Es gebe Anzeichen, dass diese Verlagerung mehr als nur ein "kurzes diplomatisches Strohfeuer" sei, sagte Björn Conrad vom Mercator Institute for China Studies (MERICS). Die wirtschaftlichen Interessen der Chinesen in Europa hätten sich verlagert: "Da die chinesische Wirtschaft weniger Nachfrage hat nach Industriegütern, nach dem, in dem Deutschland stark ist, und viel mehr Nachfrage nach internationalen Finanz- und Devisenmärkten, Zugang zu Finanzdienstleistungen, überhaupt Dientsleistungssektor - und da ist London natürlich hervorragend aufgestellt."
Die deutsch-chinesischen Beziehungen seien dagegen im vergangenen Jahr auf Sparflamme gelaufen, sagte Conrad. Bei der groß angelegten Innovationspartnerschaft gebe es eine gewisse Ernüchterung auf chinesischer Seite. "China hätte sich geradezu eine Lawine von tiefgreifenden technologischen Partnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen gewünscht", sagte Conrad. Diese Lawine sei weitestgehend ausgeblieben - "aus guten Gründen" wie dem mangelnden Schutz geistigen Eigentums und der Sorge, dass "der Partner von heute der Wettbewerber von morgen" werden könne.
Das Interview mit Björn Conrad in voller Länge:
Jasper Barenberg: Geradezu den roten Teppich hat die Regierung in London gerade erst Chinas Staatschef Xi Jinping ausgerollt bei seinem viertägigen Besuch dort, bei dem Wirtschaftsverträge im Volumen von fast 55 Milliarden Euro unterzeichnet worden sind und sich der Gast mit der Ankündigung revanchierte, Großbritannien zu einem Partner der ersten Wahl zu machen in Zukunft. Das wurde natürlich auch in Berlin registriert, wo die Regierung viel Wert darauf legt, auch in Zukunft wichtigster Wirtschaftspartner Chinas in Europa zu sein und zu bleiben. Aber die Konkurrenz wächst offenbar und auch China selbst verändert sich ja rasant. - Björn Conrad ist stellvertretender Direktor im Mercator Institute for China Studies. Guten Morgen nach Berlin, Herr Conrad!
Björn Conrad: Guten Morgen.
Barenberg: Ich habe diese Wirtschaftsabkommen mit Großbritannien angesprochen. Ist das aus Ihrer Sicht ein Anzeichen dafür, dass Deutschlands Wirtschaft in China so langsam ins Hintertreffen gerät?
Kampagne der Briten
Conrad: Ich denke schon. Wir können von einer Gewichtsverschiebung in Europa sprechen. Gerade im Vergleich zur deutsch-chinesischen Beziehung, die im letzten Jahr gerade ein bisschen eher auf Sparflamme lief, hat jetzt Großbritannien tatsächlich diese fulminante Kampagne gestartet, die Wirtschaftsbeziehungen mit China auszubauen und zu vertiefen. Da wird aus allen Rohren geschossen und es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass das mehr ist als nur ein kurzes diplomatisches Strohfeuer. Es gibt auch eine klare Verschiebung in den Interessen Chinas in Richtung England, in Richtung London, da die chinesische Wirtschaft weniger Nachfrage hat nach Industriegütern, nach dem, in dem Deutschland stark ist, und viel mehr Nachfrage nach Zugang zu internationalen Finanz- und Devisenmärkten, Zugang zur Finanzdienstleistung, überhaupt zum Dienstleistungssektor, und da ist London natürlich hervorragend aufgestellt. Eine Gewichtsverschiebung ist hier schon zu bemerken.
Barenberg: Nun unterhalten China und Deutschland intensive politische Kontakte. Es heißt immer, China würde mit keinem anderen Land so intensive Kontakte pflegen. Vor einem Jahr - Sie haben es angesprochen -, da trafen 14 Minister aus China in Berlin auf 12 Minister der Bundesregierung und dort wurde ja auch ein umfangreiches Innovationspaket der Partnerschaft verabredet und beschlossen. Warum fällt das alles nicht so ins Gewicht und Sie sagen, dass die Kontakte eher auf Sparflamme laufen?
Innovationspartnerschaft der Deutschen
Conrad: Gerade was die groß angelegte Innovationspartnerschaft, die im letzten Jahr verabschiedet wurde, angeht, gibt es eine gewisse Enttäuschung oder zumindest Ernüchterung auf chinesischer Seite. Aus chinesischer Sicht ist da Deutschland viel zu wenig aktiv. China hätte sich geradezu eine Lawine von tiefgreifenden technologischen Partnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen gewünscht. Die ist weitestgehend ausgeblieben, denn tatsächlich aus guten Gründen sind deutsche Unternehmen auch skeptisch und zögerlich, was diese Innovationspartnerschaft angeht.
Barenberg: Weil sie fürchten, Stichwort geistiges Eigentum, dass sie Technologie nach China liefern, aber nichts dafür zurück bekommen?
Conrad: Das ist vielleicht der wichtigste der Gründe. Ein weiterer Grund ist natürlich die Sorge, dass man letztendlich mit diesen Partnerschaften den Konkurrenten von morgen aufbaut. Der Partner von heute ist gerne auch der Wettbewerber von morgen. Auf der anderen Seite sehen deutsche Unternehmen, dass sie in all den Bereichen, wo die Technologielücke doch noch relativ groß ist, weniger vom chinesischen Partner zurück bekommen können, als sie selbst auf den Tisch legen, und das ist nun zum Leidwesen der chinesischen Seite gerade im Lieblingsbereich der Chinesen, dem Bereich Industrie 4.0 sehr stark der Fall.
