Am Mittwoch beginnt in Ägypten die Handball-WM. Ein Turnier, über dessen Sinnhaftigkeit im Vorfeld viel diskutiert wurde. Schließlich findet es mitten in der Corona-Pandemie statt. Viele Spieler fahren deshalb mit Sorge zur WM. Andere gar nicht: Die deutschen Nationalspieler Henrik Pekeler, Patrick Wiencek, Finn Lemke und Steffen Weinhold werden aus Sorge vor dem Coronavirus nicht nach Ägypten fahren. "Ich denke, es gibt in dieser Frage kein Richtig oder Falsch", sagte Nationalspieler Philipp Weber im Dlf-Sportgespräch. "Ich kann jeden verstehen, der sagt: Ich möchte das meiner Familie nicht zumuten. Ich möchte dieses Risiko nicht eingehen, eventuell etwas mitzubringen, eventuell meine eigene Familie anzustecken."
Weber ist Rückraumspieler beim Bundesligisten SC DHfK Leipzig. Für ihn war eine WM-Absage kein Thema, "weil ich keine Familie mit Kindern in dem Sinne haben, wo ich große Befürchtungen haben muss, dass ich jemanden anstecke." Die Absagen seiner Nationalmannschaftskollegen bedauert er, sieht aber auch Chancen: "Natürlich ist es schade für uns als Nation, nicht mit den besten Spielern zur WM reisen zu können, weil die natürlich extrem wichtig sind für uns. Aber ich sehe es auch wieder als Chance für andere Leute, die jetzt neu reingerutscht sind und sich zeigen können. Jetzt sind wir eine Wundertüte und keiner rechnet mit uns. Das kann ein großer Trumpf sein."
Generell hält der 28-Jährige es für wichtig, dass die WM überhaupt stattfindet. Zum einen könne das Turnier ein Stück Normalität bieten. "Manche Leute sagen: 'Wir finden das toll, dass die Jungs die zur Nationalmannschaft fahren, uns in der momentanen Situation Mut geben und vermitteln, dass es weitergeht.'" Zum anderen sei das Turnier auch aus finanzieller Sicht wichtig. "Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn die WM nicht stattgefunden hätte. Weil ich glaube schon, dass die ganzen Verbände Probleme hätten. Also das ist schon eine Sache, die jetzt einfach gemacht werden muss." Aber auch für den Handballsport selbst sei das Turnier essentiell: "Wir müssen das einfach machen, um die Reichweite zu erlangen und damit einfach unsere Sportart auch am Leben bleibt", sagte Weber.
Weber vertraut auf Hygienekonzept
Um bei der WM eine Verbreitung des Coronavirus zu verhindern, wollen die Veranstalter eine sogenannte "Bubble" kreieren, ähnlich wie es die US-Basketball-Liga NBA im vergangenen Jahr getan hat. Das heißt, die Spieler bewegen sich einer Art geschlossenen System. Kontakte nach außen sollen vermieden werden. Während Bundestrainer Alfred Gislason von dem Hygienekonzept überzeugt ist, sagte Carsten Bissel, Aufsichtsratschef beim HC Erlangen, der Süddeutschen Zeitung: "Die angeblich Blase in Kairo ist ein Witz".
Nationalspieler Weber vertraut auf das Konzept. "Ich hoffe, dass die IHF (Internationale Handball-Föderation, Anm. d. Red) da was auf die Beine gestellt hat. Wir haben viele Informationen bekommen und das liest sich erst einmal gut. Wie es da wirklich vor Ort ist, wissen wir momentan nicht. Aber Stand jetzt, denke ich, können wir darauf vertrauen."
