Dirk Müller: Peter Altmaier versucht, Schlimmeres zu verhindern, aus europäischer Sicht jedenfalls. Der neue deutsche Wirtschaftsminister in Washington. Er setzt auf Schadensbegrenzung mit der US-Regierung. Das tut auch Cecilia Malmström, EU-Handelskommissarin. Aber werden sich die Amerikaner darauf einlassen, den Europäern, den Deutschen Sonderregelungen einzuräumen, so wie sie das bei den Kanadiern getan haben oder auch bei den Mexikanern?
Der Handelsstreit zwischen Brüssel und Washington, zwischen Berlin und Washington. Können die Europäer zurecht Verschonungen verlangen? Das ist unser Thema mit dem Ökonomen Professor Gabriel Felbermayr vom Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Er hat jüngst die Handelspraktiken zwischen Europa und Amerika noch einmal im Detail unter die Lupe genommen und dabei ist herausgekommen, dass die EU mehr Handelshemmnisse aufgebaut hat, als das die USA getan haben. Guten Tag, Herr Felbermayr.
Gabriel Felbermayr: Guten Tag, Herr Müller.
Vor 25 Jahren ein ausgewogenes Paket
Müller: Sind die Europäer die bösen Buben?
Felbermayr: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es stimmt, dass die Zölle im Durchschnitt höher sind in Europa als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber man muss erstens sehen, dass sich hinter diesem Bild sehr viel Heterogenität verbirgt. Wir haben höhere Zölle auf Autos, aber die Amerikaner haben sehr hohe Zölle zum Beispiel auf Kleinlastwagen. Das ist sehr differenziert. Dazu muss man sagen, dass diese Zölle ja ausverhandelt wurden vor etwa 25 Jahren, und damals war das ein Kompromiss. Die Amerikaner haben uns niedrige Zölle bei Autos gegeben und wir haben den Amerikanern hohen Schutz von geistigem Eigentum zugestanden. Das war damals ein ausgewogenes Paket, das da geschnürt wurde.
Müller: Aber jetzt ist es nicht mehr fifty-fifty, wenn ich Ihre Zahlen richtig interpretiere?
Felbermayr: Bei den Zöllen ist es so, wie ich gesagt habe. Da haben wir die höheren Zölle in der Tat. Und die Ansicht, glaube ich, die man durchaus verstehen kann in den USA ist, das was vor 25 Jahren vereinbart wurde, dass das heute nicht mehr so gerecht ist, wie es vielleicht damals war. Wir haben den Eintritt Chinas gehabt in die Welthandelsorganisation. China hat sich, was seine wirtschaftliche Größe angeht, verdreifacht. Dieses Regelsystem, das wir vor 25 Jahren ausgemacht haben, muss man heute vor diesen neuen Realitäten sehen.
Dazu kommt natürlich auch dieser dramatisch angestiegene Leistungsbilanz-Überschuss Deutschlands. Den gab es damals auch noch nicht. Also andere Vorzeichen und deswegen durchaus eine gewisse Berechtigung in den USA zu fragen, gibt es hier nicht Nachbesserungsbedarf, muss man nicht gewisse Ungerechtigkeiten, die tatsächlich da sind, abschaffen.
Gescheitertes TTIP nicht allein Schuld der USA
Müller: Sie sagen, vor 25 Jahren war das nicht so. Das ist aber seit vielen Jahren in der Diskussion. Wirtschaftsexperten in den USA sagen das seit mindestens zehn, 15 Jahren und die Politik hat es ebenfalls in diesem Zeitraum längst auch zur Politik gemacht, in Gesprächen mit Regierungsverantwortlichen aus Europa, mit Abgeordneten aus Europa, und getan hat sich nichts. Können Sie das nachvollziehen, dass irgendwann der Geduldsfaden reißt?
