Andreas Main: Muslimische Hörerinnen und Hörer müssen jetzt stark bleiben. Unser Gesprächspartner, der mir gegenüber sitzt, regt nicht nur traditionelle Muslime auf. Auch für jene Muslime, die als liberal bezeichnet werden, ist er ein rotes Tuch: der gebürtige Ägypter und einstige Muslimbruder Hamed Abdel-Samad. In den vergangenen Jahren hat er immer wieder den real existierenden Islam scharf kritisiert – vor allem das, was er als islamischen Faschismus bezeichnet. Jetzt geht er einen Schritt weiter – Hamed Abdel-Samad geht ans Eingemachte. Er kritisiert in seinem neuen Buch nicht nur bestimmte muslimische Strömungen, er kritisiert den Propheten. Er nimmt Mohammed auseinander. Der Titel des Buches, der für sich selbst spricht: "Mohamed: Eine Abrechnung". Guten Tag, Herr Abdel-Samad.
Hamed Abdel-Samad: Guten Tag. Hallo.
Main: Hamed Abdel-Samad, schon bevor das Buch erschienen ist und bevor auch nur ein Satz aus diesem Buch zu lesen war, schlugen viele – durchaus auch gemäßigte – Muslime im Internet auf Sie ein. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum so viele Menschen auf Sie so allergisch reagieren?
Abdel-Samad: Mohammed ist natürlich für viele Muslime – nicht nur für radikale Muslime – unantastbar. Er wird verklärt und verehrt. Viele Muslime halten ihn für ihre Existenzberechtigung – Raison d'Être. Deshalb bewerten sie jede Kritik an ihm als ein Frontalangriff auf sich selbst. Genau das will ich verändern mit diesem Buch, damit die Mohammed-Kritik irgendwann eine Normalität wird.
Main: Sie sind Mohammed-Kritiker, Sie sind islam-kritisch. Sind Sie islamophob?
Abdel-Samad: Was bedeutet das? Was bedeutet islamophob? Phobie ist eine Krankheit, unerklärliche Angst. Und Menschen, die Sorgen und Ängste vor bestimmten Entwicklungen innerhalb des Islam haben, als islamophob zu bezeichnen, ist eigentlich eine Diffamierung. Diese Menschen sind nicht krank, sondern haben sehr oft berechtigte Ängste in Bezug auf den Islam.
"Zum Humanismus gehört Religionskritik"
Main: Jemanden als Islam-Kritiker zu bezeichnen, in bestimmten Kreise ist das, als ob man jemanden per se verurteilen würde, weil er islam-kritisch ist. Also, wie geht es Ihnen, wenn Sie als Islam-Kritiker bezeichnet werden?
Abdel-Samad: Ich bin Gesellschaftskritiker, ich bin ein Denker, ich bin Politikwissenschaftler und habe auch als Islamwissenschaftler vier Jahre lang gearbeitet und an der Uni gelehrt. Islam-Kritiker ist keine richtige Bezeichnung. Ich bin Humanist in allererster Linie, ein Mensch. Und zum Humanismus gehört Religionskritik, zur Aufklärung gehört Religionskritik. Das Judentum und das Christentum mussten durch diesen Weg gehen, und dieser Kelch geht auch an Muslime nicht vorbei.
Main: Deswegen plädieren Sie für eine Entmystifizierung Mohammeds: Würde Mohammed, der Prophet, nicht ausschließlich als Prophet gesehen, sondern eben auch als Mensch, könnte man normale kritische Maßstäbe an ihn legen und würde sich nicht so fokussieren auf diese Person?
Abdel-Samad: Genau das. Das Problem ist nicht, was Mohammed gesagt oder getan hatte damals. Man könnte das im historischen Kontext teilweise verstehen. Das Problem ist, dass Mohammed heute von seinem Grab aus regiert, dass er so viel Macht hat, dass er als moralisches und politisches Vorbild für viele Muslime gilt. Dann kann man nicht mit menschlichem Maßstab mit seinem Handeln und seinen Aussagen umgehen. Erst, wenn er Mensch wird, was er ja immer war, dann könnte man historisch-kritisch mit seinem Werk umgehen.
