Fall Hannes Aigner
Altersdiskriminierung im Deutschen Kanuverband?

Seit 18 Jahren ist Hannes Aigner einer der besten deutschen Kanuten. Doch nun könnte der Deutsche Kanuverband Aigner die Sportförderung streichen, weil er lieber auf jüngere Athleten setzen will. Ein Fall von Altersdiskriminierung?

Von Benedikt Kaninski | 08.06.2024
Hannes Aigner beim Kanu-Slalom.
Kanute Hannes Aigner ist dreimaliger Weltmeister und zweifacher Bronzemedaillengewinner bei Olympischen Spielen. (IMAGO / Steinsiek.ch / IMAGO / Grant Hubbs)
Kanuslalom-Weltmeister 2018. Bronze bei den Olympischen Spielen in London und Tokio. Hannes Aigner ist seit 18 Jahren einer der besten deutschen Kanuten. Ans Aufhören hatte er bisher nicht gedacht.
"Ich hatte bei den Leistungsdiagnostiken in den letzten Monaten exzellente Werte, die überhaupt keine Hinweise darauf zulassen, dass ich mich körperlich zurückentwickeln werde. Da bin ich mit meinen 35 Jahren noch nicht am Ende und würde ganz gerne meine Karriere fortsetzen, aber dafür brauche ich eben auch den Support vom Verband."
Diesen Support sieht Aigner jetzt gefährdet. Der Verband habe ihm gegenüber erklärt, dass er mit 35 Jahren inzwischen zu alt sei und fortan auf jüngere Athleten gesetzt werde.

Verband sieht "falsches Verständnis von Potenzialförderung"

Ein Missverständnis, sagt der Sportdirektor des Deutschen Kanuverbands Jens Kahl: "Also erstens hat der Verband nie gesagt, dass er abserviert wird und zweitens hat er ein falsches Verständnis von Potenzialförderung"
Der DKV habe für das Kanuslalom-Team nur 12 Sportförderplätze der Bundeswehr zur Verfügung. Diese vergebe man seit 20 Jahren nach einer einheitlichen Strategie. "Um junge Sportler an die Weltspitze heranzuführen und um die Olympialeistung abzusichern. Das sind die zwei Punkte, die sich ein bisschen widersprechen, oder zumindest eine andere Zielrichtung haben im Training. Und dann ist es logisch, dass wir nach Olympischen Spielen versuchen, junge Sportler:innen reinzunehmen, damit die in den vier Jahren aufgebaut werden können und zwei Jahre vorher fokussieren wir uns auf die potenziellen Medaillengewinner."

Bisher kein klärendes Gespräch

Die Trainer hätten außerdem objektive Leistungskriterien, mit denen das Potenzial der Athleten bestimmt werde. Hannes Aigner erklärte dagegen, dass das Entwicklungspotenzial einzelner Sportler auch eine Auslegungssache sei. Ein klärendes Gespräch habe bisher nicht stattgefunden.
Bei der nationalen Olympiaqualifikation ist Aigner knapp hinter dem zehn Jahre jüngeren Noah Hegge auf dem zweiten Platz gelandet, wird also in dieser Disziplin nicht in Paris starten. Und das, obwohl Aigner den Startplatz mit seiner Leistung bei der Weltmeisterschaft in London überhaupt erst herausgefahren hatte.
Nach den Olympischen Spielen wird der Deutsche Kanuverband dann entscheiden, wie es mit Aigners Sportförderung bei der Bundeswehr weitergeht.

Rechtliche Einschätzung im Fall Hannes Aigner komplex

Wenn Aigner nur wegen seines Alters die Sportförderung verlieren, könnte der Vorwurf der Altersdiskriminierung im Raum stehen. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, soll eine derartige Diskriminierung verhindern.
Da Aigner Sportsoldat ist, kann er sich allerdings, zumindest gegenüber der Bundeswehr, nicht darauf berufen, erklärt die Sport- und Arbeitsrechtlerin Julia Kleen: "Hier gilt eben das Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten. Das ist zwar weitgehend angelehnt an das AGG. Also viele Vorschriften sind sehr ähnlich. Aber hier gibt es eine Besonderheit. Und zwar kennt das Gesetz über die Gleichbehandlung der Soldatinnen und Soldaten das Verbot der Altersdiskriminierung eben gerade nicht."
Aigner sei aller Wahrscheinlichkeit nach auch gegenüber dem Kanuverband nicht in einem Arbeitsverhältnis bzw. keine arbeitnehmerähnliche Person. Ob er sich als Selbstständiger gegenüber dem Verband auf das AGG berufen kann, wie es in bestimmten Situationen der Fall sein kann, wäre rechtlich zu prüfen. Das war die Voraussetzung dafür, dass Fußball-Schiedsrichter Manuel Gräfe erfolgreich gegen die Altersgrenze von 47 Jahren für Schiedsrichter in der Bundesliga geklagt hatte.

Athleten Deutschland fordert mehr Transparenz

Johannes Herber von der Athletenvertretung Athleten Deutschland fordert generell mehr Transparenz der Verbände bei den Nominierungsregelungen: "Unser Plädoyer ist ja auch, wenn es eben zu Dissenz kommt, wie jetzt im Fall Hannes Aigner, dass es da eine übergeordnete Stelle gibt, die in solchen Fällen schlichten kann. Und das gibt es jetzt eben nicht. Und das führt immer wieder dazu, dass Athleten an die Öffentlichkeit gehen. Oder sie ziehen den Kürzeren oder sie gehen vor Gericht und auch dort haben sie meist keine guten Chancen, weil sich eben auch Gerichte selten in dieser Sportspezifik auskennen."
Der Konflikt zwischen Hannes Aigner und dem Deutschen Kanuverband wäre wohl dadurch nicht verhindert worden. Aber er zeigt, dass auch im Sport ein gesetzlicher Rahmen zum Schutz vor Altersdiskriminierung helfen könnte.