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Hamburger Reeperbahn Festival
Vielseitiges Musikspektakel auf der sündigen Meile

Rund 30.000 Besucher, 600 Veranstaltungen, 70 Locations: Das Hamburger Reeperbahn Festival hat sich im zehnten Jahr seines Bestehens zum Branchentreff und zur lukrativen Showbühne für junge Bands gemausert und hat sich vor allem als extrem vielseitiges Publikums-Festival einen Namen gemacht. Doch das war nicht immer so.

Von Vincent Neumann |
    Schon vor ihrem eigentlichen Auftritt im Klub Bahnhof Pauli konnte die holländische Folkband Friends of the Family nicht mehr still sitzen: Am für Festival-Verhältnisse sehr frühen Mittag stürmten die zehn Bandmitglieder kurzerhand (und teilweise barfuß) auf den Hamburger Spielbudenplatz, um mit einem akustischen Spontankonzert für ihre abendliche Show zu werben. Mit Erfolg, denn binnen kürzester Zeit hatte sich um Gijs Ballering und Kollegen eine gut gelaunte Menschentraube gebildet.
    Eine Aktion, die ebenso sympathisch wie typisch ist für das Reeperbahn Festival und genauso auch von den aus aller Welt angereisten Besuchern geschätzt wird.
    "Ich weiß nicht, was das genau ist – aber es hat gut geklungen!" - "Es geht halt um die Musik, und eigentlich kannst du mehr oder weniger in jede Bar gehen, und irgendwas gefällt einem dann schon." - "Ich hab einige, die ich unbedingt sehen will, und andere, wo ich dann zwischendurch Zeit hab und mich dann so durch die Klubs schlängel."
    Und schlängeln muss man beim Hamburger Reeperbahn Festival – ob auf der Straße oder in den zahllosen Locations rund um die sündige Meile: Bei rund 30.000 Besuchern kommt einfach nicht jeder immer überall rein. Volles Haus war zum Beispiel beim diesjährigen Partnerland des Festivals: Music Finland hatte zu Gin und finnischen Tortillas in den Sommersalon geladen.
    Eine einmalige Gelegenheit
    Eine einmalige Gelegenheit, Musik kennenzulernen, die man sonst nie hören würde, nennt der Chef des finnischen Musik-Exports, Tuomo Tähtinen, das Reeperbahn Festival; aber es sei eben auch gut für die Industrie, um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.
    Die Sängerin Mirel Wagner gehört zu den erfolgreichen Musik-Exporten aus Finnland – und zu den schönsten Stimmen des Reeperbahn Festivals, das in diesem Jahr sowieso eher durch nachdenkliche Töne besticht.
    Natürlich kann man sich auch den kernigen Sound und robusten Humor der österreichischen Band Wanda zu Gemüte führen, oder die Hamburger Hip-Hop-Ikonen Fünf Sterne Deluxe, die als "very special guest" angekündigt sind; den Ton geben allerdings musikalische Leisetreter und Feingeister wie die Kanadierin Chloe Charles oder der US-amerikanische Singer-Songwriter William Fitzsimmons an.
    Viel Stress im Vorfeld
    Und ein bisschen Ruhe tut schließlich auch Festival-Chef Alexander Schulz gut, nachdem er im Vorfeld eine Hiobsbotschaft nach der anderen verdauen musste. Nach der Posse um einen angeblichen Auftritt von "Freiwild" und dem Brand auf dem Spielbudenplatz musste er zuletzt auch noch auf seine prominentesten Gastredner verzichten: "The Specials"-Legende Terry Hall und Bundesjustizminister Heiko Maas, der eigentlich zur Reform des Europäischen Urheberrechts Stellung nehmen wollte.
    "Maas ist sehr schade, weil insbesondere die Kollegen aus der aufgenommenen Musik doch schon sehr kritisch auf diese Rahmenbedingungen, die aus Brüssel kommen sollen, schauen – und die hätten sich gerne mit ihm auseinandergesetzt. Das wird jetzt durch einen Stellvertreter verlesen – das ist sicherlich anders, als wenn man mit einem Minister selber darüber diskutiert.
    Und das hätte uns sicher auch gut zu Gesicht gestanden, wenn wir hier erste Antworten und Stellungnahmen und Haltungen dazu noch mal gehört hätten." (0'24)
    Und so bleibt bei all den Gesprächsrunden, Ausstellungen, Lesungen und sonstigen Angeboten auch bei der 10. Ausgabe des Hamburger Reeperbahn Festivals die Erkenntnis: Den zahlenden Besucher reizt das umfangreiche Musikangebot und die Möglichkeit, neue Künstler zu entdecken, auch wenn sich manch einer zum Jubiläum noch den ein oder anderen großen Namen gewünscht hätte. Für die Besucher der Conference heißt es allerdings weiter Warten – die Antworten auf die dringenden Fragen im Musikbusiness gibt's dann vielleicht im nächsten Jahr.