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Handelsstreit zwischen EU und USA
Attac: Abbau von Zöllen setzt Entwicklungsländer unter Druck

Roland Süß von der globalisierungskritischen Organisation Attac sieht die Vereinbarungen im Handelsstreit zwischen der EU und den USA kritisch: Die US-Regierung wolle mit der Abmachung ihre eigenen Vorteile und die der Industriestaaten absichern, sagte er im Dlf.  Schwellen- und Entwicklungsländer hätten das Nachsehen.

Roland Süß im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Unter den Fahnen mit der Aufschrift "attac" gehen die Teilnehmer des Kongresses am 20.10.2001 in Berlin auf den Eingang der Technischen Universität in Berlin zu. An der dreitägigen Tagung des globalisierungskritischen Netzwerkes nahmen rund 2000 Kritiker einer ungesteuert wachsenden Verflechtung der Weltwirtschaft teil, um sich für einen friedlichen Wandel der Welt einzusetzen. Zum Auftakt der Tagung der Bewegung ATTAC gab es Aufrufe zu friedlicher Unruhe.
    Gegen ein "TTIP light" würde Attac mobilisieren, sagte Roland Süß. (picture alliance/dpa)
    Jörg Münchenberg: Zugehört hat Roland Süß. Er ist Handelsexperte bei der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation attac. Herr Süß, ich grüße Sie!
    Roland Süß: Herzlichen guten Tag.
    Münchenberg: Herr Süß, die weitere Eskalation beim Handelsstreit ist vorerst vertagt. Wie bewerten Sie denn das Ergebnis, auf das sich Juncker und Trump jetzt in Washington verständigt haben?
    Süß: Ja, natürlich ist das zunächst mal besser, wenn man miteinander redet. Aber man hat ja die Erfahrung gemacht, das muss nicht sehr lange halten. Aber insgesamt: Wir haben an einem Punkt jetzt wirklich eine Zusage, dass die Strafzölle auf die Autoindustrie nicht erhoben werden. Aber die Agenda, die letztendlich hier formuliert worden ist, ist nicht neu. Das hatte auch gerade letzte Woche der US-Finanzminister bei dem G20-Treffen ja deutlich gemacht. Er hatte dort gesagt, dass er sich vorstellen könnte, dass die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten, also der G7-Staaten – das wäre dann, weil ja die EU als eines letztendlich verhandelt, die EU, die USA, Japan und Kanada letztendlich -, dass die praktisch eine Freihandelszone auf den Weg bringen mit der Streichung von Zöllen im Industriebereich, mit dem Abbauen von Subventionen auch im Industriebereich und auch dem Abbau von Handelshemmnissen.
    "Die EU hat sich sehr deutlich erpressen lassen"
    Münchenberg: Herr Süß, lassen Sie uns noch mal ganz kurz bei Washington bleiben, worauf man sich jetzt dort verständigt hat. Muss man nicht trotzdem feststellen, dass sich die EU nicht doch hier ein Stück weit hat erpressen lassen? Denn vorher hieß es ja, wir wollen erst mal, dass die Zölle auf Stahl und Aluminium verschwinden, dass es keine Pistole auf der Brust gibt. Aber daran hat sich ja nichts geändert.
    Süß: Das ist ja das, wohin ich gerade wollte. Die Agenda, die inhaltliche Ausrichtung von dem, was verhandelt werden soll, ist jetzt ganz einfach von Trump und den USA gesetzt worden, und insofern hat sich natürlich die EU da schon sehr deutlich erpressen lassen. Weil das, was jetzt auf dem Tisch liegt, würde nach unserer Meinung wirklich zu einer gravierenden schädlichen Auswirkung letztendlich führen, die teilweise weitergehen würde von den schädlichen Auswirkungen, wie das bei TTIP der Fall war.
    Münchenberg: Was meinen Sie damit genau?
    Süß: Wenn man wirklich sagt, man will die Industriezölle, sagen wir jetzt mal, entweder EU und USA oder in G7 – das ist jetzt ja mal zweitrangig -, wenn diese großen westlichen Industrienationen, die ihre Märkte ja entwickelt haben, wo die Industrie ja robust ist, alle Zölle abbauen, dann wird das zu einem massiven Druck letztendlich führen für andere Länder, nicht nur die Schwellenländer, sondern auch gerade Entwicklungsländer hätten dann eine massive Verschärfung ihrer Situation. Ihre Produkte würden ganz einfach noch wettbewerbsunfähiger sein, und das hätte eine massive Auswirkung auf deren Entwicklung und hätte mit Sicherheit auch eine Auswirkung auf die Flüchtlingsbewegung zum Beispiel nach Europa.
