Ursula Mense: Entwicklungsminister Gerd Müller hat schon viele afrikanische Länder besucht und versucht auch mit Hilfe deutscher Unternehmen die Chancen für den Kontinent zu verbessern. Bisher ist die deutsche Wirtschaft aber an Afrika nicht gerade übermäßig interessiert: Nur 1.000 von dreieinhalb Millionen deutschen Firmen engagieren sich dort. Die Investitionsbedingungen für die Unternehmen zu verbessern, ist folglich ein Anliegen des Ministers. Aber nicht das einzige. Er will auch, dass die EU ihre Märkte für alle afrikanischen Güter öffnet und insbesondere Agrarprodukte zollfrei nach Europa lässt. Damit könnten Jobs für Millionen arbeitslose junge Menschen in Afrika geschaffen werden, glaubt Minister Müller.
Ich habe den Afrika-Experten Francesco Marí gefragt, was er von der Idee hält. Er ist Referent unter anderem für Agrarhandel und Welternährung bei "Brot für die Welt".
Problem sind verarbeitete Produkte, nicht Rohware
Francesco Mari: Grundsätzlich über eine stärkere Agrarproduktion Jobs zu schaffen, ist eine gute Idee. Nur: Das Problem der afrikanischen Landwirtschaft in der Konkurrenz zur europäischen ist nicht die Zollfreiheit. Die besteht ja im Prinzip für fast alle Länder, für fast alle Produkte schon seit Jahrzehnten.
Das Problem ist aber, dass meistens eben nur Rohprodukte Zollfreiheit genießen. Sobald diese Produkte als Endprodukte kommen – nehmen Sie fertige Tafeln Schokolade oder fertiger Kaffee –, dann ist es schwierig. Da gibt es bestimmte Regeln, die nicht Zollregeln sind, die es verhindern, dass dann die höhere Wertschöpfung am Produkt wie zum Beispiel Schokolade eben nicht mehr zollfrei in die Europäische Union kommt. Und das, was wirklich Arbeitsplätze schafft, ist natürlich die Verarbeitung der eigenen Rohstoffe im Agrarbereich, aber auch bei mineralischen Rohstoffen. Und da drückt der Schuh für afrikanische Exporteure.
Mense: Weil dann die Waren hier auch nicht konkurrenzfähig sind?
Mari: Genau. Weil dann ein höherer Zoll bezahlt werden müsste, weil sagen wir die Nüsse in der Nussschokolade aus Amerika kommen, dann gilt das nicht mehr. Wenn dann auch noch die Milch aus Neuseeland oder das Pflanzenfett aus Malaysia sind, dann ist es einfach keine afrikanische Schokolade mehr, auch wenn sie aus Afrika kommt, und zahlt dann den allgemeinen Zoll, den auch andere Konkurrenten zahlen.
Europäische Importprodukte zerstören lokale Märkte
Mense: Bisher ist es ja ohnehin so, dass die EU mit ihren Produkten in Afrika, also vor allem mit Weizen, so weit ich informiert bin, Fleisch oder auch einigen Milchprodukten, die heimischen Angebote eigentlich unterbietet. Das kommt dann ja auch noch verschärfend hinzu.
Mari: Das ist eigentlich das Problem, das Herr Müller kennt, aber so nicht anspricht. Dass die afrikanische Landwirtschaft, dass sehr viele Jugendliche aus ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit in die Städte gehen, weil sie einfach gegen die verarbeiteten europäischen Produkte auf ihren eigenen Märkten keine Chance haben, sie zu verkaufen. Gerade verarbeitete Produkte, die dann wiederum auf dem Land ja auch Arbeitsplätze schaffen würden, um Jugendliche auf dem Land ihrer Eltern, in ihren Bauernhöfen zu halten. Und da müsste erst einmal etwas verändert werden, nämlich im Export der Europäischen Union mit Agrarprodukten nach Afrika, um Arbeitsplätze zumindest zu halten, aber auch, wenn man dann noch Verarbeitung in den Ländern zulässt, die dann zollfrei zu uns exportiert werden kann, um neue zu schaffen.
Mense: Nun unterstützt das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ja schon länger diesen sogenannten Marshallplan für Afrika, der unter anderem ja auch vorsieht, dass Wirtschaftspartnerabkommen, diese sogenannten EPAs damit verbunden sind. Die sind noch nicht so wirklich in Kraft getreten, soweit ich weiß. Aber das hat man zumindest vor. Wie passt das denn überhaupt zusammen?
