"Dieses Buch ist das zweitschwierigste, nach 'Delitto imperfetto', dem Buch, in dem ich die Hintergründe des Mordes an meinem Vater aufdeckte und das mich emotional sehr aufwühlte."
In "La Convergenza", seinem neuen Buch, beschreibt Nando Dalla Chiesa, was die Politik in den vergangenen 20 Jahren alles zugunsten der Mafia getan hat. Und mit Mafia sind alle drei kriminellen Vereinigungen Italiens gemeint: die sizilianische Cosa Nostra, die kalabrische Ndrangheta und die Camorra aus dem Umland von Neapel. Der Band beginnt mit einem kurzen historischen Exkurs:
Als die Alliierten in Sizilien landeten, halfen ihnen die italo-amerikanischen Mafiaverbindungen, die Herrschaft über die Insel zu erlangen. So wie Giuseppe Garibaldi schon auf die Unterstützung der Camorra zählen konnte, als er Neapel eroberte. Nach 1945 waren es dann oft die lokalen Bosse, die über ganz Sizilien verteilt politische Posten bis hin zum Bürgermeisteramt besetzten. Der gemeinsame Feind von US-Regierung und von Cosa Nostra war von nun an der Kommunismus.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Mauer 1989 endet auch die amerikanische Einflussnahme auf die italienische Politik. Die Angst vor den Kommunisten ist kein wahlentscheidendes Argument mehr und die Christdemokraten, die bisher als Bollwerk gegen den Kommunismus dienten, ringen an der Wahlurne um ihre Daseinsberechtigung. Den entscheidenden Schlag erhält die Partei dann durch die Mailänder Schmiergeldskandale Anfang der Neunziger Jahre. Zu viele Christdemokraten haben sich von Unternehmern im Tausch gegen öffentliche Aufträge bestechen lassen. Die Partei löst sich auf, so wie das gesamte politische System des Landes. Die Karten werden neu gemischt, Italiens "Zweite Republik" entsteht. Das Grundmotiv für die Übereinstimmungen zwischen Mafiainteressen und Staatsräson fällt damit eigentlich weg. Eigentlich. Denn seltsamerweise treffen sich in den nächsten Jahren wiederholt Carabinieri mit Delegierten der Mafia, wie Nando Dalla Chiesa in seinem Buch beschreibt.
Die Mafia war geschwächt. Aber sie war nicht gewillt, auf ihre Macht zu verzichten. Mit den Morden an den Ermittlungsrichtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Sommer 1992 erklärte sie nicht nur der Justiz, sondern auch dem Staat den Krieg. Mit den Bombenanschlägen in Mailand, Rom und vor den Uffizien in Florenz 1993 trieb sie Italien ins Chaos. Wer immer Italien (nach dem Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems) regieren wollte, musste seine Rechnung mit der Mafia machen – das war die Botschaft. Cosa Nostra suchte nach neuen Ansprechpartnern in der Politik.
Und sie wird fündig.
"Ich glaube, die Mafia hat damals in eine neue Partei investiert: die Forza Italia."
Nando Dalla Chiesa belegt seinen Vorwurf mit Aussagen verschiedener Kronzeugen, die von mehreren Staatsanwaltschaften als glaubwürdig beurteilt wurden. Sogar von einem Treffen des damaligen Geschäftsmanns Silvio Berlusconi mit Mafiaboss Stefano Bontate wird berichtet. Dabei soll es um finanzielle Hilfe für Berlusconis Bauprojekte in Mailand gegangen sein und um die Unterstützung einer neuen Partei durch die Stimmen der Mafia. Neben Indizien gibt es aber auch Gerichtsurteile, die in dieselbe Richtung weisen. So wurde Silvio Berlusconis sizilianischer Freund und Forza-Italia-Mitgründer Marcello Dell`Utri in zweiter Instanz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er als Vermittler zwischen dem heutigen Ministerpräsidenten und der Cosa Nostra agiert hat.
"Wir dürfen aber auch nicht die Mitte-Links-Parteien vergessen."
Das haben die Anti-Mafia-Politiker in Italien jedoch jahrelang getan. Und hier liegt das Verdienst von Nando Dalla Chiesa. Er schont niemanden bei der Suche nach Berührungspunkten zwischen Mafia und Politik, aber er differenziert. Zwischen Politikern, die im Interesse der Mafia arbeiteten und Gesetzesvorschläge einbrachten, die exakt den Bedingungen der Mafia für die Beendigung der Bombenanschläge entsprachen, und der Mehrheit, die zu beschäftigt war, um genauer hinzuschauen.
