Bernd Begemann begleitet uns schon seit fast 30 Jahren. Man zählt ihn zu den Vorreitern der Hamburger Schule. Ein Sänger mit eigenen Liedern war er auch immer, ohne jetzt bitteschön Liedermacher genannt werden zu wollen. Und Schlager an sich, so wie Udo Jürgens ihn gemacht hat, ist nichts Schlechtes für Bernd Begemann. Das alles bringt das Album "Eine kurze Liste mit Forderungen zusammen", musikalisch wie textlich. Es sticht heraus aus Begemanns Diskographie: durch den schieren Umfang ebenso wie durch seine Themen – und Stilvielfalt. So wie früher das Album bei den Beatles oder Exile on main street bei den Stones.
"Vielleicht ist es auch mein persönlicher Balzac-Roman oder mein persönliches Jonathan Frantzen-Buch. Ich hatte eher so was im Kopf. So ein realistisches Zeitbild…."
Eines mit durchaus skurrilem Personal. Die Schnurre über die betrunkene Frankfurter Taxifahrerin ist eine humoristische Fingerübung zu Auftakt, mehr nicht. Hier ein kleiner Höreindruck. Aber gleich im Anschluss wird es kämpferisch, rockistisch, mit schneidig zerlegten Gitarrenakkorden: "Ich habe meinen Frieden gemacht".
Dinge auf den Punkt bringen und unangenehme Fragen stellen
"Lieder, die ich mag, bringen Sachen auf den Punkt und die stellen unangenehme Fragen. Und da stellt sich der Sänger auch selbst unangenehme Fragen und beantwortet sie. Deshalb hieß meine erste Band "Die Antwort". Weil dieses "ach warum ist das nur so schlimm in der Welt", das kann man auch beantworten. Man muss nicht diese blöde Frage in den Raum stellen. Es gibt darauf Antworten. Wir sind Erwachsene, wir können darüber reden."
Man kann dann schon auch den Kapitalismus verhandeln. Der US-Investor Warren Buffet machte im Jahr 2006 einem Bericht der New York Times zufolge die Feststellung: "Es herrscht Klassenkampf, ja, und meine Klasse, die der Reichen, ist dabei, ihn zu gewinnen". Bei Begemann heißt es zehn Jahre später folgerichtig: "Die Reichen haben gewonnen".
"Vor 20 Jahren war es total unhip, reich zu sein"
"Primitiver Satz, und es stimmt total. Während wir hier sprechen, wird Donald Trump vielleicht US-Präsident. Wir hoffen nicht, dass es soweit kommt. Weil Himmel, Herrgott, was für ein Typ. Zum Glück ist Deutschland noch nicht so degeneriert. Ein Typ wie Donald Trump könnte jetzt nicht Kanzler werden. Mal gucken, was passiert in den nächsten zehn Jahren….
Ich nehme das auch wahr: zum Beispiel vor 20 Jahren war es total unhip, reich zu sein oder mit seinem Geld zu prahlen. Jetzt ist das fantastisch. Jetzt ist es unhip, Arte und 3Sat zu gucken. Das ist peinlich für die Jetzt-20-Jährigen, was ich so höre, auf ihren YouTube-Shows. Ist Bildung wirklich so Scheiße? Ich meine, früher: Früher hatten Arbeiter Bildungsvereine, Arbeiter haben James Joyce gelesen, weil sie wussten dass es wichtig ist, wenn sie sich verbessern wollen. Und jetzt ist es so: ein Freund von mir hat ein Techno-Label und hat seine Fans nach Hause eingeladen. Und die haben sich kaputtgelacht, weil er ein Bücherregal hat."
Ein Abgesang auf St. Pauli
Da klingt eine politische Haltung durch, auch ein Hang zur Anarchie. Dass Begemann neuerdings politischer Liedermacher sei, wäre aber maßlos übertrieben. Er bleibt Beobachter, auch wenn er selbst zur Hauptperson eines Songs wird, nämlich im vielleicht stärksten Titel dieses Albums. Den hat Begemann, der Junge aus dem nordrhein-westfälischen Provinzstädtchen Bad Salzuflen, über das Phänomen der Stadtteil-Aufwertung geschrieben. Es ist ein Abgesang auf das Hamburger Viertel, in dem er lange gelebt und sich wohlgefühlt hat. Es wurde ihm zu teuer, zu hip, zu prollig, zu trubelig – zu viel besoffene Schwaben da. Er ist weggezogen, nach draußen. Sankt Pauli hat ihn ausgespuckt.
