Handball
Aufarbeitungskommission des DHB muss Arbeit stoppen

Die unabhängige Kommission, die der Deutschen Handballbund nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen den Handballtrainer André Fuhr eingesetzt hatte, muss per Gerichtsbeschluss ihre Arbeit vorläufig einstellen. Das könnte weitreichende Folgen haben.

Von Andrea Schültke |
Zu sehen ist das Gebäude des Oberlandesgerichts in Hamm frontal fotografiert.
Das Oberlandesgericht Hamm im Eilverfahren die Tätigkeit der Aufarbeitungskommission Handball vorerst gestoppt. (IMAGO / Funke Foto Services / IMAGO / Fabian Strauch)
Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat mit einem Beschluss von Anfang Juli im Eilverfahren die Tätigkeit der Aufarbeitungskommission Handball vorerst gestoppt. „Ich kann die Argumentation des Gerichts sehr gut nachvollziehen“, erklärt die Frankfurter Sportrechtlerin Anne Jakob.
So hat alles angefangen: Im Herbst 2022 hatten sich zahlreiche Sportlerinnen bei der Interessenvertretung „Athleten Deutschland“ gemeldet, bei deren Anlaufstelle „Anlauf gegen Gewalt“. Ihre Ansprechperson dort: Nadine Dobler. Sie hatte die Vorwürfe der Spielerinnen gegen André Fuhr damals im Deutschlandfunk so zusammengefasst:
„Wir reden über psychische Gewalt, die Betroffene erfahren haben. Und zwar über einen Zeitraum – nicht jede einzelne über einen Zeitraum – aber über einen Gesamtzeitraum von 15-16 Jahren.“
Einige Athletinnen waren dann mit den Vorwürfen zuerst im Magazin „Spiegel“ an die Öffentlichkeit gegangen. Zu den von Spielerinnen erhobenen Anschuldigungen hat sich der Trainer bislang nur vage geäußert bzw. im vergangenen Jahr gegenüber der „Sport Bild“ erklärt, einzelne Vorwürfe habe er nur in Auszügen zur Kenntnis bekommen. Teilweise erinnere er sich an die Sachverhalte gar nicht oder anders. Habe eine Spielerin sich so gefühlt, bedauere er das.

Aufarbeitungskommission will „das Beste für die Betroffenen“

Der Deutsche Handballbund hatte eine unabhängige Aufarbeitungskommission aus externen Expertinnen und Experten eingesetzt. Die erste Kommission musste sich kurze Zeit später auflösen. Die zweite arbeitet seit März 2023 und wollte zum Jahresende einen Abschlussbericht vorlegen. Den wird es nun wohl erstmal nicht geben.
„Wir wollen das Beste für die Betroffenen und im Zuge der Aufarbeitung Hinweise gewinnen, wie wir den Sport als sicheren Ort auch in Zukunft verlässlich schützen können“, sagt Andreas Michelmann, Präsident des DHB in einer Verbandsmitteilung zum vorläufigen Stopp der Kommission.
Aus dem Beschluss des OLG Hamm wird nun die Argumentation des Trainers deutlich: Der Handballbund war gar nicht berechtigt, eine Kommission einzusetzen, die sich mit konkreten Vorwürfen von Fehlverhalten des Trainers auseinandersetzt.
Grundsätzlich gehe es hier um eine Verbindung zwischen einer Person und einem Sportverband, so Juristin Anne Jakob. Wie ein mögliches Fehlverhalten überprüft wird, ist in der Satzung geregelt:
„Und wenn da eine Kommission nicht vorgesehen ist, dann kann eine solche Kommission nicht eingesetzt werden oder sie hat eben keine Kompetenz, sich damit auseinanderzusetzen. Sie würde damit gegen die Satzung verstoßen, also gegen ihr eigenes Regelwerk“.
Der Deutsche Handballbund hat gegen den Beschluss des OLG Hamm Widerspruch angekündigt und schreibt: „Die externe und unabhängige Kommission zur Aufarbeitung und Prävention von Gewalt hat einen zukunftsgerichteten Fokus. Erwartet werden Empfehlungen für künftiges Handeln; um etwaige Sanktionen geht es hierbei nicht.“
Der Widerspruch dürfte dann erfolgreich sein, wenn es im DHB-Regelwerk auch einen Passus gibt, der erlaubt, eine unabhängige Aufarbeitungskommission einzusetzen, die auch einzelne Vorwürfe gegen eine Person aufklären und bewerten darf.