Große Angst vor einer Corona-Ansteckung habe er zumindest nicht, "weil ich glaube, dass wir in der Bubble vielleicht sogar ein sichereres Leben haben, als wenn ich jetzt normal zu Hause wäre und normal einkaufen gehen würde. Von daher habe ich ein relativ sicheres Gefühl. Und das sind keine Gedankengänge, die mich irgendwie belasten." Dazu sei der Umgang mit dem Virus mittlerweile Alltagsgeschäft. "Wir müssen das in der Bundesliga genauso einhalten wie jetzt auch. Von daher ist das mittlerweile Normalität für uns. Also ob es jetzt ein Mund-Nasen-Schutz ist, ob es Hände desinfizieren ist und möglichst wenig Kontakte haben. Das ist einfach alles ja schon normal."
Kein Verständnis für Zuschauer-Planung
Wofür Weber jedoch kein Verständnis habe, ist dafür, dass bei den Spielen Zuschauer zugelassen werden sollten, wenn auch nur 20 Prozent der möglichen Auslastung. "Also ich verstehe es überhaupt nicht", sagte Weber. "Meine Freunde können in Deutschland nicht gemeinsam die Spiele schauen und in Ägypten sitzen dann Tausend Leute in der Halle und können eine Handball-WM verfolgen. Also das ist schon ein Thema, was eigentlich nicht geht und auch eigentlich nicht möglich ist."
14 Kapitäne europäischer Nationalmannschaften hatten deshalb ein Schreiben an IHF-Präsident Hassan Moustafa gerichtet und gefordert, die Zuschauer-Planung noch einmal zu überdenken. "Wir als Spieler finden das wirklich fahrlässig und auch einfach nicht vertretbar. Und da bin ich froh, dass wir Sportler die gleiche Sprache sprechen und das hinterfragen." Mit Erfolg: Inzwischen hat der Handball-Weltverband entschieden, dass die WM doch ohne Fans in den Hallen stattfinden wird.
Sportliche Erwartungen nicht sehr hoch
Sportlich sind die Erwartungen an die DHB-Auswahl aufgrund der vielen Absagen nicht sehr hoch. Weber will es aber so nicht sehen: "Ich sehe es eher als Chance, jetzt als Wundertüte auftreten zu können und ohne großen Erfolgsdruck wirklich einfach Handball zu spielen. Da wird sich zeigen, ob wir schnellstmöglich eine Einheit formen und dann eine gute WM spielen können." Vor allem die Defensive, die eigentliche Stärke des DHB-Teams, steht nach den Absagen von Wiencek und Pekeler im Fokus. "Aber da werden jetzt andere Leute in die Bresche springen und die werden ihren Job genauso gut machen", ist sich Weber sicher. "Und vielleicht werden wir an andere Stellen stärker. Vielleicht wird unser Tempospiel viel besser sein, oder unsere Angriffs-Effektivität."
Weber Aufgabe als Rückraumspieler wird es sein, das Angriffsspiel zu strukturieren. "Meine Aufgabe ist es, die Jungs neben mir ins Spiel einzubinden, viele Sachen auch für sie zu machen, damit sie auch einfache Tore machen können", erklärte Weber, der gemeinsam mit dem 20-jährigen Juri Knorr und dem erfahrenen Paul Drux den Rückraum bespielt. "Von uns als Mittelmänner ist es immer die Aufgabe, das Spiel zu leiten. Und bisher folgen uns die anderen der Spieler auch blind. Und das denke ich, wäre schön, wenn das auch so bleibt. Und darauf vertrauen wir auf jeden Fall."
Die Basis bleibe laut Weber aber die Abwehr. Das sehe auch der neue Bundestrainer Alfred Gislason so. "Das war immer unsere Stärke in Deutschland und das muss es auch sein, auch wenn wir große Veränderungen haben in der Abwehr. Und da sehe ich uns momentan auf einem sehr, sehr guten Weg. Die ersten Einheiten waren wirklich überraschend gut. Die Jungs bringen sich da super ein. Wie es dann im Turnier ist, werden wir sehen. Aber wir sind guten Mutes auf jeden Fall."
Los geht es für die DHB-Auswahl am Freitag mit dem Spiel gegen Uruguay. Die weiteren Gruppengegner heißen Kapverden (17.01.) und Ungarn (19.01.).