Die Idylle in der Boberger Niederung trügt. Rings um den kleinen See, am dicht bewaldeten Hang wird gleich nach dem Zufallsfund, rot-weißes Absperrband durch die Natur gezogen. Die Gefahr ist unsichtbar. Beamte der Hamburger Umweltbehörde sind in weißen Overalls und mit Mundschutz unterwegs, nehmen Bodenproben:
"Wir sehen, dass das Material anders aussieht als der Oberboden, den wir bisher in den obersten zehn Zentimeter hatten. Wir sehen, dass es bindig ist, etwas heller, dass es nicht so leicht auseinanderfällt und ein anderes Material darstellt."
Der Grenzwert für Dioxin liegt bei einem Mikrogramm pro Kilogramm. In der Boberger Niederung messen die Experten im Herbst letzten Jahres 700 Mikrogramm.
"Schadstoffgehalte in dieser Größenordnung habe ich noch nicht gehabt in meinem Berufsleben. Ich habe schon öfter mit sehr komplexen Altlasten und sehr giftigen Altlasten zu tun gehabt. Aber eine derartig hohe Dioxinbelastung - und das ist ja nun einmal eine der giftigsten Substanzen überhaupt - die ist mir auch noch nicht untergekommen."
Grenzwerte weit überschritten
Der Dioxin-Fund im Naturschutzgebiet im Oktober 2018 ist die jüngste Dioxin-Spur in Hamburg. Gleich nach dem Fund geht die Hamburger Umweltbehörde in die Offensive. Alle gemessenen Werte werden veröffentlicht, auf Informationsveranstaltungen können Anwohner ihre Fragen stellen. Zuletzt im Januar.
"Wir sind indirekte Nachbarn. Wir sind Segelflieger auf dem Flugplatz. Wir gehen da auch mal spazieren in der Gegend und wollen uns das mal anhören, wie groß denn die Gefährdung wohl wirklich ist."
"Und ich habe als Kind da gespielt, gerade in den Sechzigern, gerade da im Moor, weil ich da aufgewachsen bin. Man weiß ja nie!"
Dioxin ist hoch giftig. Es lässt Tumore wachsen und führt zu neurologischen Störungen. Ein Millionstel Gramm pro Kilogramm Körpergewicht wirkt tödlich. Im Schnitt ist die Dioxinbelastung auf der etwa einen Hektar großen und längst abgesperrten Fläche 24-mal so hoch wie der zulässige Grenzwert. Für die angrenzende Gegend gibt Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan aber Entwarnung:
"Wir haben in den angrenzenden Wohngebieten keinerlei Belastungen festgestellt. Auch die Oberflächengewässer im Badesee sind unbelastet. Und auch im Grundwasser kann man keine erhöhte Belastung feststellen."
Der erste Hamburger Dioxin-Fund
Bei der Eingrenzung des betroffenen Areals hatten Experten der Umweltbehörde auf alte Luftaufnahmen aus den 60er-Jahren zurückgegriffen. Zu sehen sind dort Aufschüttungen am Rande eines Bahndamms. Genau dort, wo die erhöhten Dioxin-Werte gemessen wurden. Das Gift wurde vermutlich zusammen mit Bauschutt im Zeitraum zwischen 1955 und 1965 dort abgekippt. Woher das Dioxin ursprünglich stammt, ist für Thomas Haupt, den Referatsleiter der Abteilung Altlasten und Boden in der Umweltbehörde, klar:
"Die hier dargestellten Verbindungen charakterisieren Materialien, die so in Hamburg nur im Werk Boehringer angefallen sind. Und überall, wo wir diese Zusammensetzung finden, sprechen wir davon, dass sie den ‚Boehringer-Fingerabdruck‘ tragen."
Die Spur des Dioxins führt zur längst geschlossenen Boehringer-Chemiefabrik in einem Industriegebiet im Osten der Hansestadt. Für viele ein Dejà Vu. Eine Erinnerung an den Dezember 1983.
Ausschnitt Tagesschau 1983: "Auf einer der größten Mülldeponien Deutschlands, in Hamburg-Georgswerder, ist hochgiftiger Abfall entdeckt worden. Darunter Dioxin, chemisch TCDD, das so genannte Seveso-Gift."