"Wir müssen an den Versen des Koran herumschrauben"
Main: Historisch-kritische Exegese im Christentum hat dann ja irgendwann dazu geführt, dass man zur Erkenntnis gekommen ist, ein Leben Jesu rekonstruieren zu wollen, führt nicht zu allzu viel. Sondern man ist dann zu dem Ergebnis gekommen, das sind Texte, in denen sich Autoren, in den sich die christliche Gemeinde äußert, was sie glaubt von Jesus. Ist denn unter Umständen eine theologische Herangehensweise an Mohammed - könnte die denn nicht womöglich dazu führen, auch Islamistisches zu entschärfen?
Abdel-Samad: Aber zuerst muss Mohammed und der Koran entmystifiziert werden. Solange sie unantastbar sind, solange der Koran als das absolute und letzte Wort Gottes gilt, kann man den Koran nicht umdeuten, kann man nicht hermeneutisch rankommen. Was wir brauchen, ist nicht, dass wir an den Versen des Korans herumschrauben, bis sie modern werden. Das wird nie passieren. Wir müssen den Koran selbst entmachten als politisches Instrument. Ich kann die Friedenpassagen im Kontext verstehen und die Gewaltpassagen im Kontext verstehen. Beide stammen aus dem 7. Jahrhundert, beide stammen aus der Psyche und dem Handeln von Mohammed als Person und seiner Gemeinschaft und haben in dem 21. Jahrhundert nichts zu suchen. Theologische Spiele können für Theologen sehr spannend sein. Aber man kann nicht das Gleiche tun mit dem Islam, was mit dem Christentum oder mit den christlichen Texten gemacht worden ist, denn im Christentum gelten diese Texte als von Menschen geschrieben, auch wenn manche Theologen sagen, von Gott inspiriert. Aber das haben Menschen geschrieben. Wir kennen die Namen dieser Menschen, die diese Texte geschrieben haben. Und das macht die Sache natürlich leichter. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch das Vorbild Jesus. Das konnte schon als Alibi für Reformer gelten. Nein, nein – auch wenn die Kreuzritter ein paar Blödheiten im Mittelalter veranstaltet haben, kehren wir zurück zum Vorbild Jesus, dann stellen wir fest, dass er niemand umgebracht hatte, dass er keine Eroberungskriege geführt hatte, dass er keine Ehebrecherinnen steinigen wollte. Und da kommt man schon an was Humanistisches ran. Und wenn er sagt, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist, dann ist das eine gute Grundlage für den Säkularismus. All das gibt es im Islam nicht, denn Mohammed war Kaiser und Prophet gleichzeitig. Er hatte eine Armee und war Finanzminister und war Polizist und Richter und hatte alle Funktionen mit der Religion vermischt. Und das nenne ich Geburtsfehler des Islam – und bis heute heilt dieser Fehler eben nicht.
Main: Was das Historisch-Kritische betrifft, da möchte ich auf einen Punkt eingehen: sein Verhältnis zu Frauen. Und da müssen Sie als Gesellschaftskritiker sich womöglich auch ein wenig Kritik gefallen lassen. Mich überzeugt das nicht ganz so, wenn Sie etwas Verlässliches über das Sexualleben Mohammeds aussagen wollen. Was wissen Sie über seine vielen Frauen, die vor 1400 Jahren gelebt haben?