Felbermayr: Na ja, getan hat sich schon etwas. Wir haben immerhin drei Jahre lang über ein transatlantisches Freihandelsabkommen verhandelt und in diesen Verhandlungen ging es ja auch darum, bestehende Ungleichgewichte im transatlantischen Handel abzubauen, eben die hohen Importzölle auf Autos hier bei uns und die hohen Importzölle bei Kleinlastwagen in den USA einzuebnen und andere Barrieren, zum Beispiel im Bereich Nahrungsmittel, Lebensmittel, wo Europa sehr abgeschottet ist, auch aus der Welt zu schaffen. Diese TTIP-Verhandlungen sind aus Gründen gescheitert, die wir jetzt nicht alle diskutieren müssen, aber da war nicht nur die USA dran schuld, dass das nichts geworden ist. Da gab es auch in Europa große Widerstände und es wurde eine Chance vertan.
Müller: So haben das viele auch verstanden, dass die Europäer an dieser Schraube gedreht haben. Aus Sicht der Amerikaner ist es nachvollziehbar – das ist jetzt meine Frage an Sie -, dass man sagt, okay, wir müssen jetzt irgendwie härtere Bandagen aufziehen?
Felbermayr: Ja, das muss man so sehen. Ich denke, wenn Trump in der Situation, in der er heute ist, sagt, lasst uns mit Europa über Zölle verhandeln, was kann er uns anbieten. Die amerikanischen Zölle sind schon niedriger als die europäischen. Er möchte von uns Zollzugeständnisse bekommen. Die Praxis in Handelsvereinbarungen ist ja, dass man sagt, ihr gebt uns etwas, dafür kriegt ihr etwas von uns.
Zollunterschiede wirken heute stärker
Müller: Darf ich das noch einmal anführen? Sie haben hier gesagt, 5,2 Prozent, das ist der durchschnittliche Zollsatz, den die Europäer im Mittel jedenfalls erheben. Das ist nicht repräsentativ für die einzelnen Produkte, aber 5,2 Prozent. Die Amerikaner "nur" 3,5 Prozent. Das ist ein deutlicher Unterschied?
Felbermayr: Ja, das ist ein deutlicher Unterschied, jedenfalls in einer Welt, in der die Zölle insgesamt schon sehr niedrig sind und in der andere Handelskosten, die traditionell hoch waren, zum Beispiel Transportkosten und die ganzen Vertragsanbahnungskosten, Telekommunikationskosten – das sind auch alles Handelskosten -, die sind in den letzten 25 Jahren auch deutlich weniger geworden, so dass diese Zollunterschiede heute stärker wirken, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Müller: Ich möchte noch eine andere Zahl nehmen. Das ist jetzt willkürlich herausgepickt – zugegeben. Wenn die Amerikaner Rindfleisch exportieren wollen nach Europa, dann wird das Ganze fast 70 Prozent teurer, 70 Prozent Zoll auf Rindfleisch.
Felbermayr: Im Rindfleisch-Bereich ist die Sache extrem. Das muss man sagen. Da haben wir noch hohe Marktzutrittsbarrieren. Das sind im Übrigen auch nicht Zölle, so wie wir das ausweisen, sondern das sind eine ganze Reihe von anderen Barrieren, die dann so wirken wie Zölle. Da muss man sagen, das wäre ein äquivalenter Zoll von 70 Prozent. Und ja, da ist in Amerika sehr viel Frustration auch da, dass die europäischen Märkte, wo die Amerikaner wettbewerbsfähige Produkte hätten – Amerika produziert sehr wettbewerbsfähiges Rindfleisch -, dass diese Märkte für die amerikanischen Farmer geschlossen sind in Europa.
Müller: Warum ist denn die Empörung bei der EU-Kommission so groß?
Felbermayr: Na ja, weil die Amerikaner vor allem eines tun: Sie brechen ein Tabu. Die WTO, die Welthandelsorganisation sieht ja Regeln vor, sieht auch Verfahren vor, wie man gegen unfaires Verhalten von Handelspartnern vorgehen kann – mit Anti-Dumping-Zöllen zum Beispiel oder mit Schutzzöllen. Was die Amerikaner machen ist aber etwas anderes. Sie ziehen nicht die Instrumente, die vorgesehen sind, sondern sie gehen einen neuen Weg. Sie sagen, wir tun so, als wären wir in unserer nationalen Sicherheit bedroht, und dann kann man in einem Graufeld der Welthandelsorganisation Zölle erheben gegen alle Handelspartner im Prinzip, ohne nachweisen zu müssen, dass die Handelspartner auch tatsächlich unfaire Praktiken einsetzen. Das ist etwas, das den ganzen handelspolitischen Konflikt doch auf eine ganz andere Ebene hebt.
