"Das ist unser altes Kommissionsbuch, das beginnt 1883. Da sind alle Aufträge mit Maßen der Kirchenfenster beschrieben", erklärt Heinrich Oidtmann, Miteigentümer der Glasmalerei Oidtmann, der ältesten Glasmalerei Deutschlands. Wo sie 1857 im nordrhein-westfälischen Linnich von seinem Ur-Urgroßvater gegründet wurde, entsteht noch heute in einer unauffälligen Seitenstraße im Ortszentrum großflächige Glaskunst.
Das Kommissionsbuch, ein dicker Wälzer mit ausführlichen Zeichnungen und Beschreibungen in geschwungener altdeutscher Sütterlinschrift, aus dem Heinrich Oidtmann vorliest, dokumentiert Handwerks-, aber auch Kirchengeschichte.
"Der Stadtbaumeister Kopp aus Rüdesheim bestellt zum 21.10.1885 über die Oberin des Stiftes zu Lorsch zwei Fenster mit musealen Figuren. Sankt Josef mit Lilie und Maria Empfängnis."
Kirchen sind die Hauptauftraggeber
Die Aufträge für Glasmalerei und Glaskunst kommen auch heute zu 80 bis 90 Prozent von Kirchen. Dazu treffen sich Handwerker und Glasmaler mit dem jeweiligen Künstler hier in der Firma.
"Der Künstler kommt hier in die Werkstätte und sucht sich hier die Gläser aus mit dem Zuschneider und diese Tafeln der Gläser werden hier in dem Turm aufgebaut."
Der riesige fast zehn Meter hohe Raum, in dem die Fenster entworfen werden, hat an einer Seite ein sieben, acht Meter hohes Fenster, an dem wie in einem Versuchslabor Farbkombinationen aufgehängt werden können. Dabei kommt immer nur handgefertigtes Glas zum Einsatz.
"Sie sehen hier das Mund geblasene Eschantikglas, man sieht die Bläschen, die den Atem des Bläsers zeigen. Dieses Glas hat Leben. Und hier neben sehen Sie jetzt, dieses einfache Industrieglas. Es ist klar, aber ohne Leben."
Der Künstler entwirft zuerst eine Skizze eins zu zehn und hängt dann einen Entwurf in Originalgröße provisorisch in das riesige Fenster, erklärt Heinrich Oidtmann:
"Und so hat er dann die Möglichkeit, die Komposition wie die Farben zusammenwirken sich anzusehen."
Praktische Helfer
Im nächsten Schritt entsteht durch den Künstler dann ein auf Karton vorgezeichneter Entwurf, der sogenannte Aufriss, der hier auf langen Tischen ausliegt, wo er mit einer Spezialschere zerschnitten wird. Während einer der Glashandwerker es praktisch vorführt, erklärt Heinrich Oidtmann die Funktion:
"Diese sogenannte Schablonenschere spart genau den Kern des Bleiträgers aus, sodass man nicht ein großes Rechenexempel machen muss, wenn man ein figürliches Fenster hat zum Beispiel."
Da, wo die Schere jetzt einen Grad herausschneidet, entsteht der Freiraum für die Bleihalterung, die das Puzzle der verschiedenfarbigen Gläser später zusammen hält. Eine jahrhundertealte Technik, die man hier auch im Treppenhaus bewundern kann.
"Das ist eines der Königsfenster. Das ist der Bleiriss, der ist etwa 750 Jahre alt, vom Kölner Dom, von dem Königsfenster."
Das Fenster, in den 1970er-Jahren renoviert, hängt längst wieder im Dom. Statt die jahrhundertealte Bleifassung, den sogenannten Bleiriss, damals einfach zu entfernen, schmückt er jetzt hier das Treppenhaus und erzählt Geschichten über die Handwerker von damals.
"Sie sehen hier drin Weidenruten, weil es vor 750 Jahren wenig Stahl gab, hat man da Weidenruten mit eingeflochten, um auch die Windlast auffangen zu können, um die Felder zu stabilisieren."
Bis zu 5.000 Euro pro Quadratmeter für ein Kirchenfenster
Bei Kosten von mindestens 1.000 Euro, aber, wenn es komplizierter wird, auch 5.000 bis 6.000 Euro pro Quadratmeter, kommen schnell pro Kirche sechsstellige Summen zusammen. Kosten, die das Budget vieler Kirchgemeinden übersteigen. Wenn überhaupt, werden neue Fenster nur dann noch in Auftrag gegeben, wenn Kirchen zum Beispiel zu Grabeskirchen umgewidmet werden.
Bei der Glasmalerei Oidtmann entfallen heute etwa 80 Prozent der Aufträge auf Restaurierungen, Reparaturen oder Schutzverglasungen, um historische Kirchenfenster durch das Vorsetzen industriellen Sicherheitsglases vor Beschädigung, aber auch schädlichen Umweltgiften zu schützen, wie der Cousin und Miteigentümer Stefan Oidtmann betont:
"Wir sagen ja heutzutage, eine Schutzverglasung ist eine quasi museale Aufbewahrung in situ, das heißt an Ort und Stelle, sollen die Fenster verbleiben, also nicht in ein Museum gesetzt werden, aber ähnliche Bedingungen zu schaffen, wie in Museen."
"Entweder man macht es ganz oder man lässt es bleiben"
Bis alle historischen Fenster in ganz Deutschland so geschützt sind, wird es noch lange dauern. Wirtschaftlich, meint Stefan Oidtmann, mache er sich keine Sorgen. Gerade ist noch die fünfte Generation am Ruder. Beide Cousins aber haben wiederum Söhne, die wohl demnächst die sechste Generation stellt.
"Beide haben die Gesellenprüfung bestanden, sind beide jetzt im Meisterkurs, um sich weiterzubilden, denn wenn man so eine Firma leitet, entweder man macht es ganz, oder man lässt es bleiben."