"Sankt Pauli hat uns ausgespuckt" sticht in mancherlei Hinsicht aus dem Rest der vielen, vielen Songs hervor. Er ist mit Abstand der längste, er hat keinen trockenen Schluss, sondern wird ganz sachte ausgeblendet und er hat – neben dem Song über das Mädchen mit dem lila Renault Twingo, den wir noch hören werden – die wohl aufwändigsten Hintergrundgesänge. Das, und auch diese leicht jazzige Gitarrenarbeit erinnern fast an Steely Dan, die Meister des Lounge-Rock.
Arrangements wie bei den "Les Humphrie Singers"
"Steely Dan, das ist so der heilige Gral. Beim Chor-Arrangement hatte Ich ehrlich gesagt eher so was wie Les Humphries im Hinterkopf. Ja, ich weiß. Aber warum nicht, die haben tolle Platten gemacht. Ich bewundere auch, wie die aufgenommen haben. Die hatten nur vier Spuren. Die haben die ganze Musik auf Stereo aufgenommen, dann die Liedstimme auf eine Spur aufgenommen. Und dann hat er eine "Rave"-Spur gehabt, wo Leute nur so "Hey, Woooooh" gemacht haben. Und das war in diesem Fall eben auch so, dass wir Milo von Ronda und Reggie Classen einfach so in den Aufnahmeraum geschubst haben und ihnen praktisch vorgegeben haben: jetzt schreit mal so rum jetzt. Ich finde das lustig."
Lustig bleibt es auch, wenn ein luftig-beschwingtes Arrangement einen melodramatischen Inhalt umkränzt. Wie eben in der kleinen Liebesgeschichte ohne Happy End aus den frühen 90ern. "Sie fuhr einen lila Twingo".
Brillanter Klang kommt durch Zurückhaltung
Diese ausgefuchsten Chöre reproduziert Begemann übrigens auch live, zusammen mit seiner Band "Die Befreiung", die ihn mit kleinen Unterbrechungen seit 2004 begleitet. Kai Dohrenkamp spielt Keyboard, Achim Erz ist der Schlagzeuger und Bassist Ben Schadow steuert mit einem violinenförmigen Bass wie dem von Paul McCartney sehr eindringlich knarzende Melodien bei. Warum das Live-Harmonisieren so gut gelingt – wie auch später an diesem Abend in der Zeche Carl, wo wir mit Begemann verabredet sind – ja, warum Begemanns Konzerte überhaupt so brillant klingen, erklärt der bärtige Bassmann so:
"Das Problem ist ja tatsächlich heute, dass die meisten Bands auf der Bühne viel zu laut sind und sich gar nicht hören können. Es ist sehr viel einfacher, wenn man einen leisen Bühnensound hat und sich akustisch noch ein bisschen hören kann, dann orientiert man sich automatisch viel besser und dann klingen Chöre auch viel besser, weil das Blending, also der Zusammenklang der Stimmen, viel besser kontrolliert werden kann. Nur, dass man die richtigen Töne singt, hilft ja nicht, um einen guten Chor zu machen, sondern die Stimmen müssen auch harmonisch in einander greifen. Und das funktioniert einfach nur, wenn man einen aufgeräumten Bühnensound hat."
Klanglichen Reichtum im Studio erschaffen
Aufgeräumt ist der Sound auch auf der aktuellen "Ton- Konserve". Die kurze Liste mit Forderungen wurde Ende 2015 in einem traditionsreichen Bremer Tonstudio aufgenommen. 80, 90 Prozent der Musik seien live eingespielt worden, versichert Begemann.
"Was wir wirklich erreichen wollten, ist ein Reichtum, der mir fehlt. Die meisten neuen Alben, die ich heutzutage höre, kommen aus kleinen Räumen. Unser Album ist in so einem Saal aufgenommen worden. Studio Nord in Bremen ist ein besonderer Ort. Von der Geschichte her nicht unbedingt. Aber der Saal war ein alter Ballsaal aus dem 19. Jahrhundert, holzvertäfelt. Also, wenn man das Album ein bisschen aufdreht und gute Boxen hat oder Stereokopfhörer, dann ist man mit uns im Raum."
Das Studio als mystischer Ort? Es spielt zwar eine Rolle, aber es sind die Menschen, nicht der Raum, auf die es ankommt.
Gemeinsam ins Nichts schauen
"Fünf Leute haben dasselbe gefühlt, oder haben demselben Ziel gedient. Es ist irgendwie was Besonderes, zusammen mit Menschen Musik zu machen, auf einer Linie mit denen zu sein. Ins Nichts zu schauen und dasselbe zu erblicken. Vielleicht klingt das dann nicht so gut, wie die Neue von Usher. Keine Ahnung. Wir haben es für uns gemacht und für die wenigen Glücklichen draußen."
