Der ressentimentgeladene Protest aus rechten oder rechtsnationalen Kreisen gegen Theater oder soziokulturelle Einrichtungen ist gefährlich für die Freiheit der Kunst. Aber es gibt auch eine beängstigende Sprachlosigkeit zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, die Verengung der Sichtweisen auf nur die eigene Position und eine große Lust, freie Meinungsäußerung durch Denk- oder Rede- oder Veranstaltungsverbote oder -absagen zu verunmöglichen. Wie politisch darf, wie politisch muss Kunst in diesen Zeiten sein?
Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD) beschreibt das Phänomen so: "Das Offensichtlichste ist, dass rechte Gruppen ein bestimmtes Identitätsverständnis einer Nation versuchen auch in die Kunst und Kultur hineinzubringen. Dann wird der Kultur gerne auch wohlmeinend die Aufgabe aufgebürdet, etwas zu kitten, was sie vielleicht gar nicht kitten kann. Auch das schränkt sie in ihrer Freiheit ein. Und dann erleben wir eine Vielzahl von Gruppen, die sagen: Wir sind so lange nicht in der Lage gewesen, unsere eigene Geschichte zu erzählen, wir wollen das Primat unserer Selbstdefinition haben. Diese gesamte Gemengelage führt dazu, dass aus vielerlei Gründen die Räume, in denen man sich vollkommen frei äußern kann, vermeintlich enger werden, während sie gleichzeitig auch wiederum weiter werden, weil es ja fast nichts gibt, was momentan in der Gesellschaft nicht gesagt werden kann."
Kunst muss nicht neutral sein
Dem Neutralitätsgebot, das die AfD beispielsweise für die Kunst fordert, erteilt Brosda eine deutliche Absage. Das Argument, man bräuchte "mindestens 20 Prozent AfD-kompatible Stücke auf dem Spielplan, wenn die AfD 20 Prozent im Stadtrat hat", sei delikat, weil es scheinbar juristisch und verrechtlicht daher komme. "Dieses Argument schränkt aber natürlich genauso Kunstfreiheit ein, weil es die unbedingte Freiheit zur Einnahme einer Position oder auch einer radikalisierenden Position deutlich zu minimieren versucht."
Die Kulturminister der Länder hätten im vergangenen Jahr ausdrücklich festgehalten, dass sie das Neutralitätsgebot anders verstehen. Die Freiheit liege in der Freiheit der Institution, und eben nicht beim Förderer, der dann letztlich inhaltliche Vorgaben macht.
Zugang zu Ressourcen auch für Minderheiten
Jene Minderheiten, die als marginalisierte Gruppen deutlich mehr Aufmerksamkeit beanspruchen und dem Theater verbieten wollen, zum Beispiel in ihrem Namen zu sprechen, sieht Brosda als anderen Fall: "Es gibt im postkolonialen Diskurs die schöne Formulierung: 'Alles über uns ohne uns ist gegen uns'. Darin gerinnt im Prinzip die Überzeugung, dass man, wenn ihr nur über uns sprecht, wir aber nicht Teil dieses Gesprächs sind, ist das natürlich ein Wiederherstellen der Herrschaftsverhältnisse. Das sind Gruppen, die völlig zurecht einklagen, dass sie Teil eines gesellschaftlichen Gesprächs sein wollen. Und ich glaube, in dem Moment, indem sie das plausibel und ausreichend sind, wird sich auch die Frage darüber 'dürfen andere sich auch zu uns äußern', etwas relativieren."
Das sei aber weniger eine Frage der künstlerischen Freiheit, sondern: "Im Kern geht es um die Zugänglichkeit zu Ressourcen, zur Teilnahme am gesellschaftlichen und künstlerischen Gespräch."
Vielfalt als Aufgabe von Kulturpolitik
Natürlich sei die Gesellschaft vielfältiger geworden. Demokratische Politikerinnen und Politiker und auch demokratische Aktivistinnen und Aktivisten aller anderen Couleur seien aufgefordert, in die Auseinandersetzung zu gehen darüber, was denn eigentlich dieses neue "Wir" ausmacht. Auch Kulturpolitik sei heute mehr als das Verschieben von Fördergeldern.
"Wir haben die Aufgabe, Identifikationsangebote zu schaffen, die nicht mehr rassistisch sind, die nicht quasi faschistisch sind, die nicht ausgrenzend sind, die nicht einzelne Gruppen verächtlich machen, aus der Gesellschaft heraus drängen sollen, sondern die damit umgehen, dass unsere Gesellschaft so ist, wie sie nun mal ist und die akzeptieren, dass eine Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit mit sich selber klarkommen muss." Das sei eine Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Carsten Brosda, geboren 1974, hat über "Diskursiven Journalismus" promoviert. Er war Referent für Grundsatzfragen und Abteilungsleiter Kommunikation im SPD-Parteivorstand, danach u.a. Leiter des Amtes Medien in der Hamburger Senatskanzlei. Seit 2017 ist er Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.