Abdel-Samad: Wir haben ja anerkannte islamische Quellen. Wir haben den Koran als eine Quelle, die von allen Muslimen anerkannt wird. In diesem Koran wird erzählt, dass Mohammed die Frau seines Sohnes von ihm scheiden lässt, um sie selber zu heiraten und dafür eine Genehmigung von Gott gebraucht hatte. Es gibt zahlreiche anerkannte Hadithe, Überlieferungen des Propheten, in seiner Biografie, die von all diesen vielen Frauen erzählen. Sein Frauenproblem führe ich zurück auf sein Kindheitstrauma eigentlich: seine Beziehung zu seiner Mutter. Er ist ein Waisenkind gewesen. Sein Vater starb, bevor er geboren war. Seine Mutter hat ihn schon als Säugling drei Wochen nach seiner Geburt abgegeben an eine fremde beduinische Familie, um ihn großzuziehen, und sie lebte noch. Und er hatte diese Sehnsucht nach der Mutter. Er hatte das Gefühl, dass er nicht gewollt war. Das verstört natürlich eine Persönlichkeit. Deshalb wurde er zum Narzisst, deshalb wurde er zum Paranoiker.
"Eltern dürfen ihre Kinder nicht religiös indoktrinieren"
Main: Hamed Abdel-Samad, Sie bezeichnen sich selbst als Humanist. Dennoch an Sie die Frage: Gibt es nicht auch die Gefahr, dass man als liberaler Mensch illiberal wird. Wenn Sie sagen, Sie können mit dem Gottesbild Mohammeds nichts anfangen, weil er Anweisungen gibt vom Schlafrhythmus bis zum Toilettengang, dann ist das ja Ihr gutes Recht. Aber warum stört es Sie, wenn andere sich solchen Regeln unterwerfen – wann Sie sich zum Beispiel die Hand waschen?
Abdel-Samad: Die können machen, was sie wollen, in ihren privaten Räumen. Es gibt unterschiedliche Religionen. Es gibt so viele auch komische Formen von Ritualen. Es gibt tatsächlich Leute, Männer, die sich im Wald treffen und auf einem heißen Stein pinkeln und das ist für sie Religion. Sollen sie ruhig machen, solange sie das versteckt im Wald machen. Aber wenn die das in der Schule machen – ich will nicht, dass irgendjemand in der Schule pinkelt vor mir. Das ist nicht Islam – aber es ist halt ein Bild. Man kann machen, was man will in seinen privaten Räumen. Man darf aber dabei die Öffentlichkeit nicht belästigen und man darf auch seine Kinder nicht damit indoktrinieren, dass sie das tun müssen. In Deutschland vor allem gilt das Grundgesetz. Im Artikel 2 des Grundgesetzes gilt, dass die freie Entfaltung der Menschen gewährleistet ist. Und wenn die Eltern ihre Kinder religiös indoktrinieren, sie vom Schwimmunterricht abhalten, sie mit sechs Jahren zwingen, Kopftuch zu tragen, dann verstößt das gegen Artikel 2. Dann interessiert mich Artikel 4 in dieser Frage nicht – von Glaubensfreiheit. Denn Glaubensfreiheit darf niemals die Freiheit des Einzelnen, was ja die Grundlage für unsere Demokratie ist, in Frage stellen.
"Man muss den Leuten sagen: Das ist eine freie Gesellschaft!"
Main: Hamed Abdel-Samad, heute ist Tag der Deutschen Einheit. Deutschland wird sich verändern angesichts des Zustroms von Flüchtlingen, die zum großen Teil Muslime sind. Sie als Islam-Kritiker – womit rechnen Sie für die nächsten Jahre?