"Gemeinsam ins Nichts schauen", sehr poetische Arbeitsbeschreibung. "Die wenigen Glücklichen da draußen" – ein spöttischer Blick auf sich selbst, denn Begemann-Alben schafften es bisher nie in die Charts, und bei seinen Konzerten kommen meist so um die 200 Leute. Genug zum Leben, genug zum Weitermachen. Irgendwie aber auch schade.
Zwischendurch gibt es auf der kurzen Liste mit Forderungen auch mal Lieder, die schon kabarettverdächtig sind. Kleine Quatschsongs eben, wie der vom Gnu als Powertier. Trotzdem mit viel Ernst umgesetzt, denn Ironie mag Begemann nicht beim Songschreiben. Das Ironisieren sei so eine deutsche Krankheit, irgendwie, findet er.
Der Beitrag der "Die Befreiung"
Die Befreiung, also die Band, hat übrigens großen Anteil an den Songs, wie Bassist Ben Schadow erklärt:
"Wenn wir im Band-Kontext mit Bernd spielen, ist es meistens so, dass die Arrangements erst entstehen, wenn wir zusammen sind. Bernd spielt den Song auf der Gitarre vor, den Rest denken wir uns dann gemeinsam aus."
Noch stärker als im Gnu-Song kommt der manchmal schrille Humor von Bernd Begemann bei "Nazi-Tattoo-Papa" zum Tragen. Das ist eine bitterböse Betrachtung über den Rechtsextremismus, der ja mal wieder mitten unter uns ist, aber eben aus einer völlig anderen Perspektive. Wie viel braune Soße bleibt an einem hängen, wenn man mal im Sumpf war, bleibt wirklich nur die Tätowierung? Und so einen bleischweren Themenkomplex in einem derart heiter dahin getupften Song-Arrangement zu präsentieren, das hat schon was irrwitzig Großes.
Das ist auf eine sehr eigene Art schon wieder sehr schlau. Begemann spielt gerne mit seinem Welt-Durchblick, mit seinem Über-den-Dingen-Stehen.
"Ich bin die Stimme der akademischen Intelligenz, das ist wohl wahr….."
Der erste Entwurf ist manchmal der Beste
Es liegen geschlagene vier Jahre zwischen diesem Album und dem Vorgänger "Wilde Brombeeren". Währenddessen hat eine Entwicklung im Arrangieren stattgefunden.
"Wir sind relativ schnell vorgegangen diesmal. Wir haben darauf geachtet, dass wir nicht zu lange an einem Song sitzen. Und daher sind alle Arrangements auf der Platte tatsächlich sehr frisch und oft erste Entwürfe und erste Versuche. Das ist genau das, was die Platte aber so gut macht, finde ich. Man merkt halt einfach, dass da eine sehr frische Energie steckt zwischen uns."
Auffällig an der kurzen Liste mit Forderungen ist, dass diese Liste an sich sehr lang ist, die Songs allerdings meist sehr kurz. Manchmal fast schon zu kurz, wie im eben gehörten Song "Sie hat Regeln" – da kommt dieser Break nach etwa einer Minute, eine verblüffende Wendung, die man gerne noch mal hören würde. Aber schon ist sie vorbei.
"Sag, was Du zu sagen hast und geh weg!"
Dass die Lieder kurz sind, ist der Grund, dass man sie öfter hören kann. Ich würde sagen, die meisten gängigen Songs zurzeit sind zu lang. Die meisten Lieder, die ich höre, von unseren so genannten Songpoeten, haben nicht die Substanz, um vier Minuten lang zu sein. Was die sagen, könnte man auch in 1‘20‘‘ erklären. Du kennst bestimmt dieses Lied "Stay", was Jackson Browne gecovert hat, das war ein Nummer 1 – Hit in den USA und zwar ist das Original 1,24 lang. Das reicht. Er will das die Frau bleibt – (fängt zu singen an: ) "Stay just a little bit longer". Und er hofft, dass ihrer Mami das nichts ausmacht und dass es ihrem Papi nichts ausmacht, und dann sagt er nochmal, dass sie bleiben soll. Ende vom Lied. Das war’s. Okay! Sag, was Du zu sagen hast und geh weg!"
"Unoptimiert", ein schneller linker Haken an die Motivationstrainer dieser Welt, überschreitet immerhin die drei-Minuten-Grenze. Begemann singt auf diesem Album immer etwas manierierter, als er es zum Beispiel im Gespräch tut, wenn ihm mal wieder irgendein popkulturelles Zitat einfällt. Hier gibt er einen ziemlich glaubwürdigen Dylan-Parodisten.