Dioxin steckt im Entlaubungsmittel "Agent Orange", das die US-Amerikaner im Vietnamkrieg über dem Dschungel versprühten. Und es fiel an bei der Produktion des Insektizids Lindan, das die Chemie-Firma Boehringer in Hamburg produziert hat. Anfang der Achtzigerjahre kommt heraus: Das Gelände der Boehringer-Fabrik und die Deponie Georgswerder in Hamburg-Moorfleet sind mit dem Dioxin kontaminiert.
Der Spur führt zu Boehringer
Stammt auch das in der Boberger Niederung entdeckte Dioxin aus der längst stillgelegten Boehringer-Produktion? Wie kam es dorthin? Und womit muss Hamburg noch rechnen?
Um zu klären, woher das Dioxin aus der Boberger Niederung stammt, schickte die Umweltbehörde die neuesten Bodenproben nach Pinneberg, zur "Gesellschaft für Bioanalytik", kurz: GBA. Weiße Kittel, Schutzbrillen und Handschuhe sind Vorschrift im GBA-Labor. Das Verfahren, mit dem die braun-klumpige Erde auf ihre Dioxin-Belastung untersucht wird, ist aufwendig, erklärt Laborant Arndt Nickel:
"Als erstes wiege ich natürlich ein. Ich wiege in diese Hülsen hier oben. In diese Hülsen kommt diese Erde rein. Und diese Hülsen werden dann nachher ausgekocht dort hinten."
Nebeneinander aufgereiht stehen sechs Glasgefäße. Mit hellgrüner, blassoranger und ganz klarer, blubbernd-köchelnder Lösung, verbunden mit Glasröhren und Spezialfiltern. Ralf Murzen, Geschäftsführer des Bereichs Umweltanalytik bei der GBA, erklärt den nächsten Schritt. Vor sich eine Handvoll daumendicke Glasröhren.
"Sie sehen die verschiedenen Schichtungen hier. Mit verschiedenen Lösungsmitteln. Dann kommt es auf die zweite Säule, wo dann die Störstoffe zurückgehalten werden und im Zielextrakt unten nur noch die Analyten vorhanden sind."
Schritt für Schritt muss das Dioxin von allen Störstoffen getrennt werden. Erst dann findet die eigentliche Analyse statt. Eine Etage tiefer erklärt Laborleiter Thomas Irion den klobigen, fast waschmaschinengroßen Apparat, der die Struktur des Dioxins genau bestimmen kann. Ein Gaschromatograph, der die Masse aller Elemente im Cocktail analysiert.
"Das muss man sich das so vorstellen: diese kleinen Gläschen oder Violen, kleine Gefäße, in denen diese Extrakte abgefüllt sind, stehen auf so genannten Autosamplern und können jetzt im automatisierten Prozess bei dieser gaschromatographischen Analyse abgearbeitet werden."
Am Ende können so 17 unterschiedliche Substanzen nachgewiesen werden. Eine Art Fingerabdruck wird sichtbar, der sich vergleichen lässt mit den Fingerabdrücken bereits bekannter Dioxine. Das Analyseergebnis für den verseuchten Boden in der Boberger Niederung ist nach Angaben der Umweltbehörde klar: Die Spur des Dioxins führt in die Andreas-Meyer-Straße in Hamburg-Moorfleet. Zur stillgelegten Chemiefabrik von Boehringer.
Georgswerder - die (Gift)Mülldeponie
Auf den gleichen Fingerabdruck wie die Laborexperten der "Gesellschaft für Bioanalytik" war schon Anfang der Achtziger Rainer Götz gestoßen. Als junger Mann arbeitet er damals für die städtische "Anstalt für Hygiene", Abteilung "Fluss- und Abwasserhygiene". Sein Auftrag: die Untersuchung von Sickerwässern der Deponie Georgswerder.
"1980 bin ich zu der Behörde marschiert und habe mir die Atteste von Stichproben aus den Abfällen, die bei der Deponie angeliefert wurden, angesehen, weil ich das Untersuchungsprogramm erweitern wollte."
Vor Rainer Götz auf dem Wohnzimmertisch liegen Aktenordner mit wissenschaftlichen Gutachten, jede Menge Untersuchungsberichte. Daneben alte Fotos. Zu sehen sind die riesigen Auffangbecken, ohne jede Abdeckung, unter freiem Himmel.
