Nach Angriffen in Iran und Libanon
Droht eine Eskalation in Nahost?

Gerade erst hat Israel einen Hisbollah-Kommandeur im Libanon getötet. Nun wird das Land beschuldigt, den Hamas-Anführer Ismail Hanija in Teheran getötet zu haben. Ein Schritt zu viel in einer möglichen Eskalationsspirale?

31.07.2024
    Hamas-Chef Ismail Hanija steht mit ernstem Blick an einem Rednerpult aus Stein vor Mikrofonen.
    Ismail Hanija, Chef der Hamas, soll im Iran getötet worden sein. (picture alliance / dpa / Mohammed Talatene)
    Nach einem mutmaßlichen Raketenangriff der Hisbollah auf die besetzten Golanhöhen hatte Israel harte Reaktionen angekündigt. Daraufhin war ein hochrangiger Hisbollah-Kommandeur bei einem israelischen Luftangriff auf Beirut ums Leben gekommen. Nun hat Israel womöglich auch den Chef der Hamas, Ismail Hanija, getötet. Nahostexperten schätzen die Lage als brandgefährlich ein, so gefährlich wie seit Jahrzehnten nicht.

    Überblick

    Was ist über die Tötung von Hamas-Anführer Hanija bekannt?

    Der 62-Jährige Ismail Hanija war seit 2017 politischer Kopf der Terrororganisation Hamas. Der im Ausland ansässige Hamas-Chef lebte in Katar. Nach Angaben der Hamas gab es am Morgen des 31. Juli einen Angriff auf dessen Residenz in Irans Hauptstadt Teheran. Hanija hatte dort Berichten zufolge an der Zeremonie zur Vereidigung des iranischen Präsidenten Peseschkian teilgenommen. Laut der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ ist das Gebäude, in dem sich Hanija aufhielt, von einem Marschflugkörper getroffen worden. Die Hamas und der Iran machen Israel verantwortlich.

    Welche Reaktionen gibt es auf das Attentat?

    Zwei der rechtsnationalen israelischen Minister reagierten mit Genugtuung. Hanijas Tod mache die Welt ein bisschen besser, schrieb der Minister für das Kulturerbe, Elijahu. Eine ähnliche Äußerung kam von Diasporaminister Chikli.
    Palästinenser-Präsident Abbas sprach von einer „äußerst gefährlichen Entwicklung“. Auch die Huthi-Miliz im Jemen reagierte empört auf die Tötung Hanijas. Aus dem iranischen Außenministerium hieß es, das Blut von Hanija werde nicht vergeblich vergossen worden sein.

    Welche Bedeutung hat der Tod von Hamas-Anführer Hanija im Nahostkonflikt?

    Der Islamwissenschaftler Simon Fuchs von der Universität Jerusalem geht davon aus, dass Israel Härte zeigen will. Es gehe darum, „maximalen Druck aufzubauen“, um vielleicht doch noch zu einem Abkommen über die Freilassung der Geiseln zu kommen. Die Angst vor einer Eskalation sei in Israel aber abgeflacht: „Weil wir seit dem 7. Oktober permanent in dieser Rhetorik der Eskalation leben, und ich glaube, das schleift sich ein bisschen ab.“
    Albrecht von Lucke, Politikwissenschafter und Redakteur der politischen Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, sieht das anders. Er spricht von einem „ungeheuren Akt“ Israels, der die Ankündigung harter Reaktionen der Hisbollah, der Hamas, Irans, aber auch Putins nach sich ziehe. „Insofern muss man, glaube ich“, so von Lucke, „die allergrößten Sorgen haben, dass diese Machtdemonstration jetzt enorm beantwortet wird.“
    In der Frage der Geiselfreilassung sieht Albrecht von Lucke den Tod des Hamas-Anführers Hanija als einen „enormen Rückschlag“. Die Debatten über Verhandlungen in Katar seien maßgeblich über Hanija gelaufen.
    Auch Nahost-Experte Michael Lüders sieht die Region „am Abgrund“. Ihm scheint es, „als ob die israelische Führung im Augenblick bemüht sei, den Konflikt zu internationalisieren, die USA doch irgendwie hineinzuziehen in diesen Krieg gegen den Iran." Dafür hätten die USA Lüders zufolge indirekt grünes Licht gegeben.
    Im Falle einer Eskalation des Konflikts könnten sich perspektivisch Russland und China zumindest indirekt auf die Seite Irans stellen und die USA und der Westen auf die Seite Israels, befürchtet Lüders. „Und es gibt keinerlei diplomatische Initiativen, diesen Konflikt zu entschärfen. Es gibt jedenfalls keinerlei Druck auf Israel, weder seitens der USA und schon gar nicht seitens Brüssels, geschweige denn Berlins“, sagt der Nahostexperte.

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