Marshallplan für Afrika keine echte Hilfe
Mari: Das ist wirklich, wo man ansetzen könnte. Diese Abkommen sind sehr ungerecht, sie wurden von vielen Ländern überhaupt nicht unterzeichnet. Viele, die Exportchancen sehen, auch im Agrarbereich – Bananen, grüne Bohnen oder andere Dinge, sind gezwungen worden, sie zu unterzeichnen, weil da hätten sie wirklich die Zollfreiheit verloren. Die müsste man so ändern oder meines Erachtens überhaupt erst einmal einfrieren, damit die Länder selbst entscheiden können, wie sie ihre Zollgesetzgebung, welche Fertig- und Zwischenprodukte sie herstellen wollen.
Mense: Sehen Sie denn dafür eine Bereitschaft in der Europäischen Union?
Mari: In der Europäischen Union weniger. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Überprüfung dieser Abkommen zugesichert. Da könnten wir uns vorstellen, dass Druck entsteht. Was den Marshallplan, die Investitionen deutscher Firmen in Afrika angeht, das sagt der Minister ja selbst, es sind so wenige, weil einfach auch nicht klar ist, was sollen sie dort herstellen. Wenn sie zum Beispiel, sagen wir mal, investieren würden in Schokoladenfabriken, dann sehen sie sich vor demselben Problem wie einheimische Produzenten.
Und zweitens ist es ja so, dass diese Firmen eben nicht auf ihren eigenen Markt schauen sollten, sondern was in Afrika wirklich eine Chance für Investoren wäre, ist der Binnenmarkt Afrikas. Die vielen Millionen Konsumenten in Afrika selbst. Und da ist Afrika ja dabei, so einen Binnenmarkt zu schaffen, so wie die EU. Aber dazu müsste man ihnen Zeit geben, das zu entwickeln. Auch die EU ist nicht von heute auf morgen entstanden. Und dann würden Investoren dort einen großen, riesigen Markt ohne Zollschranken finden, und das würde sicher zu einem Arbeitsplatzboom führen, wenn natürlich dieser Markt sich schützen könnte vor Billigkonkurrenz aus Industrieländern.
Nicht alle Investitionen sind wünschenswert
Mense: Der Minister hat auch ein Entwicklungsinvestitionsgesetz vorgeschlagen, was Bedingungen für deutsche Investitionen verbessern soll. Was ist denn davon zu halten?
Mari: Das hat es ja schon mal gegeben, eine größere Abschreibungsmöglichkeit für deutsche Firmen, wenn sie in Afrika investieren. Das wurde, glaube ich, in den 80er-Jahren dann wieder abgeschafft. Da muss man vorsichtig sein. Ich meine, da sind natürlich die Mitnahmeeffekte groß, und die Frage ist, wer investiert? Wenn zum Beispiel große deutsche Agrarkonzerne dort investieren und dort eine industrielle Landwirtschaft schaffen, die Tausende und Millionen von Menschen, Landwirte verdrängt, so wie das in Europa gewesen ist, dann sind das Investitionen, die wahrscheinlich auch der Minister nicht möchte.
Mense: Er hat gesagt, er würde damit vor allen Dingen den Mittelstand ermutigen wollen, dort zu investieren.
Mittelstand könnte Arbeitsplätze schaffen
Mari: Es könnte ein Hebel sein. Aber es gibt ja zum Beispiel schon die Hermes-Bürgschaften, die Risiken von Mittelständlern in Afrika auch absichern können. Sicher, wenn das eine Möglichkeit ist, dass mehr Know-how, mehr Wissen, mehr Investitionen des deutschen Mittelstandes in Afrika Produktionen dort entwickeln, die Arbeitsplätze schaffen vor allem für den Binnenmarkt, die aber auch die dortigen Rohstoffe verarbeitet und nicht einfach nur Fertigteile dort montieren lässt, dann wäre das eine Möglichkeit, die Arbeitsplätze schafft und damit auch Menschen die Wahl lässt, auch in ihren Ländern eine Zukunft zu sehen.
Mense: Also kann man abschließend sagen, es gibt einige ganz brauchbare Ideen, denn Minister Müller engagiert sich ja eigentlich sehr für Afrika und will dort wohl tatsächlich auch mithilfe deutscher Unternehmen etwas bewirken.
Mari: Ja, das kann man sagen. Das stellen wir gar nicht in Abrede. Er muss nur wirklich sich die Details anschauen und wirklich auch mit den dortigen Gewerkschaften, Produzenten, Zivilgesellschaft, auch Bauernverbänden reden, was eigentlich für sie sinnvoll wäre. Auch an Investition, aber auch vor allem an Handelsbedingungen und nicht einfach Lösungen, die es bei uns gibt, wie Mittelstandsförderung einfach übertragen auf die afrikanischen Verhältnisse. Dann kann durchaus auch sinnvolle Unterstützung aus dem deutschen Mittelstand, gefördert durch das Ministerium, auf die Ziele, die wir natürlich unterstützen, dass Menschen dort Arbeit haben, vollziehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.