"Es sind zehn Flüssigkeitsbecken eingerichtet worden. Ein Flüssigkeitsbecken so groß wie ein Fußballfeld und die Höhe dieser Flüssigkeiten betrug einige Meter. Es sind etwa 150.000 Kubikmeter flüssiger Giftmüll dort abgelagert worden."
Zehn Firmen aus der chemischen und der Mineralölbranche lieferten jahrzehntelang ihre Abfälle in Georgswerder ab. Von seinem Chef bekommt Rainer Götz den Auftrag, eine Analysemethode zum Nachweis von Dioxin im Boden zu entwickeln. Dioxin ist seit der Explosion in einer italienischen Chemiefabrik nahe Seveso einer breiten Öffentlichkeit gut bekannt. 1976 wird die Gegend rund um Seveso großflächig verseucht. Und bei der Suche nach vierzig verschollenen Müllfässern mit Seveso-Dioxin wird immer wieder spekuliert: die Seveso-Fässer könnten vielleicht nach Hamburg, auf die Deponie in Georgswerder gelangt sein.
Verheerendes Abfallprodukt
Aber dieser Verdacht bestätigt sich nicht. Der Ursprung des Dioxins liegt nicht in Italien, sondern keine zehn Kilometer entfernt.
"Ich habe dann das Boehringer-Muster gesehen. Das schlug sozusagen wie eine Bombe ein. Da waren die Medien und auch die interessierte Öffentlichkeit schon sensibilisiert für das Thema.'"
Rainer Götz‘ Analysen belegen: Das Gift ist angefallen bei der Herstellung des später verbotenen Insektizids Lindan und von Vorprodukten für Unkrautvernichtungsmittel. Die Idee der Chemiker bei Boehringer - der Abfall aus ihrer Lindan-Produktion sollte veredelt und verkauft werden, erklärt Rainer Götz:
"Sie haben aus dem Abfall von dem Lindan dann Trichlorbenzol hergestellt, haben das Trichlorbenzol chloriert zu Tetrachlorbenzol, dann haben sie Natronlauge dazu gefügt und haben dann dieses 3-4-5-Trichlorphenol gehabt. Das hat man dann mit Essigsäure veresthert und das war dann ein Pestizid."
Das Problem: auch bei der Herstellung der Pestizide fiel Dioxin an. Und das, so Götz, sei auf der Deponie in Hamburg-Georgswerder entsorgt worden.
Die Anwohner und die Kleingärtner auf ihren Parzellen direkt neben der Deponie sind tief verunsichert.
"Meine erste Reaktion war Panik. Panik, hier weg zu müssen. Inzwischen denke ich, ich will mir das in Ruhe überlegen. Ich will eigentlich nicht hier weg, weil ich gerne hier wohne."
"Ich muss sagen, dass wir uns hier reichlich verschaukelt fühlen! Weil wir im Grunde genommen nicht wissen, ob wir hier noch bleiben oder nicht. Ob wir hier an unseren Häuschen noch was machen dürfen."
Mitte der Achtzigerjahren klärt ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft die Hintergründe der Dioxinfunde auf der Müllkippe auf. Für Aufklärung sorgen auch die Recherchen des Norddeutschen Rundfunks. Die Journalisten machen einen der LKW-Fahrer ausfindig, der mit verfremdeter Stimme erzählt, wie sorglos in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit der hochgiftigen Substanz auf der Deponie umgegangen wurde:
"Man hat uns immer gesagt, die Chemikalien fressen sich gegenseitig auf. Es ist mal so gewesen, dass wir da auf den Platz gefahren sind und dann der Platzwart zu uns sagte: 'Was habt ihr drin?' hab ich gesagt: 'Boehringer!' 'Ja', sagt er, 'Komm her. Hier sind wieder Ratten…!' Dann haben wir also unseren Schlauch in die Rattenlöcher reingesteckt und es vergingen ein paar Minuten, dann kamen die Ratten raus, schreiend und quietschend. Ich war der Meinung, dass das nicht schön für die Ratten war. Und auch für uns, der Anblick war nicht gut."
Nach den Dioxinfunden beginnen die ersten Sicherungsmaßnahmen für das Gelände in Georgswerder.
