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"Handelsblatt"-Chefredakteur: Einstellung der FTD ökonomich "auch Erleichterung"

Zur Einstellung des Konkurrenzblatts "Financial Times Deutschland" sagt Gabor Steingart, Chefredakteur "Handelsblatt", dass dadurch ein Wettbewerber "der stark subventioniert" wurde, verschwinde. Er bedauert aber den Verlust journalistischer Vielfalt.

Gabor Steingart im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Im Februar 2000 kam die "Financial Times Deutschland" als börsentägliche Wirtschaftstageszeitung auf den Markt. Sie hatte sich vorgenommen, dem bisherigen Platzhirsch der Wirtschaftszeitungen in Deutschland, dem "Handelsblatt", Leser abzujagen. Viele Preise für journalistische Qualität und Layout konnte die FTD in den folgenden Jahren einheimsen, doch finanziell kam das Blatt des Gruner+Jahr-Verlages nie aus den roten Zahlen. Der Kampf zwischen den beiden täglich erscheinenden Wirtschaftszeitungen "Financial Times Deutschland" und "Handelsblatt", er ist entschieden.

    Die "Financial Times Deutschland", sie hat sich heute in "Final Times Deutschland" umbenannt. Und heute erscheint das Blatt ganz in schwarzer Farbe unter der selbstironischen Überschrift "Endlich schwarz" – ein Bezug darauf, dass das Blatt eben nie aus den roten Zahlen heraus kam. 300 Mitarbeiter und ein paar mehr drohen nun, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

    - Am Telefon ist nun einer der langjährigen Konkurrenten, Gabor Steingart, Chefredakteur des "Handelsblatt". Guten Morgen, Herr Steingart.

    Gabor Steingart: Ja schönen guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Ist das heute eine Stimmung für Sie zum Sektkorken knallen lassen?

    Steingart: Nein, auf keinen Fall. Wir sind geprägt, glaube ich, heute von dem Respekt vor den kämpfenden Kolleginnen und Kollegen in Hamburg. Die haben das zwölf Jahre tapfer gemacht, viele Preise gewonnen wie erwähnt und waren dem "Handelsblatt", glaube ich, ein würdiger Wettbewerber und haben das "Handelsblatt" auf Trab gebracht. Dafür muss man dankbar sein. Vielleicht wäre ich als Chefredakteur, als jemand, der 20 Jahre vorher beim "Spiegel" war, gar nicht in Düsseldorf auf diesem Posten heute.

    Engels: Herr Steingart, müssen wir das nicht doch als Krokodilstränen werten, denn für das "Handelsblatt" wird der Markt ohne einen Hauptkonkurrenten FTD doch wieder einfacher?

    Steingart: Klar gibt es auf der ökonomischen Seite auch Erleichterung. Man muss schon auch sehen, dass hier ein Großkonzern, nämlich Bertelsmann, angetreten war, ein mittelständisches, ein Familienunternehmen, die Zeitung des Verlegers Dieter von Holtzbrinck, na ja, wenn nicht vom Markt zu bringen, dann doch zu deklassieren. Und es wurden doch mehr als 300 Millionen Euro eingesetzt, das ist das Dreifache unseres Jahresumsatzes, wurden eingesetzt, um das zu erfüllen, diese Mission. Dieses Geld ist jetzt verloren, muss abgeschrieben werden. Und insofern sind wir natürlich auf der ökonomischen Seite ganz dankbar, dass ein Wettbewerber, der stark subventioniert war, der an keinem einzigen Tag sein Geld am Markt eingespielt hat, weg ist und wir uns hier nicht eine Rabattschlacht leisten und nicht in der Online- und Digitalwelt sich das wiederholt, was wir in der Printwelt gesehen haben, dass man sich nämlich zu subventionierten Preisen Konkurrenz macht. Das ist für uns eine Erleichterung, das will ich gar nicht bestreiten.

