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Handy-Tracking in Zeiten von Corona
"Pauschale Verwendung sämtlicher Daten halte ich für problematisch"

Anonyme Handydaten sollen dem Robert-Koch-Institut zeigen, wie sich bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Empidemie auswirken. Ein totales Tracking aller Menschen in diesem Lande sei jedoch nach jetzigem Stand nicht verhältnismäßig, sagte der Datenschutz-Experte Peter Schaar im Dlf.

Peter Schaar im Gespräch mit Christine Heuer |
Ein Mann in London mit einer Schutzmaske am 11. März 2020 blickt auf sein Smartphone.
In dem jetzigen Stadium, in dem wir uns befinden, ist eine solche Maßnahme nicht mehr wirksam, sagt Peter Schaar über Handy-Tracking. (picture alliance / Steve Taylor)
Das Robert Koch-Institut will mithilfe von Handydaten klären, ob die Menschen ihren Bewegungsradius wegen der Corona-Epidemie einschränken. Die Deutsche Telekom stellt dem Institut dafür anonymisierte Daten zur Verfügung. Ziel sei es herauszufinden, ob die Bevölkerung sich an die Empfehlungen halte, zuhause zu bleiben, sagt RKI-Chef Lothar Wieler.
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Der ehemalige Datenschutzbeauftragte im Bund, Peter Schaar, begrüßte die Maßnahme im Dlf. "Jeden Einzelnen jede Sekunde zu tracken" hält der Experte jedoch für rechtlich problematisch und sei auch im Zweifel nicht zulässig.