Schadensbegrenzung
Die Verbindung zwischen den Drainagekanälen und den Gräben der Umgebung wird gekappt, und dem Boehringer-Werk wird, mit einem juristischen Trick, ein Weiterproduzieren unmöglich gemacht:
"Dort musste geschlossen werden, weil die Stadt Hamburg dem Unternehmen die Transportgenehmigungen entzogen hat. Und damit war es nicht mehr möglich, Abfälle vom Standort zu verbringen. Das war letztendlich der Grund, warum man die Produktion beenden musste."
Das erklärt Thomas Katenz, einer der beiden Geschäftsführer der "Andreas-Meyer-Straße 31-35 GmbH", einer Tochterfirma von Boehringer Ingelheim. Die Firma "AMS" kümmert sich darum, die Gefahren durch die Giftstoffe im Untergrund des alten Boehringer-Werks zu bannen. Erfolglos wurde versucht, die kontaminierten Böden auf dem Werksgelände zu verbrennen und unschädlich zu machen. Also setzte man auf eine weitere, bis dahin noch nie in großem Stil erprobte Methode:
"Es sollte mikrobiologisch der Untergrund gereinigt werden, über aktivierte Mikroorganismen, natürlich Mikroorganismen, die man anreichern wollte und eben auch füttern wollte mit Nährstoffen. Und die sollten dann eben im Untergrund die Schadstoffe beseitigen, also im Grunde auffressen. Diese Mikroorganismen waren einfach nicht effektiv genug. Die haben zwar gearbeitet, das hätte aber viele Jahrhunderte gedauert, bis man da einen Erfolg bekommen hätte."
Versiegeln und reinigen
Am Ende entschieden sich die Ingenieure dafür, rings um das Gelände eine massive unterirdische Abschirmung zu bauen, erklärt Thomas Katenz:
"Man hat dann tatsächlich um das gesamte Werksgelände eine Dichtwand gebaut aus Bentonit. Bentonit ist eine Zementmischung. Und hat dann diese Wand in bis zu 50 Meter Tiefe in den Glimmer-Ton, der die Schicht, die das Wasser im Grund hält, eingebracht. Bis zu zwei Meter tief in diesen Glimmer-Ton. Um dann eben eine Wand zu haben. So hat man dann eben das komplette Werksgelände, 85.000 Quadratmeter, umschlossen."
Während heute oben auf dem Gelände LKW-Händler ihre Fahrzeuge anbieten, laufen darunter rund um die Uhr die Pumpen. Der Wasserspiegel soll immer unter dem der umliegenden Flächen gehalten werden. 25 Kubikmeter belastetes Wasser werden nach oben gepumpt. Nicht pro Tag, sondern pro Stunde.
Gefahr für das Grundwasser
Noch mehr Aufwand ist nötig, um das Dioxin auf der einstigen Deponie in Georgswerder im Griff zu behalten. Die Umweltingenieure hatten Mitte der Achtzigerjahre entschieden: eine Sanierung des 25 Hektar großen Geländes, von rund 200.000 Tonnen Giftmüll ist technisch wie finanziell kaum umsetzbar. Und setzten stattdessen auf eine Abdeckung der Deponie mit einer zwei Meter dicken Mergel- und Drainageschicht und auf eine wasserundurchlässige Kunststofffolie. Über dem Berg sei so ein gigantischer Regenschirm aufgespannt worden, erklärt Elisabeth Oechtering, die Leiterin der Abteilung Boden und Altlasten in der Hamburger Umweltbehörde, im Besucherraum der alten Deponie:
"Der Regenschirm verhindert, dass sich die Deponie immer weiter vollsaugt. Man ist mal davon ausgegangen, dass das Wasser, was in diesem Müllberg drinsteckt, irgendwann nach unten rausgesickert ist, dass kein neues mehr hinzukommt und dass man das mit einem quasi geschlossenen System zu tun hat. Inzwischen hat sich der Wasserstand auf ein niedriges Niveau eingependelt. Es bleibt aber immer noch Wasser im Berg. Das heißt, wir haben immer noch damit zu tun, dass es über das Grundwasser einen Schaden gibt, der sich der Umgebung mitteilt."
