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„Es geht mir darum, dass es in Zukunft anders wird. Und dass Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben, mit jungen Sportlern so umzugehen und dass alle anderen wegschauen. Das ist eigentlich meine größte Motivation“, sagt die ehemalige niederländische Nationalspielerin Jolanda Bombis-Robben in einem aktuellen Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Beim Bundesligisten Blomberg-Lippe hatte sie vor Jahren eine Saison unter André Fuhr trainiert. Dazu sagte sie uns im vergangenen Oktober: „Dass es für mich die schlimmste Saison war. Ich habe noch nicht so oft wegen Handball geweint. Das war eine Saison, wo ich mich hilf- und schutzlos gefühlt habe und es hat auch Angst geschürt.“
Offenbar keine Einzelmeinung. Zahlreiche Spielerinnen aus Vereinen in denen André Fuhr tätig war, hatten sich im vergangenen Herbst bei Nadine Dobler gemeldet, Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Anlauf gegen Gewalt“ und von ihren Erfahrungen berichtet:
Vorwürfe psychischer Gewalt
„Wir reden über psychische Gewalt, die Betroffene erfahren haben - nicht jede Einzelne - über einen Gesamtzeitraum von 15, 16 Jahren“, fasst Nadine Dobler zusammen. Nationalspielerinnen des Bundesligisten Borussia Dortmund hatten als Erste Kontakt aufgenommen, zur Beratungsstelle für Leistungssportlerinnen und -sportler und den Fall so ins Rollen gebracht.
Gleich bei Bekanntwerden der ersten Vorwürfe hatte Fuhrs Anwalt diese in einer Stellungnahme zurückgewiesen. Borussia Dortmund stellte André Fuhr Mitte September frei, betonte aber, das sei nicht mit einer Vorverurteilung verbunden. Zwei Tage später eine Mitteilung des Deutschen Handballbundes zu seinem Honorartrainer Fuhr: Dieser stehe „aufgrund der aktuellen Diskussionen um seine Person nicht für den Aufbau der neuen U19/20-Nationalmannschaft zur Verfügung“.
Hier sieht Handballerin Jolanda Bombis-Robben rückblickend einen Knackpunkt: „André Fuhr konnte selber gehen und das macht da jetzt einen Unterschied. Wenn da gestanden hätte 'aufgrund von Vorwürfen trennen wir uns', das hätte vielleicht nach außen hin eine ganz andere Darstellung gegeben.“ So könne ein neuer Verein sagen, es liegt nichts vor. Und genau das ist jetzt eingetreten.
50 Betroffene melden sich
Im Herbst 2022 schien eine Neuverpflichtung von André Fuhr noch undenkbar. Immer mehr Spielerinnen waren damals an die Öffentlichkeit gegangen. Hatten unter anderem in einem Artikel des Magazins "Spiegel" detailliert von Machtmissbrauch und Grenzverletzungen durch André Fuhr berichtet.
Nach Angaben von „Anlauf gegen Gewalt“ hatten sich dort in der ganzen Zeit mehr als 50 Betroffene gemeldet. Eine aktuelle Stellungnahme vonseiten André Fuhrs gibt es nicht. Die Frage danach ließ der Anwalt des Trainers bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Der Deutsche Handballbund wollte die Vorwürfe unmittelbar nach Aufkommen untersuchen lassen. Im Eiltempo hat der DHB eine Kommission eingerichtet, die das Ganze unabhängig aufarbeiten sollte. Offenbar waren sich die Mitglieder über die Ziele ihrer Arbeit nicht einig, die Kommission löste sich auf. Nun hat sie in neuer Zusammensetzung die Arbeit aufgenommen und führt aktuell Anhörungen mit Betroffenen durch.
In ihrer Mitteilung der Fuhr-Verpflichtung erwähnt die MTG Horst weder die Vorwürfe von Handballerinnen noch die laufende Untersuchung der Aufarbeitungskommission.