Sie versuchen, mit Zöllen sich Recht zu verschaffen
Müller: Aber ist das nicht so? Sie haben uns doch gerade erklärt, dass es in Teilen unfair ist, was die Europäer machen.
Felbermayr: Na ja. Die Frage ist, was heißt hier unfair. Es gibt Asymmetrien, es gibt Ungleichgewichte, das ist klar. Und man kann sagen, es sei nicht fair, wenn wir zehn Prozent verlangen und die Amerikaner zweieinhalb. Aber das wurde ausgemacht und in Recht gegossen. Das war vor 25 Jahren, schon lange her, aber es ist geltendes Recht.
Müller: Also unfaires Recht?
Felbermayr: Ja, so kann man das sagen. Aber was natürlich jetzt die Amerikaner machen ist: Sie sagen, wir bewegen uns außerhalb des Rechtsrahmens. Wir gehen nicht vor und sagen, lasst uns TTIP neu auflegen, ein ganz anderes TTIP vielleicht als das, das gescheitert ist, eines, das wirklich die Barrieren, um die es geht, adressiert und nicht sich im Investitionsschutz verkämpft. So könnte man kooperativ diese Barrieren aus der Welt schaffen. Das machen aber die Amerikaner nicht.
Sie ziehen einen recht fragwürdigen Artikel aus dem WTO-Recht, schieben die nationalen Sicherheitsbedenken vor – das ist natürlich sehr fabriziert – und versuchen, so mit Zöllen sich Recht zu verschaffen. Da, glaube ich, regt sich die Europäische Kommission, regen sich die Handelspartner auf der ganzen Welt zurecht auf, dieser einseitige Versuch und dieser nicht kooperative Versuch, die Welthandelsordnung im Interesse der Amerikaner neu zu definieren.
Müller: Wenn die Amerikaner das wahr machen, was sie angekündigt haben, welche Konsequenzen hat das?
Felbermayr: Na ja. Zum einen muss man sagen, natürlich: Stahl, Aluminium, Stahlprodukte, das ist relativ überschaubar. Und wenn man das in Bezug sieht zum Beispiel zum deutschen Bruttoinlandsprodukt, dann reden wir von Exporten im Wert von 0,05 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da werden wir hier jetzt am Ifo-Institut oder anderswo unsere Wachstumsprognosen nicht ändern müssen.
"Trump möchte ja gerne seine Muskeln spielen lassen"
Müller: Also nicht sehr relevant?
Felbermayr: Das ist für sich genommen nicht sehr relevant. Aber ich würde sagen, was wir hier im Stahl- und Aluminiumbereich sehen, diese Auseinandersetzung, das ist eine Art Stellvertreterkrieg und es geht um etwas ganz anderes. Es geht darum, dass die Amerikaner unzufrieden sind mit dem Welthandelssystem, wie es heute existiert, denn das schränkt den amerikanischen Bewegungsraum deutlich ein. Herr Trump möchte ja gerne seine Muskeln spielen lassen. Er möchte gerne, wie die Chinesen das übrigens schon seit Jahrzehnten tun, die eigene Marktgröße einsetzen, um Zugeständnisse zu erzwingen. Das WTO-Recht aber schiebt ihm da Regeln vor. Das heißt, was wir hier sehen, dieses bewusste Verletzen, vielleicht nicht nach den Buchstaben, aber jedenfalls im Geiste der geltenden Regeln, hat den Sinn im Hintergrund, die ganze Welthandelsorganisation abzuschießen. Und wenn es dazu kommt, ist die Verletzbarkeit in Europa und in Deutschland ungleich höher als das, was wir im Stahl- und Aluminiumbereich haben.
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