Aufarbeitung noch nicht in Satzungen verankert

Für Anne Jakob eher unwahrscheinlich: „Ich bin derzeit auch der Auffassung, dass in zuwenigen Satzungen schon konkrete Verfahren und Prozesse bestehen, die diese Aufarbeitung mittels einer Kommission ermöglichen, also einer externen Kommission. Und das sind eben genau die Diskussionen, die wir ja gerade aktuell auch führen, wenn es darum geht, einen Safe-Sport-Code einzuführen und so weiter.“
Damit ist der vorläufige Stopp der Aufarbeitungskommission Handball das praktische Beispiel für ein im Sport bisher ungelöstes Problem: Wie wird Aufarbeitung generell im Regelwerk festgehalten, wer ist zuständig, wie kann etwa ein von der Bundesregierung gewolltes externes „Zentrum für Safe Sport“ hier irgendwann einmal rechtssicher für den gesamten organisierten Sport tätig werden?
All diese Fragen dürften den betroffenen Spielerinnen aktuell herzlich egal sein. Angela Marquardt war bis zum Stopp der Kommission dort als Betroffenenvertreterin aktiv und erklärt: "Das Stoppen der Aufarbeitung lässt Betroffene wieder mit dem Gefühl zurück, etwas falsch gemacht zu haben.“
Kerstin Claus ist die „Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs", kurz UBSKM. Ihr Amt hat damit auch den politischen Auftrag, für Aufarbeitung von Machtmissbrauch in Deutschland zu sorgen. Dabei gehe es nicht um Strafrecht oder Ermittlungen von Behörden, sondern um Qualitätssicherung etwa in Kirchen, Heimen, Familien und auch im Sport.

Aufarbeitung ist Qualitätssicherung

„Aufarbeitung hat viel damit zu tun, dass solche Strukturen sagen: Wir wollen bestmöglich verhindern, dass es zu Machtmissbrauch in unseren Strukturen kommt. - Und immer dort, wo es Meldungen gibt, dass man sozusagen einer Machtdominanz einer Person ausgesetzt war, da greift Aufarbeitung zu sagen: Moment, was ist eigentlich vorgefallen? Welche Räume wurden dafür genutzt? Was brauchen die betroffenen Personen? Und wie verbessern wir die Qualität in unserem System, sicherzustellen, dass künftig solche Übergriffigkeiten nicht vorkommen können?“
Der Beschluss des OLG sieht im Fall André Fuhr allerdings weniger eine Untersuchung der generellen Strukturen, sondern eine Prüfung von mutmaßlichem individuellem Fehlverhalten. Dort heißt es: André Fuhr müsse „nicht tolerieren“, dass eine vom DHB eingesetzte „unabhängige Kommission Ermittlungen gegen ihn führt“.
Die Kommission habe auch mit André Fuhr sprechen wollen, erklärt Jeannine Ohlert, bis zu deren Stopp Sprecherin der Aufarbeitungskommission. Das habe ihm die Kommission bereits vor mehr als einem Jahr mitgeteilt.
„Im März 2024 haben wir ihm dann einen konkreten Terminvorschlag gemacht, aber leider hat Herr Fuhr unser Gesprächsangebot bislang nicht wahrgenommen.“
Markus Buchberger, Fuhrs Anwalt, dazu in einer Stellungnahme gegenüber der Deutschen Presseagentur:
„Herr Fuhr hat selbst - kurz nach der Einsetzung der Kommission - dem DHB angeboten, an der Aufklärungsarbeit mitzuwirken. Einer einige Monate später folgenden Einladung ist er nicht gefolgt, nachdem unter anderem aus hier vorliegenden Unterlagen der Kommission selbst deutlich wurde, dass dort keine rechtsstaatlichen Grundsätze verfolgt werden, sondern mit nachweisbarer Voreingenommenheit gehandelt wird.“
Damit sind aktuell nur noch drei Aufarbeitungskommissionen im deutschen Sport aktiv. Im Tennis, Schwimmen und im Turnen in Weimar. Alle drei Fälle und Arbeitsaufträge sind unterschiedlich. Ob und inwieweit der Beschluss im Handball Auswirkungen auf die Tätigkeit der drei aktuellen Kommissionen hat, ist unklar.

Stopp im Handball kann große Tragweite haben

Für die unabhängige Beauftragte Kerstin Claus hat der vorläufige Stopp der Handballkommission eine Tragweite über den Sport hinaus: „Denn die Wirkung nach außen ist: Ein Mensch, der beschuldigt wird, Machtmissbrauch begangen zu haben, kann sich auch gegen Formen der Aufarbeitung wehren und obsiegt auf diese Art und Weise wieder gegen die einzelne betroffene Personen. Das heißt, da werden Gefühle des Ausgeliefertseins, des Nichtgehörtwerdens sofort wieder aktiviert und das ist individuell biographisch verheerend“.
Generell sieht Claus aber die Notwendigkeit, juristisch zu klären: „Was ist Aufarbeitung? Was kann sie leisten? Was soll sie leisten? Und inwieweit berührt sie gerade nicht diese anderen rechtlichen Sphären, sagen wir, des Strafrechts.“
Der vorläufige Stopp der Aufarbeitungskommission Handball zeigt deutlich: Wenn der organisierte Sport Aufarbeitung will, muss er das in seinem Regelwerk rechtssicher verankern – und das gilt nicht nur für den Handball.