Denn eine wasserundurchlässige Sperre unterhalb der Deponie gibt es nicht. Auch deshalb gibt es im Untergrund außerhalb der Deponie eine so genannte "Fahne", einen Bereich, in dem Giftstoffe durch Grundwasserströmungen verdriftet werden.
"Es gibt also auch außerhalb der Deponie Sanierungsbrunnen, über die wir die Schadstoffe quasi zurückhalten, einfangen und die Reinigungsanlagen hier vor Ort zurückspeisen."
Giftmüllentsorgung - ganz legal
Die Besucher des kleinen Info-Zentrums können Filme über die Geschichte des Müllbergs sehen, etwas darüber erfahren, woher das Dioxin stammt und dass das Abkippen des Gifts in Georgswerder noch nicht einmal illegal war.
"Wir wissen aus Befragungen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dass Material ganz geregelt vom Gelände der Andreas-Meyer-Straße hierher gebracht wurde. Das ist bekannt. Das ist protokolliert."
"Mit Genehmigung und amtlichem Stempel?"
"Mit Genehmigung und amtlichem Stempel, genau."
Maren Gätjens ist die leitende Ingenieurin der Anlage. Sie zeigt einen DIN A5-großen Ausschnitt der Original-Abdeckfolie, die im Besucherzentrum ausgestellt ist:
"Das ist zweieinhalb Millimeter dicke, schwarze, sehr feste Folie. Folie ist nicht so ganz der richtige Ausdruck. Sie ist richtig brettartig und hat an der Unterseite kleine Pikser dran. Sechs Millimeter lange Spitzen, die, wenn die Folie verlegt wird, dafür sorgen soll, dass die Folie nicht verrutscht. Das ist besonders wichtig auf der oberen Abdeckung, auf der Kuppe, weil dort eben eine Hanglage vorherrscht und da soll die Folie eben nicht verrutschen."
44 Schächte, davon 14 Pumpschächte sind auf dem Gelände verteilt, um das hochgiftige Wasser-Öl-Gemisch aufzufangen. Maren Gätjens, einen dicken Schlüsselbund in der Hand, führt zusammen mit Elisabeth Oechtering an Wellblechhallen vorbei. Warnschilder an den dicken Stahltüren weisen auf die Gefahren dahinter hin.
"Das ist ein Sicherheitsbereich hier, ein Sicherheitsgelände. Wir haben hier Arbeitsschutzbestimmungen, Betriebssicherheitsverordnungen und Betriebsanweisungen einzuhalten. Wir arbeiten hier mit kontaminierten Materialien. Und deshalb ist hier der Zutritt von Leuten absolut verboten."
Ein giftgrüner Hügel
Leichter Nieselregen fällt auf den grauen Asphalt, ein paar hundert Meter entfernt dröhnt der Verkehr über die Autobahn. Beim Vorbeifahren sieht die einstige Müllkippe in Hamburg-Georgswerder aus wie ein grüner beschaulicher Hügel in der flachen Landschaft. Oben dreht sich ein Windrad. Unten, am Fuße des Hügels zeigt Maren Gätjens einen der 44 Schächte, in denen das Sickerwasser aus dem Inneren der versiegelten Müllkippe gesammelt wird. Ein Mitarbeiter der Deponie entriegelt mit einem schweren Spezialschlüssel den kreisrunden Edelstahldeckel im Boden, öffnet den Schacht.
"Dieser Schacht ist ungefähr sechs Meter tief. Man sieht hier sehr viele verschiedene Leitungen. Das sind Entlüftungsleitungen, Spülleitungen. Unter diesem Boden liegt das richtig Eingemachte. Da drunter ist nämlich die Drainage mit der Sickerflüssigkeit aus dem Berg, direkt aus dem Berg."
Bis in die Siebzigerjahre hinein entsorgte Boehringer die Abfälle aus seiner Fabrik in Georgswerder.
"Das sind nur ein ganz paar Jahre gewesen. Aber die haben es eben geschafft, diesen Ort gründlich zu kontaminieren."
Es geht zurück zu einer der Wellblechhallen, wo die aufgefangenen Flüssigkeiten aus der Deponie behandelt werden. Rohrleitungen durchziehen den Raum. Gekoppelt mit Ölabscheidern. Dioxin ist nur schwer wasserlöslich, haftet dafür aber an Ölmolekülen. Kleine Fenster geben den Blick ins Innere der Ölabscheider frei:
"Man sieht es hier. Das sieht sehr lecker aus."
