass wir vor allem Eltern und Kinder frühzeitig sehr gut beraten."
Aber das geschieht neuerdings nicht mehr in zwei, sondern nur in einem Elterngespräch. Dafür fragt die Schulbehörde schon ab der zweiten Klasse mit Leistungstests den Lernstand aller Schüler ab. Die harte Variante, die Schieflage zwischen Gymnasien und Stadtteilschulen zu beenden, die Abschaffung der freien Schulwahl, steht in Hamburg – zumindest noch nicht – zur Debatte.