Unter den Tisch gekehrt
„Das hat mich sehr schockiert, dass das einfach komplett unter den Tisch gekehrt wird. Und das heißt für mich so, okay, da sind immer noch Leute, die das nicht ernst nehmen.“ sagt Jolanda Bombis-Robben. Für sie ein Hinweis, dass es dem neuen Verein von Fuhr ausschließlich um den sportlichen Erfolg geht. So liest sich auch die Antwort der MTG Horst auf die Deutschlandfunk-Anfrage, warum sie Andre Fuhr verpflichtet hat:
„Die MTG Horst war auf der Suche nach einem Handballtrainer, André Fuhr war verfügbar."
Diese Neuverpflichtung geht Jolanda Bombis-Robben viel zu schnell, sagt sie im Gespräch. Ein Abwarten bis nach dem Aufarbeitungsbericht, hätte ihrer Ansicht nach ein besseres Bild abgegeben: „Und da fehlt mir einfach komplett die Verantwortung, die ein Verein hat nach außen, für seine Spielerinnen, für seine Spieler, aber auch für das gesamte Sportkonzept.“
Keine Gründe gegen Verpflichtung
Auf ihrer Internetseite gibt sich die MTG Horst verantwortungsbewusst, verurteilt jede Art von (sexualisierter) Gewalt und gibt an, für alle schützende Strukturen zu schaffen, um Gewalt zu verhindern. Diese verkündete Haltung und die Verpflichtung von André Fuhr schließen sich für den Verein offenbar nicht aus. Die MTG Horst schreibt:
„André Fuhr ist weder verurteilt, noch angeklagt worden. Aufgrund der Sachlage liegen keine Gründe vor, die einer Verpflichtung entgegen gesprochen hätten“. Immer wieder argumentieren Vereine oder Verbände in solchen Situationen mit dem Strafrecht. Damit machen sie es sich leicht und blenden etwa psychische Gewalt und ihre Folgen hier bewusst aus.
„Also ich hätte mir gewünscht, dass ein neuer Verein zumindest das Ergebnis der Aufarbeitungskommission abwartet, weil doch für mich massive Vorwürfe im Raum stehen wo man schauen muss, wie man damit weiter umgeht in Zukunft, was man daraus lernt, wie das passieren konnte. Das hätte ich mir gewünscht, dass man das abwartet“, sagt Nadine Dobler von „Anlauf gegen Gewalt“.
Auch der Deutsche Handballbund weist auf die Aufarbeitungskommission hin, „deren Ergebnisse wir im Sinne der Betroffenen und Beteiligten abwarten und in Betracht ziehen möchten, bevor wir womöglich in irgendeiner Weise handeln würden.“
Schreibt uns der DHB auf die Frage nach einer Einschätzung der Neuverpflichtung von André Fuhr in einer juristisch klingenden Stellungnahme. Darin weist der Verband aber auch auf mögliche sportrechtliche Konsequenzen hin: „Grundsätzlich können wir unter zivilrechtlicher Beachtung auch verbandsrechtliche Strafen verhängen, bis hin zu Sperren oder Lizenzentzügen.“
Hoffnung nicht aufgegeben
Jolanda Bombis-Robben ist im vergangenen Herbst an die Öffentlichkeit gegangen, weil sie für das Thema interpersonale Gewalt im Sport sensibilisieren und etwas im Sportsystem verändern wollte. Dass die MTG Horst André Fuhr angestellt hat, noch bevor der Untersuchungsbericht der Aufarbeitungskommission vorliegt, scheint die Kraftanstrengung der betroffenen Spielerinnen und ihre Vorwürfe zu ignorieren:
„Gerade ist es natürlich sehr bitter für Spielerinnen, die sehr viel auf sich genommen haben und jetzt merken okay, der Mann hat schon einen neuen Job. Hat das dann überhaupt Sinn gemacht? Also die Frage zu stellen, ist schon berechtigt. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auch wirklich Veränderungen herbeigeführt werden.“
Kontakte für Betroffene physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt im Sport:
Beratungsstelle Safe Sport für den Breiten- und Leistungssport
Anlauf gegen Gewalt, Beratungsstelle Leistungssport
Aufarbeitungskommission Handball
Beratungsstelle Safe Sport für den Breiten- und Leistungssport
Anlauf gegen Gewalt, Beratungsstelle Leistungssport
Aufarbeitungskommission Handball