"Das ist so schwarz-klumpig."
"Ja, es ist teerig, schwarz-teerig und stinkt entsetzlich. Von diesen seitlichen Kammern wird es direkt drüben in die Tankcontainer gepumpt. [Zischen] Das heißt: niemand fasst das Öl mehr an, niemand muss was umpumpen oder schaufeln. Sondern das geht vollautomatisch. Und dieser Tank-Container wird, wenn er dann entleert werden muss, auf einen Kran genommen, so wie er ist, zur AVG gebracht und dort direkt an die Entleerung angehängt."
Eine Aufgabe für die Ewigkeit
Die AVG ist die Abfall-Verwertungs-GmbH. Nicht weit entfernt vom einstigen Boehringer-Gelände kann hier der dioxinverseuchte Ölschlamm bei über 1.100 Grad verbrannt und so unschädlich gemacht werden. 8.000 Kubikmeter Flüssigkeit werden jedes Jahr aus dem Inneren der Deponie abgepumpt. Ein Ende dieser Sicherungsmaßnahmen ist nicht in Sicht:
"Bisher ist es nicht absehbar. Vielleicht gibt es irgendwann einmal eine Technik, mit der man den Berg auch abbauen kann. Derzeit halte ich das nicht für möglich. Der Kostenaufwand wäre gar nicht abschätzbar. Man müsste einen Arbeitsschutz treiben, da müsste man ganz Wilhelmsburg evakuieren, wenn hier diese Becken geöffnet werden. Vielleicht gibt es eine Eiszeit, die alles mal zuschiebt, weiß ich nicht. Es ist für uns eine Ewigkeitsaufgabe!"
Der ursprüngliche Plan, die Deponie in Georgswerder durch die Drainageleitungen im Berg komplett auszutrocknen, ist bislang nicht aufgegangen. Immer noch dringen, weil eine Abdichtung unter den alten Flüssigkeitsbecken fehlt, Schadstoffe, auch Dioxin ins Grundwasser. Deshalb laufen auch außerhalb des einstigen Deponiegeländes weiterhin die Pumpen. Die kontaminierte Grundwasserfahne im Untergrund soll auf diese Weise begrenzt, im besten Fall verkleinert werden.
Gefahr gebannt aber nicht beseitigt
Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt- und Naturschutz in Hamburg, begleitet die Sicherungsmaßnahmen auf dem alten Deponiegelände schon seit Jahren. Grund zur Besorgnis bestehe derzeit trotz der austretenden Schadstoffe nicht, sagt der Umweltschützer:
"Das wird sehr konsequent aufgefangen und dann auch entsprechend in einer Sondermüllverbrennungsanlage beseitigt. Das ist eingespielt, das wird auch immer mal wieder überwacht. Der BUND ist mit an Bord bei diesen Diskussionen. Und ich habe den Eindruck, das funktioniert. Aber man muss vor allem sicherstellen, dass das auch wirklich dauerhaft gemacht wird. Das ist ansonsten, wenn man jetzt da nachlassen würde, nicht gut."
Knapp 700.000 Euro gibt die Freie und Hansestadt Hamburg jedes Jahr für die Sicherungsmaßnahmen in Georgswerder aus. Die Firmen der Chemie- und Mineralölindustrie, die die Verseuchung verursacht haben, allen voran Boehringer, kamen günstiger davon. Sieben Unternehmen zahlten an die Stadt insgesamt und einmalig 23,4 Millionen D-Mark. Eine echte Sanierung, also das Auskoffern aller Schadstoffe in Georgswerder, kann sich BUND-Mann Manfred Braasch derzeit nicht vorstellen:
"Natürlich wäre es in letzter Konsequenz auch wichtig, auch mal in diese Deponie zu gucken: Was ist da tatsächlich drin? Was gibt es dort für Entwicklungen, auch über die Jahre? Wie verändern sich die Verbindungen, etcetera. Aber ob man diesen Weg wirklich beschreiten will, das müssen sich die Experten in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren mal intensiv anschauen."