"Ich habe das selbst erlebt als ich von 1996 bis 2001 Abgeordneter im Parlament war und das Ölbaumbündnis regierte, dem ich angehörte. In dieser Zeit haben wir mit verschiedenen Gesetzesänderungen der Mafia einen Gefallen taten. Nicht, weil wir bewusst die Mafia fördern wollten, sondern weil viele über die Konsequenzen gar nicht richtig Bescheid wussten. Als ich diese Zeitspanne jetzt noch einmal genauer untersucht habe, wurde mir mit Schrecken bewusst, wie wichtig diese Phase damals war."
Die Mafia organisiert sich neu in dieser Phase und profitiert von einer Reduzierung des Schutzprogramms für Mafiakronzeugen, von Hafterleichterungen für inhaftierte Bosse und der Schließung zweier Hochsicherheitsgefängnisse. Im Rückblick findet Nando Dalla Chiesa für die Parlamentarier, die diese Beschlüsse gefasst haben, ein eindeutiges Etikett:
"Dummköpfe in der Politik sind äußerst nützlich. Wobei das Wort 'dumm' sich hier nur auf den Umgang mit der Mafia bezieht. Jemand kann ein fähiger Politiker, ein guter Anwalt oder Universitätsprofessor sein, aber wenn er keine Ahnung von der Mafia und ihren Strategien hat, dann passiert es, dass er ihre Wünsche ahnungslos erfüllt. Die Wünsche der Mafia werden ja nicht von einem ihrer Bosse vorgetragen, der sagt, bitte, tut mir diesen Gefallen, bringt dieses Gesetz durch. Die Vorstellungen der Mafia tauchen beispielsweise als humanitäre Forderung auf."
So verabschiedete das Mitte-Links-Bündnis beispielsweise eine Amnestie, in deren Rahmen auch Mafiosi aus dem Gefängnis entlassen wurden. Obwohl Nando Dalla Chiesa in seinem Buch "la Convergenza" sehr ins Detail geht, verliert er sich nicht in Nebensächlichkeiten. Im Gegenteil: Er setzt aus vielen Mosaiksteinchen ein Gesamtbild zusammen, das vor allem ausländischen Beobachtern eine Hilfe ist. Nicht von ungefähr stellte Nando Dalla Chiesa sein Buch zuerst der Auslandspresse in Mailand vor.
Kirstin Hausen war das über: Nando Dalla Chiesa: "La Convergenza. Mafia e politica nella Seconda Repubblica". Erschienen im Verlag Melampo editore, 304 Seiten kosten ca. 17 Euro 50, ISBN: 978-3-938-40045-6.
In "La Convergenza", seinem neuen Buch, beschreibt Nando Dalla Chiesa, was die Politik in den vergangenen 20 Jahren alles zugunsten der Mafia getan hat. Und mit Mafia sind alle drei kriminellen Vereinigungen Italiens gemeint: die sizilianische Cosa Nostra, die kalabrische Ndrangheta und die Camorra aus dem Umland von Neapel. Der Band beginnt mit einem kurzen historischen Exkurs:
Als die Alliierten in Sizilien landeten, halfen ihnen die italo-amerikanischen Mafiaverbindungen, die Herrschaft über die Insel zu erlangen. So wie Giuseppe Garibaldi schon auf die Unterstützung der Camorra zählen konnte, als er Neapel eroberte. Nach 1945 waren es dann oft die lokalen Bosse, die über ganz Sizilien verteilt politische Posten bis hin zum Bürgermeisteramt besetzten. Der gemeinsame Feind von US-Regierung und von Cosa Nostra war von nun an der Kommunismus.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Mauer 1989 endet auch die amerikanische Einflussnahme auf die italienische Politik. Die Angst vor den Kommunisten ist kein wahlentscheidendes Argument mehr und die Christdemokraten, die bisher als Bollwerk gegen den Kommunismus dienten, ringen an der Wahlurne um ihre Daseinsberechtigung. Den entscheidenden Schlag erhält die Partei dann durch die Mailänder Schmiergeldskandale Anfang der Neunziger Jahre. Zu viele Christdemokraten haben sich von Unternehmern im Tausch gegen öffentliche Aufträge bestechen lassen. Die Partei löst sich auf, so wie das gesamte politische System des Landes. Die Karten werden neu gemischt, Italiens "Zweite Republik" entsteht. Das Grundmotiv für die Übereinstimmungen zwischen Mafiainteressen und Staatsräson fällt damit eigentlich weg. Eigentlich. Denn seltsamerweise treffen sich in den nächsten Jahren wiederholt Carabinieri mit Delegierten der Mafia, wie Nando Dalla Chiesa in seinem Buch beschreibt.