Schaar: Datenschutzkonforme Analyse wichtig
!!Christine Heuer:!! Die Telekom stellt dem RKI Handydaten zur Verfügung. Normalerweise würde jetzt ein Aufschrei der Empörung folgen. Finden Sie, bei Corona ist das okay?
!!Peter Schaar:!! In der Art, wie diese Daten zur Verfügung gestellt worden sind, ist das okay. Wir sind ja, anders als offensichtlich dieses österreichische Mobilfunkunternehmen, in Deutschland in der Situation, dass die hier tätigen großen Unternehmen wie die Deutsche Telekom datenschutzgerechte Verfahren im Grunde genommen auf Vorrat schon entwickelt haben, die eine solche, doch recht detaillierte Datenanalyse auf eine Art ermöglichen, die datenschutzkonform ist.
Das heißt, es werden hier nicht, anders als offenbar in China und in einigen anderen Staaten, Einzeldaten namentlich bekannter Nutzer weitergegeben, sondern es wird genau das getan, was Herr Wieler, der Chef des RKI, auch gefordert hat: Es werden Daten zur Verfügung gestellt, die es ermöglichen, kleinräumig und ziemlich aktuell nachzuvollziehen, wie sich bestimmte Maßnahmen, die zur Epidemie-Bekämpfung eingeführt worden sind, auch auswirken, ob sie wirken, ob sie ausreichend wirken und wo gegebenenfalls dann auch nachjustiert werden muss.
Heuer: Herr Schaar, das Ganze hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. Corona ist unheimlich konkret und anonymisierte Daten sind nicht konkret. Müsste man nicht da ein bisschen weitergehen und sagen, es müssen auch die Überträger dieser Krankheit konkret nachverfolgt werden können? Keine anonymen, sondern tatsächlich personenbezogene Daten?
Schaar: Es würde ja nicht ausreichen, die Träger dieser Krankheiten nachzuvollziehen. Man müsste ja sämtliche Daten sämtlicher Personen staatlichen Stellen dann übereignen, und zwar wo die Personen sich sekundengenau aufgehalten haben, und das würde es nur ermöglichen, sage ich mal, diese Kontaktpunkte dann jeweils zu ermitteln.
Ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt?
Heuer: Genauso machen die das in Taiwan und haben kein Corona im Land.
Schaar: Ja, das ist natürlich ein Dilemma. Das ist richtig. Die erste Frage ist natürlich, ist das tatsächlich möglich, mit diesen Tools zu arbeiten. Ich unterstelle mal, es geht, wenn man extreme Überwachungsmaßnahmen installiert. China ist da ja vorangegangen. China ist auch noch weitergegangen als Taiwan – Festland-China. Da kann man sicherlich einiges bei durchsetzen. Die Frage ist natürlich trotzdem, ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, oder ist es so, dass praktisch bei einer Krisensituation alles, was wir an Grundrechtsschutz haben, zurückgestellt wird zu Gunsten dieser Bekämpfung dieser Epidemie, dass man sagt, das zählt alles nicht mehr.
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Im Grunde genommen wäre das dann wirklich ein Ausnahmezustand, den ich dann für bedenklich hielte. Insofern muss man fragen, was will man genau erreichen, und Herr Wieler hat ja genau gesagt, was er dort erwartet, und diese Erwartung, die kann man tatsächlich erfüllen. Aber was rechtlich hochgradig problematisch im Zweifel auch nicht zulässig wäre nach der Verfassungsgerichtssprechung ist, jeden Einzelnen jede Sekunde zu tracken. Das darf sicher nicht sein.
Heuer: Israel zum Beispiel hat genau das jetzt per Notverordnung beschlossen. Das finden Sie nicht verhältnismäßig, wenn ich Sie richtig verstehe.
Schaar: Jedenfalls habe ich damit ziemliche Probleme, dass hier jetzt der Geheimdienst damit beauftragt worden ist, eine Totalüberwachung über das Land zu legen.
Wer soll diese Totalüberwachung durchführen?
Heuer: Aber es steht in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung der Satz – das steht da so nicht wörtlich -, dass Verarbeitung von Daten klar geht, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen. Haben wir diesen Fall jetzt nicht?
Schaar: Aber unter Wahrung natürlich trotzdem des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Heuer: Und das wäre nicht mehr verhältnismäßig?
Schaar: Ein totales Tracking aller Menschen in diesem Lande würde ich, jedenfalls nach dem derzeitigen Stand, nicht für verhältnismäßig halten, zumal die weniger eingreifenden Maßnahmen ja gar nicht ausgenutzt worden sind. Ich denke mal, man sollte doch jetzt erst mal versuchen, was kann man mit den vorhandenen, auch rechtmäßig zur Verfügung gestellten Daten tatsächlich erreichen, und ich denke, da kann man eine ganze Menge erreichen.
Heuer: Aber wir hören jeden Tag, Herr Schaar, von allen Virologen, von den Gesundheitsbehörden, vom RKI, von den Politikern, von den Landesregierungen, von allen möglichen Stellen hören wir, wir müssen Zeit gewinnen, wir müssen unbedingt verhindern, dass Corona sich ganz schnell so ausbreitet, dass wir es überhaupt nicht mehr in den Griff kriegen. Ist das nicht die Notsituation, in der man zu Ausnahmen greifen muss? Worauf wollen Sie denn noch warten?
Schaar: Na ja. Eine Ausnahme ist es ja schon, dass man ziemlich weit gegangen ist, dass man die Bewegungsfreiheit eingeschränkt hat, dass man viele Stätten wie Schulen, in vielen Bundesländern auch die Spielplätze geschlossen hat und viele andere Einrichtungen auch. Das ist natürlich schon eine ziemliche Ausnahmesituation. Soll jetzt noch dazukommen, dass man praktisch eine Totalüberwachung sämtlicher Menschen hat, die sich irgendwo aufhalten? Und wer soll diese Totalüberwachung durchführen?
Schaar: Vergleich zu Maßnahmen in Taiwan hinkt
Heuer: Ist Datenschutz wichtiger als Menschenleben?
Schaar: Ich finde, dass diese Frage so nicht in Ordnung ist, weil nämlich damit nicht unbedingt wirklich Menschenleben gerettet werden. Das Entscheidende ist doch, dass man Maßnahmen zügig ergreift. Dass bestimmte Maßnahmen vorher nicht zügig ergriffen worden sind, hat doch nicht mit dem Datenschutz zu tun.
Heuer: Aber jetzt sprechen wir über Maßnahmen, die den Datenschutz tangieren könnten. Im Moment übermitteln viele Gesundheitsämter in Deutschland die Namen möglicher Kontaktpersonen (Obacht) noch per Fax. Herr Schaar, ist das wirklich besser als das, was in Taiwan gerade passiert?
Schaar: Wäre es denn zum Beispiel in Ordnung, wenn man jetzt sagt, man verliest jetzt alle Namen derjenigen, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, im Radio, oder veröffentlicht die in der Zeitung? Da könnte man ja auch sagen, das hilft auch!
Heuer: Das würde aber weitergehen, als dass die Behörden die Möglichkeit haben, infizierte Personen und deren Umfeld einfach zu identifizieren und auch die Kontaktpersonen zu warnen.
Schaar: In dem jetzigen Stadium, in dem wir uns befinden, ist eine solche Maßnahme nicht mehr wirksam, wie das in Taiwan versucht wurde, weil nämlich wir eine Menge von bekannten Infizierten haben, Tausende, die wiederum mit zehntausenden anderen gegebenenfalls irgendwo in irgendeiner Weise Kontakt gehabt haben.
Heuer: Also ist es eigentlich zu spät, um diese Daten zu nutzen?
Schaar: Ja! Man hätte jedenfalls, wenn man vom Erfolg ausgeht, sehr schnell bestimmte weitergehende Isolationsmaßnahmen treffen müssen, und man hätte das versuchen können, mit so wenig eingriffsintensiven Maßnahmen wie möglich dann umzusetzen. Aber eine pauschale Verwendung sämtlicher Daten halte ich hier doch für problematisch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.