    "Zölle sind ein Mittel, um schwächere Länder in ihrer Entwicklung abzusichern"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite ist es so, Herr Süß, dass ja auch schon die jetzt erlassenen Zölle Auswirkungen haben, zum Beispiel in Amerika selbst. Die Unternehmen dort stehen unter Druck. Es gibt Gewinnwarnungen von den großen Autokonzernen auch. Die Verhängung von Strafzöllen beeinträchtigt ja auch die Wirtschaftsentwicklung in den westlichen Industrienationen.
    Süß: Richtig! Aber die Frage ist, welchen Weg geht man. Der Weg von Trump heißt im Prinzip, dass die großen Industrieländer, die USA mit den Ländern der Willigen, quasi ihre Vorteile absichert, ihre Wettbewerbsfähigkeit, die ja in den letzten Jahrzehnten sehr dominant war, absichert, was kein Weg ist, dass es einen weltweit gerechten Handel gibt. Jetzt soll ja auch die WTO reformiert werden laut dem Vorschlag. Er hat das sehr deutlich gesagt. Er hält es zum Beispiel für einen Fehler, dass China und Russland in der WTO sind, und er will eigentlich eine WTO, die dominiert wird von den westlichen Industrienationen.
    Münchenberg: Wenn es jetzt so etwas geben sollte wie ein TTIP Light, wie würde sich dann attac aufstellen?
    Süß: Wir werden natürlich dagegen mobilisieren. Da werden wir uns das anschauen. Einerseits sollen die Handelshemmnisse gerade auch im chemischen Bereich – und da sind wir wieder bei dem Thema, dass das Vorsorgeprinzip massiv wieder unter Druck geraten wird. Ich sehe noch nicht, dass die Verhandlungen, die jetzt angestrebt werden, ein TTIP Light sind. Es ist momentan zwar noch nicht von dem Klagerecht die Rede oder von regulatorischer Kooperation, aber es ist ein sehr umfassendes Abkommen natürlich, was da geplant ist, und es hat neue Komponenten, dass die Zölle noch radikaler letztendlich abgebaut werden. Zölle sind ein Mittel, um zum Beispiel schwächere Länder ganz einfach in ihrer Entwicklung abzusichern, und das wäre in diesem Punkt eine Verschärfung ganz einfach.
    Münchenberg: Aber, Herr Süß, hat denn gerade nicht die EU-Kommission inzwischen auch dazugelernt, was zum Beispiel Transparenz angeht bei solchen Handelsabkommen, oder auch diese hoch umstrittenen Schiedsgerichte? Da soll es ja künftig Schiedsgerichtshöfe geben, die auch von öffentlichen Beamten bestallt werden, und so weiter. Und man hat das ja auch bei dem Handelsabkommen mit Japan gesehen, was jetzt beschlossen worden ist, Da war der Protest ja relativ verhalten. Verschiebt sich da auch nicht etwas?
    Süß: Bei der öffentlichen Transparenz, da hat man gerade beim Beispiel Japan deutlich gesehen: Wenn der Druck von der Zivilgesellschaft nicht groß genug ist, dann wird darüber auch nicht sehr viel informiert. Der Verhandlungstext ist vor einem viertel Jahr veröffentlicht worden, nicht vorher, und das heißt, in einem viertel Jahr kann man natürlich keine öffentliche Debatte über einen sehr komplizierten Text führen.
    USA erwarten Kompromisse von der EU
    Münchenberg: Sie würden sagen, die EU hat nichts dazugelernt?
    Süß: Ich würde jetzt nicht sagen, dass sie nichts dazugelernt hat. Natürlich versucht sie, auf bestimmte Kritikpunkte einzugehen. Aber die Grundtendenz bleibt die gleiche. Das heißt, wenn jetzt Verhandlungen zum Beispiel in die Richtung geführt werden, dass solche Handelshemmnisse – das sind Standards; da sind wir wieder bei der gleichen Diskussion. Und das in einer Situation: Bei den Verhandlungen um TTIP hieß es ja immer, da hat die Europäische Kommission gesagt, die USA bewegt sich ja gar nicht, wir machen immer Angebote. Das heißt, wir haben jetzt noch eine verschärfte Situation, dass die USA in die Erpresserrolle ganz einfach sich hereinbegeben hat und noch weniger bereit sein wird, Zugeständnisse zu machen. Das heißt, es wird sehr stark letztendlich erwartet werden von den USA, dass die EU noch mehr Kompromisse auf den Tisch legt.
    Münchenberg: Roland Süß – er ist Handelsexperte bei der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation attac. Herr Süß, vielen Dank für Ihre Zeit heute Mittag.
    Süß: Herzlichen Dank für Ihr Interesse.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.