Die Mafia war geschwächt. Aber sie war nicht gewillt, auf ihre Macht zu verzichten. Mit den Morden an den Ermittlungsrichtern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Sommer 1992 erklärte sie nicht nur der Justiz, sondern auch dem Staat den Krieg. Mit den Bombenanschlägen in Mailand, Rom und vor den Uffizien in Florenz 1993 trieb sie Italien ins Chaos. Wer immer Italien (nach dem Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems) regieren wollte, musste seine Rechnung mit der Mafia machen – das war die Botschaft. Cosa Nostra suchte nach neuen Ansprechpartnern in der Politik.
Und sie wird fündig.
"Ich glaube, die Mafia hat damals in eine neue Partei investiert: die Forza Italia."
Nando Dalla Chiesa belegt seinen Vorwurf mit Aussagen verschiedener Kronzeugen, die von mehreren Staatsanwaltschaften als glaubwürdig beurteilt wurden. Sogar von einem Treffen des damaligen Geschäftsmanns Silvio Berlusconi mit Mafiaboss Stefano Bontate wird berichtet. Dabei soll es um finanzielle Hilfe für Berlusconis Bauprojekte in Mailand gegangen sein und um die Unterstützung einer neuen Partei durch die Stimmen der Mafia. Neben Indizien gibt es aber auch Gerichtsurteile, die in dieselbe Richtung weisen. So wurde Silvio Berlusconis sizilianischer Freund und Forza-Italia-Mitgründer Marcello Dell`Utri in zweiter Instanz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil er als Vermittler zwischen dem heutigen Ministerpräsidenten und der Cosa Nostra agiert hat.
"Wir dürfen aber auch nicht die Mitte-Links-Parteien vergessen."
Das haben die Anti-Mafia-Politiker in Italien jedoch jahrelang getan. Und hier liegt das Verdienst von Nando Dalla Chiesa. Er schont niemanden bei der Suche nach Berührungspunkten zwischen Mafia und Politik, aber er differenziert. Zwischen Politikern, die im Interesse der Mafia arbeiteten und Gesetzesvorschläge einbrachten, die exakt den Bedingungen der Mafia für die Beendigung der Bombenanschläge entsprachen, und der Mehrheit, die zu beschäftigt war, um genauer hinzuschauen.
"Ich habe das selbst erlebt als ich von 1996 bis 2001 Abgeordneter im Parlament war und das Ölbaumbündnis regierte, dem ich angehörte. In dieser Zeit haben wir mit verschiedenen Gesetzesänderungen der Mafia einen Gefallen taten. Nicht, weil wir bewusst die Mafia fördern wollten, sondern weil viele über die Konsequenzen gar nicht richtig Bescheid wussten. Als ich diese Zeitspanne jetzt noch einmal genauer untersucht habe, wurde mir mit Schrecken bewusst, wie wichtig diese Phase damals war."
Die Mafia organisiert sich neu in dieser Phase und profitiert von einer Reduzierung des Schutzprogramms für Mafiakronzeugen, von Hafterleichterungen für inhaftierte Bosse und der Schließung zweier Hochsicherheitsgefängnisse. Im Rückblick findet Nando Dalla Chiesa für die Parlamentarier, die diese Beschlüsse gefasst haben, ein eindeutiges Etikett:
"Dummköpfe in der Politik sind äußerst nützlich. Wobei das Wort 'dumm' sich hier nur auf den Umgang mit der Mafia bezieht. Jemand kann ein fähiger Politiker, ein guter Anwalt oder Universitätsprofessor sein, aber wenn er keine Ahnung von der Mafia und ihren Strategien hat, dann passiert es, dass er ihre Wünsche ahnungslos erfüllt. Die Wünsche der Mafia werden ja nicht von einem ihrer Bosse vorgetragen, der sagt, bitte, tut mir diesen Gefallen, bringt dieses Gesetz durch. Die Vorstellungen der Mafia tauchen beispielsweise als humanitäre Forderung auf."
So verabschiedete das Mitte-Links-Bündnis beispielsweise eine Amnestie, in deren Rahmen auch Mafiosi aus dem Gefängnis entlassen wurden. Obwohl Nando Dalla Chiesa in seinem Buch "la Convergenza" sehr ins Detail geht, verliert er sich nicht in Nebensächlichkeiten. Im Gegenteil: Er setzt aus vielen Mosaiksteinchen ein Gesamtbild zusammen, das vor allem ausländischen Beobachtern eine Hilfe ist. Nicht von ungefähr stellte Nando Dalla Chiesa sein Buch zuerst der Auslandspresse in Mailand vor.
Kirstin Hausen war das über: Nando Dalla Chiesa: "La Convergenza. Mafia e politica nella Seconda Repubblica". Erschienen im Verlag Melampo editore, 304 Seiten kosten ca. 17 Euro 50, ISBN: 978-3-938-40045-6.