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Handlungsfähigkeit
"Die Koalition blockiert sich selber"

Die große Koalition sei zwar handlungsfähig, blockiere sich aber selber, sagt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Deutschlandfunk. Eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl habe der Wahlkampf längst begonnen. Angesichts sinkender Umfragewerte müssten sich die beiden großen Volksparteien profilieren.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann lehrte früher an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. (picture alliance/dpa/Roland Weihrauch)
    Ann-Kathrin Büüsker: Monatelang hat sich die Große Koalition gestritten um das Thema Flüchtlingspolitik. Nun ist es nicht so, dass diese Frage abschließend gelöst wäre, aber aufgrund der Tatsache, dass durch geschlossene Grenzen im Moment weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, stehen nun auch mal wieder andere Themen auf der Agenda. Um die geht es an diesem Abend auf dem Treffen der Parteispitzen im Kanzleramt. Es soll eine lange Sitzung werden.
    Über eben dieses Treffen möchte ich nun mit dem Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann sprechen. Guten Abend, Herr von Alemann.
    Ulrich von Alemann: Guten Abend, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr von Alemann, es geht bei diesem Treffen ja vor allem darum, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Das hieß es im Vorfeld immer wieder. Wie ist Ihre Einschätzung? Ist diese Koalition im Moment überhaupt handlungsfähig?
    von Alemann: Ja, die Koalition ist handlungsfähig. Sie hat eine Mehrheit im Bundestag. Sie kann Gesetze durchbringen, wie sie das bisher schon gemacht hat. Aber sie blockiert sich zurzeit selber, besonders die CSU tut sich da hervor. Sie blockiert bei der Erbschaftssteuer, die CDU. Sie blockiert auch bei den Werkverträgen, und es muss schon etwas passieren, oder es muss auch mal einen großen Knall geben. Denn die Handlungsfähigkeit ist das eine; die Profilierung der Parteien in der Großen Koalition, die ja schon bald vor Neuwahlen stehen, ist das andere. Und wenn alle nur immer sich einig, einig, einig sind, dann fällt wiederum die Profilierung weg und der Wähler weiß nicht mehr, wer ist nun A und wer ist B.
    Büüsker: Auf die Profilierung kommen wir vielleicht gleich noch genauer zu sprechen. Jetzt haben Sie gesagt, die Koalition ist handlungsfähig, aber Sie haben gleichzeitig die CSU kritisiert. Ist die CSU handlungswillig?
    von Alemann: Ja. Die CSU ist handlungswillig, wenn es am besten nach ihrer Pfeife gehen soll. Sie hat bei der Flüchtlingspolitik klare Vorgaben gemacht und hat einen großen Konflikt angefangen mit der eigenen Kanzlerin aus der Schwesterpartei, der CDU, der gemeinsamen Union. Insofern ist die CSU im Augenblick, obwohl sie als Schwesterpartei ganz nah an der Kanzlerin sein sollte, das größere Problem als die konkurrierende andere Volkspartei, die SPD.
    CSU hat klare Interessen
    Büüsker: Aber abgesehen von der Flüchtlingspolitik, hat die CSU auf Bundesebene noch irgendein anderes Thema zu bieten im Moment?
    von Alemann: Ja. Sie versucht, bei verschiedenen Themen - das ist auch eben aus dem Beitrag hervorgegangen - sehr viel stärker Rücksicht auf die bayerische Wirtschaft zu nehmen. Das ist bei der Erbschaftssteuer so, weil da die Erben von großen Familienunternehmen nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht behandelt werden. Die müssten stärker besteuert werden und hier blockiert die CSU. Und das gilt auch bei den Werkverträgen und bei der Leiharbeit, wo sie nicht einfach sagt, das gibt zu viel Bürokratie, sondern sie sagt, das beeinträchtigt unsere Wirtschaft. Insofern hat sie schon einen klaren Plan und klare Interessen, die hinter dieser Politik der CSU stehen.
    Büüsker: Jetzt haben die großen Parteien im Moment mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen. Wir haben das insbesondere bei der SPD gesehen, die bei der letzten Umfrage des Instituts Insa sogar erstmals unter 20 Prozent lag. Und es scheint, als hätte die SPD seitdem ein bisschen thematisch angezogen und würde sich jetzt auf das Thema Rente versteifen. Haben wir da schon ein bisschen auf Bundesebene den Wahlkampf, der ausgebrochen ist?
    "Der Wahlkampf hat längst begonnen"
    von Alemann: Im Grunde ist ja immer Wahlkampf, nicht nur, weil es oft Landtagswahlen zwischendurch gibt - im nächsten Frühjahr kommt noch die allerbedeutendste Landtagswahl, nämlich im großen Land Nordrhein-Westfalen dazu -, sondern weil sich die Parteien auch während der ganzen Legislaturperiode profilieren wollen, ihre Wählerschaft füttern wollen mit Erfolgen, damit sie bei der nächsten Wahl gut abschneiden. Jetzt ist es noch anderthalb Jahre bis zur Bundestagswahl und da hat natürlich in der Tat der Wahlkampf längst begonnen und die Parteien versuchen, sich zu positionieren.
    Die beiden großen Volksparteien - die nennt man ja immer noch groß, obwohl sie in manchen Bundesländern schon gemeinsam noch nicht einmal mehr eine Mehrheit stellen können -, die beiden Parteien haben schwer in den Umfragen Federn lassen müssen, die Union sogar noch mehr als die SPD. Die Union hatte nämlich bei der Bundestagswahl 42 Prozent und kommt jetzt so auf 32 bis 34, die SPD 25 Prozent, kommt jetzt auf 20, 22, einmal sogar jetzt bei einem neuen Institut auf 19 Prozent. Insofern müssen die Parteien sich zusammenreißen, aber sie müssen auch nicht einfach nur auf die Wähler in der Mitte schielen, was sie bisher immer getan haben, sondern sie müssen klar sehen, es gibt auch und wahrscheinlich zunehmend Wähler auf der linken und auf der rechten Seite, die ihnen dann fehlen. Und deswegen schrumpfen sie seit Jahren und sie müssen hier stärker deswegen auch in der gemeinsamen Koalition trotz aller gemeinsamer Regierungstätigkeit sich gegenseitig profilieren und auch einmal stärker - die CSU macht das im Grunde vor - Nein sagen.
    Büüsker: Heißt das, wenn wir jetzt mal auf die SPD gucken, dass die im Bund vielleicht sogar noch stärker auf Konfrontationskurs gehen muss?
    von Alemann: Das ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass sie das tut. Denn sie geht bei dem Flüchtlingsthema, das Frau Merkel sozusagen im Guten und im Bösen auch personell stark prägt, unter und sie wird sich fragen müssen, wo sind noch unsere Themen, wo wir wirklich Profil bringen können, und sie hat die Erfahrung gemacht, dass sie manche Themen wie die Rente mit 63 in der Vergangenheit und das Mindestlohngesetz, so sehr es auch für ihre Klientel positiv war, nicht wirklich nach vorne gebracht hat.
    Büüsker: Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann war das. Vielen Dank, Herr von Alemann, für das Gespräch hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.