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Handakten von Helmut Kohl
"Er weiß, welchen Schatz er hütet"

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte glaubt, dass Helmut Kohl seine persönlichen Akten an die Konrad-Adenauer-Stiftung zurückgeben wird. Als Historiker wisse Kohl um die Bedeutung der Dokumente, sagte er im Deutschlandfunk. Offenbar wolle die Familie jedoch mithilfe der Unterlagen ihre eigene Sicht der Geschichte durchsetzen.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl nimmt am 26.06.2013 in Berlin an der Denkmalenthüllung zu Ehren von Käthe Kollwitz teil.
    Um die Handakten des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl ist eine Diskussion entbrannt. (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Die Familie um Altbundeskanzler Helmut Kohl streitet mit der Konrad-Adenauer-Stiftung um rund 400 persönliche Akten Kohls aus seiner politisch aktiven Zeit. Kohl hatte diese eigentlich der Stiftung überlassen, sich für die Arbeit an seinen Memoiren jedoch ausgeliehen. Nun will die Stiftung die Unterlagen zurück, die Familie verweigert bisher jedoch die Herausgabe.
    Es sei Kohls gutes Recht, die Akten noch einzubehalten, meint Karl-Rudolf Korte. Er wolle lediglich den Zeitpunkt der Rückgabe bestimmen. Über die Gründe könne man nur spekulieren: Die Familie arbeite wohl noch an weiteren Memoiren. Offenbar habe Kohls Frau eine eigene Sicht auf die Geschichte und wolle diese durchsetzen.
    Die Notizen, Rede-Entwürfe und Manuskripte seien ein "großer Schatz", um politische Entscheidungen rekonstruieren zu können. Politikwissenschaftler könnten damit aus verschiedensten Blickwinkeln konkrete Vorgänge nachvollziehen.

    Das Interview in voller Länge:

    Tobias Armbrüster: Es gibt Streit in diesen Tagen zwischen der Union und ihrem Kanzler a. D. Helmut Kohl. Grund dafür sind etwa 400 Akten aus Kohls persönlichem Archiv. Die hatte Kohl nach dem Ende seiner Amtszeit eigentlich der Konrad-Adenauer-Stiftung überlassen. Dann hat er sie sich noch einmal ausgeliehen für die Arbeit an seinen Memoiren und jetzt liegt dieses Aktenkonvolut in Helmut Kohls Keller in Oggersheim und offenbar will er sie nicht wieder rausgeben. - Am Telefon ist der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Er hat sich während Kohls Regierungszeit immer wieder mit dem Kanzler beschäftigt und auch mit seinem Regierungsstil. Schönen guten Morgen, Professor Korte.
    Karl-Rudolf Korte: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Korte, warum bleiben die Akten jetzt erst mal in Oggersheim?
    Korte: Na ja, das ist offenbar der Wille der Familie Kohl, also Frau und Herr Kohl, dass sie auf diesen Handakten erst mal in Oggersheim bestehen, weil sie daran denken, weitere Memoiren herauszugeben, sodass er die Zeitgeschichtsschreibung aus seiner Sicht weiter betreibt, was ja auch sein gutes Recht ist, und dazu meint er, diese Handakten noch einmal benutzen zu müssen.
    "Ihm ist komplett bewusst, dass irgendwann einer an diese Akten rangeht"
    Armbrüster: Das heißt, Sie sind optimistisch, dass er sie irgendwann wieder zurückgeben wird an die Konrad-Adenauer-Stiftung?
    Korte: Er ist als Kanzler ja auch immer Historiker gewesen, promovierter Historiker. Insofern hat er einen Blick auf Akten, wie er in Akten selbst vorkommt und wie man mit Akten auch politische Entscheidungen rekonstruieren kann. Ihm ist komplett bewusst, dass irgendwann einer an diese Akten rangeht, an die Amtsakten ohnehin, aber auch an die Handakten. Insofern bin ich ganz sicher, dass er das auch möchte. Nur den Zeitpunkt, den möchte er selbst bestimmen.
    Armbrüster: Warum wird man dann bei der Konrad-Adenauer-Stiftung so nervös?
    Korte: Die Nervosität hängt damit zusammen, dass am Ende vielleicht nicht er entscheidet, sondern seine Frau, die ja nur indirekt beteiligt ist, denn der Kanzler selbst als eine öffentliche Person hat natürlich diese Akten selbst produziert und insofern ist man daran interessiert, ihn auch im Blick auf ein sehr bewährtes Archiv als Schatz praktisch gewinnen zu können. Das Adenauer-Archiv ist eines der besten historischen Archive und ist genau aus diesem Grund ja auch geschaffen worden.
    Armbrüster: Vielleicht können wir ganz kurz noch bei der Familie Kohl bleiben. Was ist über Kohls Frau in diesem Zusammenhang bekannt?
    Korte: Na ja, bekannt ist, dass sie eine punktuelle Öffentlichkeit ja nutzt für sich selbst, dass viele nicht an zusätzliche Informationen herankommen, und dass sie offenbar - das sind aber nur Vermutungen - eine eigene Sicht auf die Geschichte hat und gerne möchte, dass diese Sicht der Geschichte sich am Ende auch durchsetzt. Aber das sind jetzt Vermutungen, die man anstellt, weil dazu hat sie sich ja persönlich in dieser Form so nicht geäußert.
    "Das ist ein großer Schatz"
    Armbrüster: Was lässt sich denn mit diesen 400 Akten tatsächlich anfangen? Was kann man darin finden?
    Korte: Man kann eine authentische Rekonstruktion von politischen Entscheidungen nachzeichnen. Das möchte ein Politikwissenschaftler, das möchte ein Zeithistoriker, weil es geht ja darum, nicht nur die Regierungsakten zu haben - die sind schon mal wichtig -, sondern auch persönliche Aufzeichnungen dazu. Wenn es zu einer ersten Begegnung mit einem wichtigen Staatsmann kommt, dann gibt es dazu einen monatelangen Vorlauf, der in Amtsakten festgehalten ist. Aber was er konkret wie dann als Schwerpunkte heraussucht und welche persönlichen Notizen er dazu macht, dazu gibt es oft eben auch eigene Aufzeichnungen, auch Redeentwürfe als Manuskript dazu, was er wie sagen will. Das ist ein großer Schatz, wenn man Spurensuche betreibt, um Entscheidungen am Ende zu rekonstruieren, und Entscheidungen sind insofern wichtig, weil ja in der Demokratie die Politik immer rechenschafts- und begründungspflichtig ist. Die Qualität der Demokratie lässt sich daran abzeichnen, wie transparent wir am Ende Entscheidungen rekonstruieren können.
    Armbrüster: Was erhoffen Sie sich da? Gibt es eine konkrete Entscheidung, wo Sie sich vorstellen könnten, da würde ich gerne mal in Helmut Kohls persönliche Unterlagen reingucken?
    Korte: Ja, wenn man sich für politische Entscheidungen interessiert, würde man sich darein vergraben geradezu, weil quellenkritisch arbeiten heißt, dann auch mal diese persönlichen Akten zu einem konkreten Vorgang zu haben. Eine Entscheidung: Wie kam es zur Euro-Entscheidung damals, beispielsweise? Da können Sie die Amtsakten sich ansehen in den verschiedenen Ministerien, im Kanzleramt und so weiter, Sie können natürlich die Zeitzeugen von damals befragen, aber Sie können auch persönliche Aufzeichnungen dazu werten, und so haben Sie aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf eine einzige Entscheidung ganz verschiedene Quellen und das ist brillant, wenn Sie versuchen, eine Rekonstruktion von Entscheidungen herbeizuführen. Sie sind völlig unverdächtig, da in irgendeine Falle zu geraten, sondern Sie haben ganz viele Blickwinkel auf eine Entscheidung, und dazu sind Handakten extrem wichtig.
    "Er ist sich seiner Rolle bewusst"
    Armbrüster: Wieso können wir denn eigentlich davon ausgehen, dass so ein Politiker wie Helmut Kohl sich zu wirklich allen Gelegenheiten Notizen gemacht hat und die dann auch ordentlich abgeheftet hat? Ich meine, hat er nicht vielleicht auch einfach mal Leute getroffen, auch durchaus wichtige Leute zu wichtigen Gesprächen, und dann hinterher gesagt, na ja, das muss ich mir jetzt nicht unbedingt aufschreiben, das habe ich im Kopf?
    Korte: Ja, das mit Sicherheit. Aber die damalige Zeit war auch eine Offline-Zeit, sodass es noch sehr verschriftlicht alles vorgegangen ist. Natürlich auch mündliche Überlieferungen spielen eine Rolle, aber unter den Rahmenbedingungen des Internets ist heute so eine Spurensuche immer schwerer. Das war damals papierlastiger, könnte man sagen.
    Armbrüster: Das heißt, heutige Politiker machen so was nicht mehr?
    Korte: Nein. Die Transparenz heute ist schwieriger herzustellen im Nachhinein, weil man unter Internet-Bedingungen auch anders zu Entscheidungen am Ende kommt. Das war noch eine papierlastige Zeit und als Historiker hat er sich mit Sicherheit persönliche Vermerke, Aufzeichnungen gemacht. Auch andere Spitzenpolitiker haben zu jeder Begegnung noch eine persönliche Notiz gemacht, das ist bekannt. Einer der als Historiker denkt und arbeitet, der hat das auch gemacht, wenngleich in den Amtsakten Kohl wenig und spärlich auftaucht, anders als Schmidt, der auch Akten lang und ausführlich kommentiert hat. Was in den Amtsakten am Ende von ihm übermittelt wurde, ist wenig, sodass er auch nicht konfrontiert werden will am Ende mit bestimmten Entscheidungen, bei denen er nicht auch schriftlich in Erscheinung getreten ist. Er ist sich seiner Rolle bewusst. Insofern bin ich mir auch bewusst, dass er weiß, welchen Schatz er selbst gerade in Oggersheim auch hütet.
    Armbrüster: Es gibt Streit zwischen der Konrad-Adenauer-Stiftung und Helmut Kohl, dem Kanzler a. D., um 400 Akten von Helmut Kohl, die eigentlich der Konrad-Adenauer-Stiftung überlassen werden sollten. Wir haben darüber gesprochen mit Karl-Rudolf Korte, dem Politikwissenschaftler. Vielen Dank für das Gespräch.
    Korte: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.