Von der Kunst, ein Crooner zu sein
Manchmal klingt Begemanns Art zu singen, schwer übertrieben. Kabaretthaft, das sagten wir schon. Man liest auch öfter mal das Wort "Crooner" in Artikeln über ihn. Hat er nichts dagegen.
"Das ist ja somit das höchste in der populären Vokalkunst. Ein Crooner zu sein. Ein Organ zu entwickeln, das so intim in den Raum greift wie das von Bing Crosby oder Doris Day. Was für ne fantastische Sängerin. Aber heute ist das halt eher so ein Witzausdruck. Sollte es nicht sein. Croonen, so wie ich es verstehe, würde bedeuten, dem Hörer so nahe zu kommen, wie es irgendwie geht….Wenn man das hinkriegt, das ist das Schönste."
Er ist halt Charakterdarsteller, gerne ein bisschen obendrüber. Auf der Bühne trägt er gediegene Anzüge, gibt den Entertainer alter Schule. Und das ist er wirklich: ein Unterhalter. Ein Frontmann. Das muss auch Bassist Ben Schadow, den Begemann auf der Bühne gerne spaßeshalber beleidigt, zugeben.
"Auf jeden Fall. Und zusätzlich, dass Bernd wie fast kein anderer ein unglaubliches Gespür hat für Melodien, die er dann auch singen kann. Es gibt natürlich auch Sänger, die sich tolle Melodien ausdenken und sie dann nicht umsetzen können. Das ist schon ne Sache, die mich oft beeindruckt und die mir Spaß macht und die generell in der Band eine große Freude auslöst. Das Spielen mit Melodien, dass man was hat, was man dann selber auch umspielen kann. Was einfach fest da ist und die Basis bildet für den Rest."
Trotzdem Punkrocker geblieben
Punkrocker ist Begemann bei allen Chanson-, Kabarett- und Schlagerattitüden geblieben. Zumindest, was die Attitüde angeht. Da haben Gitarrensoli nichts zu suchen. Könnte er welche spielen?
"Nein, kann ich nicht. Als Punkrocker hab ich das abgelehnt. Ich fand das fürchterlich, dieses bluesbasierte Gegniedel und Gitarrenhals-Abgewichse. Das fand ich das widerlichste am Gitarrespielen. Naja, wir Punkrocker und Postpunker und New Waver, wir wollten nicht sexistisch Gitarre spielen. Also schau mal, hier mein geiler Schwanz. Sorry, wenn ich das so plump sage. Sondern eher: hey, ich gebe es Euch jetzt so, wie’s gedacht ist. Das klingt genauso sexistisch, oder? Mist. Ich muss also noch die richtige Philosophie entwickeln in der Richtung."
Er sieht sich auch in einer deutschen Lieder-Tradition, die heute fast vergessen ist. Es gab ja mal deutschen Rock & Roll in den 50ern. Den hat der 53-Jährige mit Dirk Darmstädter, Ex-Jeremy Days und lange Chef von Begemanns Label Tapete-Records, auf dem Album "So geht das jede Nacht" wiederbelebt, im Jahr 2011.
"Also Jazz-Skalen und Blues-Skalen habe ich nicht wirklich gelernt, obwohl ich Jazz mag und Blues mag. Ich finde es falsch, als weißer Mitteleuropäer so zu spielen. Das ist nicht unseres. Wir gehören dem mitteleuropäischen Kunstlied. Das ist auch so ne Glaubenssache."
Die Waffe der Wahl ist rot und hat Humbucker-Pickups
"Eine kurze Liste mit Forderungen" hat reichlich Kunstlied in sich und tänzelt gleichzeitig in ganz andere Richtungen. Es gibt da zum Beispiel dieses massive Dub-Gewitter mit dem Titel "Es ist kein Zufall, dass ich neben Dir liege". Begemann hat sich dafür bei Sören Kierkegaard und dessen Handbuch des Verführers inspirieren lassen.
Da wäre es jetzt mal an der Zeit, über Begemanns Waffe der Wahl zu sprechen. Es ist eine rote Halbresonanzgitarre, wie man sie eher im Jazz-Genre vermuten würde.
"Rote Halbresonanzgitarren sehen schon mal besser aus. Deshalb klingen sie auch ein bisschen besser als vergleichbare Gitarren. Wichtig ist nicht, dass es Halbresonanzgitarren sind, sondern dass es Humbucker-Pickups sind und keine Single Coils. Aber das allerwichtigste ist die Trapez-Aufhängung der Saiten. Das ist sehr selten heutzutage… Weil es auch Nachteile hat. Trapezaufhängung heißt, dass die Saiten nicht in einem festen Block im Gitarrenkorpus verankert sind, sondern hinten in einem eher losen Trapez aufgehängt."