Picknick auf dem "Monte Mortale"
Seit einigen Jahren, seit der Internationalen Bauaustellung im benachbarten Wilhelmsburg, hat der als "Monte Mortale" oder "Dioxinberg" verschriene Deponiehügel einen neuen, offiziellen Namen. Aus dem "Dioxinberg" wurde der "Energieberg". Elisabeth Oechtering aus der Hamburger Umweltbehörde:
"Energieberg hat damit zu tun, dass diesem Ort, der Deponie Georgswerder, ein positives Image gegeben werden sollte. Das Motto lautet: 'Aus alten Lasten neue Energien machen'. Man hat Photovoltaikanlagen an den Berg gestellt, man hat ein Windrad oben draufgesetzt. Und man nutzt das Deponiegas, das hier immer noch entsteht, in der Deponie selber und leitet es zur benachbarten Industrie. Zu der Kupferhütte. Dort wird verbrannt."
Und senkt so den Verbrauch an Erdgas. Rings um das Windrad wurde ein Rundweg angelegt und auf einem Teil der Rasenfläche ringsherum können nun Ausflügler ihre Picknickdecken ausbreiten, den Blick aus 40 Meter Höhe auf die Hansestadt genießen. Hamburg würde gern abschließen mit seinem giftigen Industrieerbe, aber so leicht ist es nicht. Das zeigte zuletzt der Dioxin-Fund in der Boberger Niederung.
Zusätzlich zu den dort veranlassten Bodenuntersuchungen analysierte die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz die Daten des Krebsregisters. Das Ergebnis: Es gab und gibt in der Gegend rund um die jüngste Fundstelle keine erhöhte Zahl von Krebserkrankungen. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks:
"Wir haben ja viele Szenarien durchgespielt. Sind immer vom Worstcase ausgegangen, haben Bodenproben genommen, haben Proben von Beeren, Pilzen, von den Fischen aus den Angelteichen genommen und unterm Strich keine erhöhte Belastung an Beeren, Pilzen und Fischen. Wir haben auch überlegt: kann man das aufgenommen haben durch Atemwege, beim Joggen, beim Spazierengehen. Auch das ist zu verneinen. Man muss also schon unmittelbar Boden zu sich genommen haben und auch mehr als einmal aus diesem belasteten Gebiet. Das ist höchst unwahrscheinlich."
Was passiert mit den neuen Dioxin-Funden?
Was mit dem dioxinverseuchten Erdreich im Naturschutzgebiet Boberger Niederung passieren soll, ist derzeit noch nicht klar. Offen ist auch, wie es dorthin gelangt ist. Vielleicht wollte der Fahrer eines Giftmüll-LKW sich in den Sechzigerjahren einfach den Weg nach Georgswerder sparen. Vielleicht hatte er den Auftrag, seine Ladung genau dort zu entsorgen. Konkrete Hinweise gibt es nicht.
Wenn feststeht, wie tief das Dioxin in den Boden des Naturschutzgebiets eingesickert ist, soll entschieden werden, ob das Erdreich weiträumig ausgebaggert und entsorgt wird oder ob auch hier eine Abdichtung mit dicken Folien die Gefahr bannen soll. Wird am Ende auch das Chemieunternehmen Boehringer für einen Teil der Sanierungs- oder Sicherungskosten aufkommen? Thomas Katenz von der Boehringer-Tochter AMS:
"Zu diesem jetzigen Zeitpunkt, denke ich, sind noch viel zu viel Fragen offen. Wir werden uns da nicht zu äußern."
Für Hamburgs grünen Umweltsenator Jens Kerstan ist zwar erwiesen, dass die neuen Dioxinfunde eindeutig aus der Produktion von Boehringer stammen. Aber auch Jens Kerstan hält sich noch bedeckt:
"In der Tat wäre es, glaube ich, falsch, angesichts dieser doch gravierenden Belastungen mit Dioxin da nur auf das Strafrecht zu gucken. Sondern Produzenten sind gut beraten, eben auch gesellschaftliche Verantwortung für ihre Produkte zu übernehmen. Auch, wenn sie irgendwo landen und man nicht weiß, wie sie dahin gekommen sind. Im Moment sind wir da, glaube ich, in konstruktiven Gesprächen, darum will ich das jetzt in der Öffentlichkeit nicht weiter vertiefen. Die Erwartung der Stadt ist relativ klar: wir erwarten da einen Beitrag."