Barenberg: Das heißt unterm Strich: Die Unternehmen haben auf der einen Seite Recht, die deutschen Unternehmen, dass es noch viele Hindernisse gibt, was Wirtschaftskontakte, was Geschäfte mit China angeht. Muss man denn sagen, dass China daran nichts ändern kann, oder nichts ändern will?
Conrad: Ich denke, es sind schon viele Reformen in Gang gekommen im Bereich Innovationsschutz zum Beispiel. Das muss man auch gleichzeitig anerkennen. Da hat sich in China auch in den letzten Jahren viel getan und viel verbessert. Gleichzeitig gibt es allerdings dann die neuen Herausforderungen, gerade in diesem Innovationsbereich Industrie 4.0, wo eine ganz, ganz enge Datenvernetzung und ganz, ganz reger Austausch von Daten einfach notwendig ist, und in diesen Bereichen, da kann im chinesischen Kontext einfach die Sicherheit dieser Daten weiterhin nicht sichergestellt werden. Das ist, denke ich, im Moment das größte Hindernis für die Kooperation gerade im Bereich Industrie 4.0.
Barenberg: Industrie 4.0 - geben Sie uns einen Anhaltspunkt dafür, was das in Chancen umgesetzt für deutsche Unternehmen bedeuten könnte? Wo liegen da die Bereiche, die chancenreich wären?
Aufrüstung der chinesischen Industrie
Conrad: Es gibt tatsächlich einen Bereich, der sehr chancenreich ist, und das ist der Bereich der Technologie, die China braucht für diese Aufrüstung der chinesischen Industrie. Das bedeutet, die deutschen Technologieanbieter für Funkchips, für Industrie-Software, für Sensorik für Steuerungstechnik, all diese werden durch die sehr ambitionierten Pläne in China sehr gute Geschäfte machen können, werden dort ihre Produkte absetzen können. Das sollte man allerdings nicht verwechseln mit einer Innovationspartnerschaft im Sinne von gemeinsam neue Lösungen finden, und in diesem Bereich, da ist eher Vorsicht angesagt und dort sind deutsche Unternehmen skeptisch.
Barenberg: Das heißt, wenn ich Sie unterm Strich richtig verstehe, werden sich die Bereich ändern, in denen deutsche Unternehmen in China erfolgreich sein können. Bei einigen wird es eher zurückgehen und dafür werden andere Bereiche bessere Chancen bieten.
Conrad: So ist es. Die traditionellen Branchen, in denen Deutschland im China-Geschäft traditionell sehr stark war - das betrifft weite Teile des Maschinenbaus, aber auch die Automobilhersteller -, in diesen Bereichen werden wir mit klarem Nachfragerückgang rechnen müssen, und das tun die Unternehmen auch. Hier werden wir auch langfristig eine Verlangsamung sehen. Gleichzeitig tun sich andere Bereiche auf, die weiterhin hoffnungsvoll stimmen können. Ich denke, ein weiterer Bereich, der sehr im Zentrum ist, sind die Umwelttechnologien. Da gibt es tatsächlich auf der einen Seite einen riesigen Bedarf in China, auf der anderen Seite hervorragende Technologie und Knowhow auf der deutschen Seite, und da werden die deutsche und die chinesische Seite auch in Zukunft oft gewinnbringend zusammenkommen können.
Chinas Diplomatie in Syrien
Barenberg: Lassen Sie uns zum Schluss, Herr Conrad, noch über die Rolle Chinas auf der diplomatischen Weltbühne sprechen. Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass China es vermeidet, sich allzu sehr einzuschalten, wenn es nicht unmittelbar um die Interessen im engeren Sinne geht. Jetzt haben Chinas Ministerpräsident Li Keqiang und die Kanzlerin gerade vereinbart, dass man gemeinsam an einer raschen politischen Lösung der Syrien-Krise arbeiten möchte, möglichst im Rahmen der Vereinten Nationen. Ist das ein Anzeichen dafür, ein konkretes, dass China da auch seine Außenpolitik ein Stück weit ändert und bereit ist, eine solche konstruktive Rolle zu spielen?
Conrad: Gerade auf dem diplomatischen Parkett ist, denke ich, weiterhin die generelle Zurückhaltung Chinas, dort wo es nicht unbedingt notwendig ist, eine Leitlinie. Allerdings spielt mehr und mehr China hinter den verschlossenen Türen eine immer wichtigere Rolle. Ganz zentral dabei ist das Verhältnis Chinas zu Russland und die Einflussmöglichkeiten dort. Wir haben das während der Ukraine-Krise schon gesehen, dass Deutschland und andere europäische Länder aktiv an China herangetreten sind, um China dazu zu bewegen, wiederum auf Moskau mäßigend zu wirken, und das hat damals schon einige Erfolge gebracht. Es ist eine ähnliche Konstellation jetzt in der Syrien-Frage, wo wiederum auch appelliert wird an die chinesische Seite, den guten Draht nach Moskau zu nutzen, um eine multilaterale Lösung voranzutreiben.
Barenberg: Und, wenn ich Sie recht verstehe, mit ganz guten Chancen, dass das in diese Richtung ein Stück weit klappen könnte?
Conrad: Ein Stück weit sicherlich. Ich denke, dass es in der Vergangenheit jetzt mehrfach der Fall war, dass China dort tatsächlich zu einer Verbesserung beigetragen hat, und da können wir hoffen, dass das auch in der Syrien-Frage der Fall sein wird.
Barenberg: ... sagt der stellvertretende Direktor des Mercator Institute for China Studies heute hier live im Deutschlandfunk, Björn Conrad. Danke für das Gespräch.
Conrad: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.