    Engels: Die "Financial Times Deutschland" galt vielen Experten als das besser gemachte Wirtschaftsblatt im Vergleich zum lange Zeit eher sehr traditionell erscheinenden "Handelsblatt". Das hat auch Ihr Blatt zu Reformen getrieben, Sie haben es angedeutet. Was haben Sie denn konkret gelernt von der Konkurrenz in den letzten Jahren?

    Steingart: Ich bin ja seit drei Jahren dabei und bin erst gekommen, als der Wettbewerb, sagen wir mal, schon im Abflauen war. Ich glaube, ihre stärkste Zeit hatte die "Financial Times Deutschland" in der Anfangsphase, als sie frechere Überschriften brachte, in den Kommentaren aufrüttelnder, empathischer, einfühlsamer war. Es kamen viele Stimmen in der wirtschaftsökonomischen Debatte zu Wort, keynesianistische Stimmen, die in Deutschland eher verpönt waren bis dahin oder nicht ausreichend Gehör fanden. Also, da waren ein paar neue Klangfarben drin. Deswegen, Frau Engels, will ich auch sagen: Darüber freue ich mich nicht, dass wir publizistisch sozusagen ein Stück Vielfalt verlieren. Ich telefoniere in diesen Tagen viel - und meine Kollegen tun das auch – mit Kolumnisten und Kommentatoren der Financial Times, die wir gerne in unserer Zeitung fortführen wollen. Also wir wollen eine Handreichung machen und wollen die Vielfalt, wo immer möglich, erhalten. Andrew Gowers, der Gründungschefredakteur, wird künftig bei uns schreiben, Christoph Keese, sein Nachfolger, ebenfalls ein Chefredakteur, wird schreiben. Und viele der jetzigen werden, sobald Gruner+Jahr mit den Abfindungsverträgen durchverhandelt hat, auch zu uns kommen, und bei uns auf der Kommentarseite werden die Leser der FTD eben auch ein Angebot finden.

    Engels: Mehr als 300 Mitarbeiter der FTD sind es aber insgesamt, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Davon wird doch nicht die Mehrheit beim "Handelsblatt" unterkommen können, oder?

    Steingart: Nein, das geht nicht. Ich rede jetzt wirklich davon, dass Kommentatoren bei uns schreiben, dass die Farbe und das, was die FTD und ihre Art Journalismus mit an den Tisch gebracht hat, dass das jetzt nicht wegradiert wird. Das will keiner. Insofern sind es da auch keine Krokodilstränen. Ich glaube, dass sich alle Menschen in Deutschland, die sich für Wirtschaft interessieren und für die das mehr ist als eine Rubrik, einfach eine andere Sicht auf die Welt, sich heute eine Wirtschaftszeitung leisten sollten und dass wir da möglichst zusammenarbeiten und diese Leute alle an den Tisch bringen, in einer Zeitung versammeln, wobei die Zeitung ja heute auch mehr ist als eine Zeitung. Wir haben so viele Veranstaltungen, wir begegnen uns. Ich glaube eben, dass Zeitung heute eine Gemeinschaft ist von Leuten, die sich dem ökonomischen Sachverstand verpflichtet fühlen, die finden, dass Dinge sich rechnen müssen in der Politik. Und insofern würde ich schon darum werben, dass die Leserinnen und Leser der FTD nicht ins Nichtleser-Lager abwandern, sondern zu uns kommen und es mal ausprobieren.

    Engels: Das ist jetzt nicht wirklich überraschend, dass Sie diese Werbung an dem Punkt ansetzen. Aber generell kommt diese Insolvenz ja in eine Zeit, wo der Zeitungsmarkt generell in der Krise steckt. Auch Kostendruck und deutlichen Stellenabbau hat das "Handelsblatt" schon erlebt. Wann bedroht denn die Tatsache, dass immer mehr exklusiv und teuer recherchierte journalistische Artikel umsonst im Netz abzurufen sind, auch Ihre Zeitung?

    Steingart: In meiner Zeit gab es keinen Abbau, sondern Aufbau. Wir werden weiter investieren digital.

    Engels: Aber vorher war es anders.

