Morgens acht Uhr, beim Mühlenbäcker Düsedau stehen die Kunden Schlange. Seit über 400 Jahren wird genau hier gebacken, in Lindhorst, einem Dorf nördlich von Magdeburg. Die Bäckerei Düsedau gibt es immerhin seit 100 Jahren. Umso jünger ist ihr Chef: Bäckermeister David Bahrendt, 26 Jahre alt. Traditionelles Handwerk ist ihm wichtig. Das zeigt ein Blick über den Verkaufstresen hinweg in die Backstube. Dort knetet der Bäcker in einem riesigen Trog frischen Teig:
"Hier machen wir gerade unseren Wurzelbrotteig. Das ist unsere Spezialität, von der wir sehr viel machen. Es ist ein sehr weicher Teig, wie man auch sieht. Und der Teig wird heute gemacht, damit wir ihn in zwölf Stunden verarbeiten. Wir arbeiten hier alles mit der Hand auf, deshalb kann man bei uns auch in der Ausbildung viel lernen. Wir haben viele eigene Rezepturen."
Das sei eben nicht nur für die Kunden, sondern auch für die Lehrlinge ein tolles Angebot, sagt David Bahrendt. Aber die stehen keineswegs Schlange wie die Kunden nach Brot und Kuchen, klagt David Bahrendt. Ein Problem ist und bleibt der demografische Wandel – mit dem Mangel an jungen Menschen, besonders im ländlichen Raum:
"Prinzipiell fehlen wirklich die Lehrlinge. Es fehlen gravierend Lehrlinge: Bei mir sind's im kleinen Betrieb mit 22 bis 23 Angestellten zwei Lehrlinge. Und das ist natürlich bei größeren Betrieben nicht anders, obwohl die noch mehr die Möglichkeit haben, mit besseren Gehältern oder anderen Sachen zu locken."
Durchhaltemotivation sei gering
Auch der Bäckermeister versucht alles Mögliche: Auf seiner Internetseite prangt: "Suche Bäcker/in und Verkäufer/in" – größer als der Button zum Online-Shop der Bäckerei. Angebot und Nachfrage haben sich auch bei den Ausbildungsplätzen verkehrt: Insgesamt sind in Sachsen-Anhalt noch rund 4.500 Lehrstellen frei – 4.000 Bewerber suchen. Zwar nicht immer nach genau diesen Jobs, aber im Zweifelsfall können sie sich die besten Stellen heraussuchen. Auch die Motivation, durchzuhalten, sei nicht besonders hoch. Gerade erst hat eine junge Auszubildende nach dem ersten Lehrjahr bei Bäckermeister Bahrendt aufgegeben. Das Problem: keine Lust. Dabei müssen die Lehrlinge hier nicht etwa nur Fegen und Abwaschen:
"Die Gesellen achten auch drauf, dass die Lehrlinge was lernen, wie wir das zum Beispiel hier hinten sehen, da können wir mal gucken. Unsere Brötchen – wir machen so 3.000 bis 4.000 Stück am Tag – werden wirklich alle mit der Hand gemacht, wie man sieht."
An einem Holztisch formen zwei Bäckergesellen kleine Teigkugeln. Zwischen ihnen steht Justin Paasche und knetet fleißig mit. Mit weißem T-Shirt und schwarz-weiß karierter Hose unterscheidet er sich nicht von den anderen. Aber der 18-Jährige hat gerade erst seine Lehre begonnen. In seiner ersten Woche hat er schon einiges mitgemacht:
"Brot, Brötchen – ein paar Kuchen hab ich mit vorbereitet. Worauf ich mich am meisten freue, ist das Wurzeln machen – das ist das Einfachste von allen. Hier zum Beispiel. Wir verdrehen den Teig so, dass er aussieht wie eine Wurzel von einem Baum."