Abdel-Samad: Ich weiß nicht, was es genau bedeutet, Deutschland muss sich verändern. Was genau muss sich verändern? Ja, strukturell müssen wir alle uns verändern wegen der Globalisierung. Vielleicht die Bildungspolitik sollte sich verändern, damit auch die neuen Migranten schnell sich zu Hause fühlen und Teil dieser Gesellschaft werden. Was auf gar keinen Fall sich verändern darf, ist unsere Haltung zu den Werten der Freiheit und der freien Meinungsäußerung - und die Kritikfähigkeit. Ich sehe da manchmal ungesunde Tendenzen, wenn an manchen Schulen gewarnt wird, Mädchen sollten keine kurzen Röcke tragen, damit sie Asylanten nicht provozieren. Man nimmt die Logik der Fundamentalisten auf und übernimmt das. Das finde ich keine gute Art. Diese Veränderung brauchen wir nicht. Ich hoffe, dass die deutsche Gesellschaft, die Politik, aber auch die liberalen Muslime mehr tun für die Aufnahme dieser Menschen, indem sie ihnen schon bei ihrer Ankunft erklären, wie eine offene Gesellschaft funktioniert. Sie müssen es ihnen erklären. Es muss ja einen Grund geben, warum diese Menschen aus einem islamischen Land fliehen und nicht zu einem anderen islamischen Land fliehen, sondern in das Land der sogenannten Ungläubigen fliehen. Diese Freiheit, dass man hier in Deutschland sowohl Jesus als Mohammed karikieren darf, dass alle Religionen frei ausgelebt werden können, aber auch kritisiert werden dürfen – diese Werte haben Deutschland zu dem gemacht, was Deutschland ist. Und davor muss man sich nicht verstecken, dafür sollte man sich nicht entschuldigen und daran sollte man auch nichts ändern. Denn das sind die Werte, die Deutschland so liebenswürdig gemacht hat, so dass Muslime lieber in Deutschland bleiben und nicht nach Saudi-Arabien, wo der Islam geboren ist, flüchten. Der Islam hat in diesen Ländern auch einen Beitrag geleistet für das Scheitern dieser Gesellschaften. Und es darf hier nicht der gleiche Islam noch mal sich wieder beleben und wieder im Namen der kulturellen Toleranz oder Vielfalt die gleiche Form von Islam noch mal wieder belebt werden. Nein, man muss aus den Fehlern in Bezug auf Integration in der Vergangenheit lernen, und man muss bewusst zu seinen Werten stehen und ganz am Anfang diesen Leuten sagen: Willkommen hier! Ihr könnt Teil dieser Gesellschaft werden, aber diese Gesellschaft ist eine Mitmach-Gesellschaft, es ist eine freie Gesellschaft. Schwule können in diesem Land ihre Sexualität ausleben, Lesben. Es gibt keinen Unterschied zwischen Jude, Muslim und Christ und Atheist – alle sind Bürger, und die Religion bestimmt nicht die Gesetze und nicht den Alltag. Wenn wir das diesen Leuten klar machen von Anfang an, dann gibt es die Hoffnung. Und genau das erwarte ich von den liberalen Muslimen, dass sie diesen Leuten, die zu uns kommen, das genau erklären. Und dass sie nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sind, den Islam zu verklären und Scharia und Demokratie als vereinbar uns zu verkaufen. Das bringt nichts.
Main: Andernfalls bekommen jene Asylbewerber, die Religion kritisiert haben – sei es in Pakistan oder Bangladesch – die dann dort als Apostaten, als Abfällige vom Glauben, verfolgt werden, dann bekommen die nämlich andernfalls hier auch noch mal Stress.
Abdel-Samad: Genau das. Es gibt viele Menschen, die auch vor dem Islam geflüchtet sind und hier eine Form des Islam vorfinden, die sie wieder angreift. Und das darf nicht sein. Diese Gesellschaft lebt von der Freiheit. Eine offene Gesellschaft muss Kritik dulden. Man muss lernen, dass in dieser Gesellschaft niemand über dem Gesetz steht – weder Jesus noch Mohammed noch Papst noch die Kanzlerin. Niemand ist immun gegen Kritik und Satire.
Main: Und dann ist Einheit auch möglich.
Abdel-Samad: Dann ist Einheit möglich, wenn wir das finden, was uns verbindet. Und das ist das Grundgesetz. Das sind die Werte der Freiheit und der Vielfalt und dass die irdischen Gesetze unser Zusammenleben bestimmen und nicht irgendwelche Befehle von irgendwelchen Kreaturen im Himmel.
Main: Hamed Abdel Samad. Sein neues Buch, das jetzt zum Ende der Woche erschienen ist, heißt "Mohamed – Eine Abrechnung". Es ist im Verlag Droemer erschienen – rund 240 Seiten kosten 20 €. Hamed Abdel Samad. Schön, dass wir uns treffen konnten – danke für das Gespräch.
Abdel-Samad: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.