    Steingart: Ja, insbesondere auf der Verwaltungsseite muss man immer gucken, dass man schlanker ist. Ich widerspreche der ganzen These, dass wir eine Zeitungskrise haben. Man muss es gut machen. Gucken Sie sich das "Wall Street Journal" in Amerika an, das hat die "Washington Post" und die "New York Times" überholt, ist als Wirtschaftszeitung im Prinzip wie das "Handelsblatt", nur die Nummer eins in Amerika, ist die generelle Tageszeitung der Amerikaner geworden, in einem Zeitraum von 15, 20 Jahren. Der "Economist" hat in der Zeit, in der wir von Krise reden, seine Auflage verdoppelt, weil er expandiert hat und Großbritannien verlassen hat und heute in Australien, in Amerika und im restlichen Europa zu haben ist. Also, es gibt tolle Beispiele, gerade in unserem Feld von Wirtschaftsinformation, wo nicht von Krise die Rede sein kann, sondern man muss die Leute auf der Art und den Plattformen, den technischen Plattformen, in der Sprache ansprechen, in der sie angesprochen werden wollen, und ich glaube, dann hat man eine Chance. Die Auflage des "Handelsblatts" beispielsweise schrumpft keineswegs, sondern steigt seit Monaten.

    Engels: Der Springer-Konzern versucht nun, bei der "Welt" und bei "Bild" ein Modell zu finden, bei dem für Inhalte im Netz eben doch gezahlt werden muss. Denken Sie, das ist Erfolg versprechend?

    Steingart: Der einzige Weg aus meiner Sicht.

    Engels: Und wie soll man es machen?

    Steingart: Na ja, wir haben auch heute schon bezahlt. Ich war neulich bei Henry Kissinger, wir haben ein Interview gemacht für die Zeitung. Dieses Interview haben wir in einer kurzen Zusammenfassung auf unserer Webseite kundgetan, was hat Henry Kissinger uns zu sagen zur Euro-Krise. Das ganze Interview musste man aber klicken, bezahlen und dann erst lesen. Und ich finde, das ist die Reihenfolge: gutes Geld für gute Arbeit.

    Engels: Gibt es mittelfristig noch genügend Käufer, die sich speziell für so komplexe Zusammenhänge, wie in Wirtschaftstiteln beschrieben, interessieren?

    Steingart: Ja, ich glaube, mehr denn je. Wie wollen sie denn aufsteigen? In einer Gesellschaft, in der sie Berufe wechseln müssen, in der sie von der einen Firma lebenslang wie unsere Eltern, einmal bei Opel, einmal bei Mercedes, beim Daimler, einmal bei Volkswagen, das gibt es heute nicht mehr. Heute wird gesprungen, gewechselt. Und Aufstieg ohne Lesen kann ich mir nicht vorstellen. Ich sage nicht, dass alle das "Handelsblatt" lesen müssen, aber man muss lesen. Ich glaube nicht, dass es mit Twitter-Tweets, mit Facebook und auch mit privaten Fernsehprogrammen getan ist. Ich glaube, Lesen als Aufstiegsinstrument ist unersetzbar, an der Universität, aber auch in der Fortbildung. Insofern glaube ich an die Zukunft von Wirtschaftspresse.

    Engels: Herr Steingart, wissen Sie noch, welches Ihre Lieblingsschlagzeile der "Financial Times Deutschland" war?

    Steingart: Oh, daran erinnere ich mich nicht. Wir sind Tageszeitungsleute, Schlagzeilen kommen und gehen, die heutige ist prägnant und, ich glaube, dem Tag angemessen. "Final Times" hat man oben drübergeschrieben, da schwingt die Trauer mit und ich kann das nachvollziehen. Und insofern ist das, glaube ich, heute eine gelungene und würdevolle Abschiedsausgabe der Kollegen.

    Engels: Gabor Steingart, der Chefredakteur des "Handelsblatts", zum Abschied der "Financial Times Deutschland". Das Blatt erscheint nach der Insolvenz heute zum letzten Mal. Vielen Dank für das Gespräch.

    Steingart: Ich bedanke mich auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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