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Handball und Corona
Tradition zahlt keine Rechnung

Gut neun Jahre ist es her, dass der VfL Gummersbach seinen Titel im Europapokal der Pokalsieger erfolgreich verteidigte. Doch davon sind die Oberbergischen inzwischen meilenweit entfernt. Angekommen in der zweiten Handball-Bundesliga hat den Club die Ungewissheit aufgrund des Corona-Virus eingeholt.

Von Sascha Staat |
Den 9. Juni 2019, der schwärzeste Tag der Vereinsgeschichte, würden alle beim VfL am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen. Es war der Tag, an dem der ruhmreiche Traditionsclub zum ersten Mal den Gang in die Zweitklassigkeit antreten musste. Über Monate hinweg lebten die Gummersbacher mit einer Ungewissheit, die den Alltag bestimmte. Fast ein Jahr später ist die Ungewissheit nun zurück, die Corona-Pandemie erschüttert den Verein. Der VfL Gummersbach wird jetzt auch wieder von finanziellen Altlasten eingeholt, die schon beim Abstieg eine wesentliche Rolle spielten.
"Wenn man sieht, wie sich viele zurecht beklagen, wie diese Corona-Krise sich auch finanziell negativ auf das Geschäft auswirkt, dann kann man sich vorstellen, dass bei einem Verein oder Unternehmen wie uns, denen es schon vorher nicht so gut ging, sich das dann natürlich nochmal doppelt wiederspiegelt", gibt Christoph Schindler offen zu.
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Spieler verzichten auf Teile des Gehalts
Der Geschäftsführer des VfL hat in diesen Tage extrem viel zu tun. Der im Raum stehende Abbruch der aktuellen Saison sei noch zu verkraften, sagt er. Besonders deswegen, weil sämtliche Mitarbeiter, vor allem die Spieler, auf Teile ihrer Gehälter verzichten. Auch das Kurzarbeitergeld hilft. Schindler betont aber, dass ihm die kommende Spielzeit viel größere Bauchschmerzen bereitet.
"Normalerweise schreibt man im Frühsommer die Rechnungen für die Dauerkarten und die Verträge der Sponsoren. Dann ist es wichtig, dem potenziellen Abnehmer natürlich zuzusagen, wann die Saison losgeht." Die Planung für die Zukunft sieht er als kritisch an. Dennoch erhielt der Verein, wie nahezu alle Antragsteller in der ersten und zweiten Liga, die Lizenz für die kommende Saison. Die Handball-Bundesliga will das als "ein Zeichen des Vertrauens" verstanden wissen.
Schuldenabbau ist das oberste Ziel
Das Vertrauen hatte sich der VfL zuletzt wieder Stück für Stück erarbeitet, nachdem man die letzten Erfolge vor gut zehn Jahren mit einem Kader ermöglicht hatte, den man gar nicht finanzieren konnte. Der dringend nötige Kurs der Konsolidierung endete in der zweiten Liga. Ein Großteil der vorhandenen Einnahmen wurde genutzt, um den Schuldenberg zu reduzieren. Dadurch fehlte es an Mitteln, um auf dem Spielfeld konkurrenzfähig zu bleiben
Dabei lebt der VfL, wie fast alle Vereine im Handball, von der Hand in den Mund. Christoph Schindler geht auch nicht davon aus, dass diese Mentalität durch die Corona-Krise verschwunden sei. "Ich glaube nicht, dass sich das groß ändert. Ich glaube eher, dass die Vereine weniger einnehmen werden. Wenn man dann noch viel Geld zur Seite legt, dann wird es natürlich noch schwieriger."
Neuanfang in der zweiten Liga
Für den Verein ist die globale Krise aufgrund des eingeschlagenen Weges besonders bitter: Nach vielen Jahren im Abstiegskampf der ersten Liga war in der zweiten Liga sehr schnell eine Aufbruchsstimmung entstanden. Das sonst als extrem kritisch bekannte Umfeld honorierte, dass viele Spieler aus der eigenen Jugend in die Mannschaft eingebaut wurden. Schon vor dem Start der Saison wurde ein neuer Dauerkartenrekord aufgestellt.
Den Weg durch den eigenen Nachwuchs ging auch Tobias Schröter, der seit 13 Jahren das Gummersbacher Trikot trägt. Ihm liegt der VfL daher ganz besonders am Herzen. "Persönlich habe ich gerade nicht ganz so viele Sorgen, weil ich einen Plan nach meiner Karriere als Handballspieler habe und da ganz gut aufgestellt bin und meine Alternativen habe. Im Moment hofft man einfach nur, dass der Verein durch die Krise kommt und nicht in weitere Probleme gerät."
Insolvenzvermeidung durch Geisterspiele?
Die Sorgen sind durchaus berechtigt. Im Handball machen die Zuschauereinnahmen den mit Abstand größten Anteil des Etats aus. Sollten bis Ende des Jahres keinerlei Großveranstaltungen möglich sein, malt Geschäftsführer Christoph Schindler sogar ein Horrorszenario an die Wand. "Wenn das der Fall sein sollte, dann wird es kein Überleben geben. Aber das dann nicht nur für den VfL Gummersbach, sondern eigentlich für keine professionelle Sportliga und das würde das Aus von allen bedeuten."
Daher ist es mehr als fraglich, ob Spiele ohne Zuschauer Vereine wie den VfL vor der Insolvenz retten würden. Rechtsaußen Tobias Schröter sieht das zwar als Alternative, wird damit aber nicht wirklich warm. "Das ist etwas komplett anderes und man kann sich das nur schwer vorstellen. Man kann es in etwa so sehen wie Testspiele in der Vorbereitung. Wenn man da mal ohne Zuschauer spielt, dann ist es schon ein anderes Gefühl".
Wiederaufstieg ist in Gefahr
Dass dem VfL durch ein vorzeitiges Ende der Saison der direkte Wiederaustieg entgehen könnte, ist für Christoph Schindler zweitranging. "Das ist das, was mich im Moment am allerwenigsten interessiert. Es bedroht die Welt ein Virus, den es so vielleicht noch nicht gab. Wo Menschen sterben, wo Leute nichts zum Essen haben, wo Leute Existenzen verlieren. Da sage ich ganz ehrlich, da ist die Situation, ob der VfL Gummersbach in der nächsten Saison in der ersten oder zweiten Liga spielt, absolut nebensächlich."
Kein Wunder, denn nach sieben Jahren als Spieler und fast drei Jahren als Geschäftsführer beim VfL ist der Umgang mit der Ungewissheit für ihn mittlerweile Routine.