Am Ende wird Didi Hamann ziemlich kleinlaut. Der Ex-Nationalspieler sitzt am vergangenen Mittwoch auf einer Bühne mit Hannes Wolf, dem Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), den wir in Teil 5 unserer Serie genauer ansehen. Hamann hat dessen Reformideen für den Kinder- und Jugendfußball in den vergangenen Monaten kritisiert. Nach einstündiger Diskussion mit Wolf wird Hamann gefragt, ob er jetzt überzeugt sei.
"Joah." Gelächter. "Das ist der größte Ritterschlag auf dem Weg bisher", wirft Wolf ein. "Ja ne, der Hannes hat mich wirklich halb weichgekocht, jetzt schauen wir mal, wie es weitergeht", sagt Hamann.
Ein Dialog, der sinnbildlich für die aktuelle Debatte steht. Es gibt viele Widerstände und noch mehr Fragen zur Reform und wie sie umgesetzt werden soll. Aber Wolf, das Mastermind hinter der Revolution im Nachwuchsfußball, stellt sich den Skeptikern – und überzeugt sie oft genug. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Kinder und Jugendliche in den neuen Spielformen viel mehr Ballaktionen haben, wiederholt er wie ein Mantra.
So wie er früher als Trainer beim VfB Stuttgart, beim Hamburger SV und bei Bayer Leverkusen vor den Profis stand und flammende Motivationsreden hielt, so steht er jetzt vor den vielen tausend deutschen Jugendtrainerinnen und -trainern und versucht sie anzuzünden, sagt Lars Bender, der Teil von Wolfs Kompetenzteam beim DFB ist.
„Hannes, muss man ganz ehrlich sagen, der zieht voll vorneweg, der zieht den Karren. Sicherlich holt er sich auch die eine oder andere Schramme. Aber mit welcher Leidenschaft und Begeisterung er das macht. Ja, das färbt ab. Davor kann man nur den Hut ziehen.“
Bis zu seiner Beförderung zum Direktor beim DFB hat er das weitgehend im Verborgenen getan. Aber seit er im August als Hauptverantwortlicher für den Bereich Jugendtraining im Verband arbeitet, ist er das Gesicht einer Reform, die alles verbessern soll: die Qualität der Ausbildung aller Fußballerinnen und Fußballer in Deutschland, die Arbeit der vielen Eltern, die irgendwo in kleinen Klubs Kinder trainieren, das Spaßniveau im Fußballalltag des gesamten Landes. Und am Ende auch die Nationalmannschaften. Das ist ein ganz schön hoher Anspruch.
Aber der DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der lange die Geschäfte bei Bayer Leverkusen geführt hat, sagt bei Wolfs Vorstellung: "Diese Funktion ist perfekt zugeschnitten auf Hannes Wolf. Ich kann das gut beurteilen, ich habe sehr eng mit ihm zusammengearbeitet in Leverkusen und damals war schon zu erkennen, obwohl er ja schon im Profileben einiges geleistet hat bei vielen Vereinen, gerade was Ausbildung und Entwicklung betrifft, einen Schwerpunkt gesetzt hat in den wenigen Monaten, die er bei uns war. Das hat mich beeindruckt.“
Beeindruckt sind fast alle Zuhörer von Wolf, der an der Universität Bochum Sport studiert hat. Dort bildet er damals zusammen mit Edin Terzic, dem heutigen Trainer von Borussia Dortmund, das Sturmduo der Unimannschaft. Ein ordentlicher Fußballer ist der Vater von zwei Handball spielenden Mädchen also auch, für eine Profilaufbahn reichten seine Fähigkeiten aber nicht. Also schlägt er früh eine Karriere als Trainer ein, fängt in der Bezirksliga an, hat Erfolg, wird Co-Trainer bei der zweiten Mannschaft des BVB und gewinnt schließlich als Chefcoach sowohl mit der U17 als auch der U19 der Dortmunder Deutsche Meistertitel. An seinen folgenden Profistationen wird ebenfalls viel Positives über Wolf erzählt.
Und auch sein Vorgesetzter beim DFB, Andreas Rettig, ist zufrieden mit Wolfs Arbeit: "Was er jetzt an den Tag legt, das erstaunt mich sehr. Ich muss ehrlich sagen, ihm gelingt es, uns alle im Campus mit dem Virus anzustecken und ich habe den Eindruck, Hannes geht mit den Ideen ins Bett, und wacht damit morgens auf. Großartig, man fühlt sich in der Tat versetzt in die Umkleidekabine und der Trainer steht vor Dir und du willst jetzt unbedingt raus und Gas geben."
Für eine längere Karriere auf der höchsten Ebene des Erwachsenenfußballs hat Wolf bislang aber nicht den richtigen Klub gefunden, also begibt er sich jetzt mit seiner Hingabe und seiner inneren Überzeugung auf ein anderes Terrain.
Das birgt allerdings auch Gefahren, weil es einen starken Impuls gibt, an Gewohntem festzuhalten. Vielleicht ist dieses Korrektiv zum Reformer aber auch gar nicht schlecht. Wolf würde den Kinder- und Jugendfußball nämlich am liebsten noch radikaler verändern. Würde noch häufiger auf große Spielformen verzichten, noch später mit dem klassischen Elf-gegen-Elf anfangen als jetzt in der C-Jugend bei den 13-Jährigen.
"Wenn wir jetzt ein Elf-gegen-Elf nehmen, dann hat der Stürmer in 90 Minuten 30 Ballkontakte. Wenn der eine halbe Stunde trainiert, dann hat er, wenn du es ausrechnest zehn Ballkontakte. Wie sollst du über reine Elf-gegen-Elf, über eine große Spielform, Stürmer entwickeln? Das funktioniert nicht. Das hat früher funktioniert, aber die sind ja nicht auf dem Training groß geworden, die sind auf dem Bolzplatz groß geworden.“
Das ist Wolfs großes Projekt: Die Wiederbelebung des Bolzplatzes. Die kleinen Felder, auf denen möglichst frei gezockt wird, sollen in die durch Wohlstand, Unterhaltungsangebote und Bewegungsmangel veränderte Lebenswelt der Kinder zurückkehren. Über das Vereinstraining, aber am liebsten auch darüber hinaus. Zum Beispiel im Ganztagsbetrieb der Schulen. Wenn Wolf das schafft, hätte er das Leben von Hunderttausenden Mädchen und Jungen verändert. Es ist gut möglich, dass die Kommentartoren dann in zehn, fünfzehn Jahren sagen: Dieser Mann hat die Grundlagen für große Titel bei den Erwachsenen gelegt.