Früher hat er mit seiner Mutter manchmal Geburtstagstorten gebacken. Aber zur Bäckerlehre kam er erst auf Umwegen. Als er keinen Ausbildungsplatz fand, absolvierte er das Berufsgrundbildungsjahr, das auf die Lehre vorbereiten soll. Als Praktikant arbeitete er in einer Bäckerei - und hatte Spaß daran. Das frühe Aufstehen stört ihn nicht. Aber für die meisten seiner Freunde zählt Bäcker nicht zu den Traumberufen, erzählt Justin Paasche:
"Die Zeit ist denen viel zu früh, können sie nicht. Aber auch diese ganze Handarbeit, das mögen die nicht – ist denen viel zu viel Stress."
Vielleicht eine Erklärung, warum sein Chef David Bahrendt bisher vergeblich nach zwei weiteren Auszubildenden sucht:
"Ich weiß nicht, warum alle Verkäufer oder Schlosser werden wollen. Im Bäckerhandwerk gibt es gute Lehrstellen. Und danach haben die Lehrlinge bei mir eine Übernahme-Chance von 95 Prozent. Wenn die beiden, die ich habe, sich einigermaßen gut machen, bleiben die auf jeden Fall bei mir. Wir haben eben auch zwei, drei ältere Kollegen, die irgendwann mal ruhiger treten möchten."
Auch das Gehalt sei nicht mehr so schlecht wie früher – 430 Euro im ersten Jahr. Bahrendt hatte damals als Lehrling für die Hälfte begonnen. Viele Jugendliche versprechen sich von einem Studium allerdings einen höheren Verdienst. Der schlechte Ruf der Ausbildung – das sei ein hausgemachtes Problem, sagt Peter Telloke von der der Handwerkskammer Magdeburg:
"Das ist ein gesellschaftliches Problem in Deutschland, weil wir seit Jahren oder Jahrzehnten immer darauf hingewiesen haben: Wenn Du schön fleißig in der Schule bist, dann kannst Du auch studieren. Wir haben aber im Handwerk Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung, ich kann mich als Meister selbstständig machen, einen eigenen Betrieb führen."
Fehlende Berufsorientierung im Gymnasium
Der Meister sei vergleichbar mit dem Bachelor-Abschluss im Studium – das müsse man sich bewusst machen. Doch im Gymnasium fehle fast überall eine Berufsorientierung, die den Schülern verschiedene Wege aufzeigt. Spätestens bei den Studienabbrechern versucht die Handwerkskammer dann wieder, junge Menschen für eine Ausbildung oder ein duales Studium zu gewinnen. Auch das Internet ist dabei längst kein Neuland mehr: Neben Online-Jobbörsen gibt es eine App, den "Lehrstellenradar". Zudem versucht das Handwerk mit einer deutschlandweiten Kampagne schon seit fünf Jahren, das eigene Image aufzupolieren:
"Dieser Touch, dass das Handwerk so ein bisschen verstaubt ist, das trifft bei weitem nicht mehr zu. Wenn ich mir Kfz-Mechatroniker, Elektroniker oder Informationstechniker anschaue, das sind qualitative und anspruchsvolle Berufe."
Diese Botschaften müssten in der Gesellschaft noch ankommen. Bäckermeister David Bahrendt macht vor, welche Möglichkeiten eine Ausbildung bietet: Vor drei Jahren übernahm er als jüngster Meister Sachsen-Anhalts die Bäckerei Düsedau. Seitdem hat er die Belegschaft verdreifacht, zwei neue Filialen eröffnet, eine dritte kommt jetzt in Magdeburg dazu. Doch um weiter wachsen zu können, braucht David Bahrendt dringend Lehrlinge. Der Bäckermeister nimmt ein Brot aus dem Regal, klopft auf den Boden, riecht daran. Er verstehe nicht, warum sich Menschen nur für einen Job entscheiden, weil sie viel verdienen wollen.
"Beim Bäckerhandwerk ist es so, das ist ein Beruf, bei dem man sich selbst sehr entfalten kann. Vielleicht nicht in den drei Jahren Lehre, aber wenn man danach irgendwas probieren möchte, kann man mit einfachsten Zutaten – Mehl, Wasser, Salz – Produkte herstellen, wie Sie es hier sehen Eigentlich ist das Bäckerhandwerk ein sehr kreativer Beruf."
Schade nur, dass man sich die Lehrlinge nicht auch einfach selbst backen kann.