Die Größe der Lautsprecher ist eine religiöse Frage
Es klingt satt, aber irgendwie auch flirrend.
"Einige Leute denken, ich hätte was Elektronisches dazwischen. Aber nein, es sind die Saiten in sich, die schwingen…. Wenn eine Saite reißt, ist allerdings alles verstimmt, weil alle Saiten am selben Trapez hängen. Deshalb wird es eigentlich nicht mehr gebaut. Ich finde, das hat lyrische Höhen. Jetzt klinge ich wie so ein Fachblatt-Typ, aber egal…."
Und er könnte stundenlang so weitermachen. Begemann ist ein Künstler, der sich mit Handwerk genauso beschäftigt wie mit Musikgeschichte. Solche wie ihn trifft man nicht so oft. Die Frage, ob es in der Welt der Gitarristen nicht tatsächlich zwei Religionen gibt – die Gibson Les Paul – und die Fender Stratocaster-Spieler – mit ihm kann man sie tatsächlich diskutieren. Und erhält sogar Antworten.
"Jimi Hendrix war Single-Coil plus Marshall-Amp, und ich bin eher Humbucker-Pickup plus Fender-Amp. Also die Gitarre ist das sämige, und der Verstärker bringt dann eher die Klarheit. Ich hab auch keine großen Lautsprecher. Nur Zehn-Zoll, nicht Zwölf-Zoll wie die meisten. Das heißt, dass die Bässe nicht so wummern, aber dass die Höhen etwas klarer sind, weil das ein kleinerer Lautsprecher ist. Das ist in der Tat ein bisschen ne religiöse Frage. (dreckiges Lachen)"
Nur kein Neid auf Olli Schulz
Vier Jahre sind eine lange Zeit zwischen zwei Alben. Viele Dinge sind währenddessen passiert, und Begemann hat sie alle, alle aufgeschrieben. Deswegen wurden es dann am Ende nicht weniger als 28 Songs. Olli Schulz zum Beispiel, mit dem Begemann den kleinen Hit "Verhaftet wegen sexy" aufnahm, ist berühmt geworden in diesen vier Jahren, richtig berühmt. Hat den Soundtrack für das Fernseh-Gekasper von Joko und Klaas geliefert, sein Live-Publikum verdoppelt. Und ist nach Berlin gezogen. Auch darüber singt Begemann auf der kurzen Liste mit Forderungen. "Komm zurück, Olli Schulz".
Neidisch?
"Ich bin im Gegenteil total glücklich, dass Oli Schulz so ne Karriere macht. Denn er ist einer von uns, wenn man so will, er kommt aus der gleichen Szene. Und was er macht, mach ich nicht. Also er nimmt uns nichts weg. Es hat mir sogar geholfen, es war meine einzige Hitsingle. Wenn man mal davon absieht, dass ich die B-Seite von "Du trägst keine Liebe in mir" geschrieben habe. Das war auch ein Riesenerfolg…."
Das macht Begemann ja auch zu Begemann. Dass er es eben nicht wie Olli Schulz gemacht hast. Daraus erwachsen dann solche abgrundtief frechen Lieder mit endlos langen Titeln wie dieses hier: "Mehr als Erfolg brauch ich das Gefühl, Euch weiterhin alle Scheiße finden zu dürfen". Medienmenschen dürften dieser Song aus tiefster Seele sprechen.
Erfolg ist relativ
Eine Tochter, 30 Jahre im Musikgeschäft, mehr als 20 Alben im Gepäck, Hunderte von Konzerten. Bernd Begemann ist vielleicht kein Star, aber seine Bilanz, wenn man das Leben denn in Zahlen messen will, schon eindrucksvoll. Und was noch wichtiger ist:
"Ich kann nur sagen, ich fühle mich tierisch erfolgreich, weil ich existiere. Ich kann Alben realisieren, die niemand sonst realisieren könnte. Ich habe schon öfter erlebt einfach, dass viele Leute, die viel erfolgreicher sind als ich, mich beneiden. Ich nenn jetzt keine Namen.
Ich erfinde. Meine Aufgabe ist es zu erfinden und nicht irgendein Rattenrennen zu gewinnen. Wenn heute Abend 200 Leute hierherkommen, finde ich mich tierisch erfolgreich. Ich denk: 200 Leute, niemand hat sie gezwungen, hierher zu kommen. Es ist gibt so viel Konkurrenz. Ich werde ihnen mehr geben, als sie erwartet haben."
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