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Hans Blumenberg posthum
Der Preis der Wahrheit

Hans Blumenbergs Werk war eine tief greifende Auseinandersetzung mit den einschneidenden Krisen der Menschheitsgeschichte und den geistigen Grundlagen einer neuen Epoche. Aus dem umfangreichen Nachlass des Philosophen erscheint nun ein Buch, in dem es um nichts Weiteres geht als: „Die nackte Wahrheit“.

Von Leander Scholz |
Karteikarten aus den Zettelkästen des Philosophen Hans Blumenberg sind am 28.02.2013 in Marbach am Neckar (Baden-Württemberg) in der Ausstellung «Zettelkästen. Maschinen der Phantasie» des Literaturmuseum der Moderne zu sehen. Die Ausstellung ist von 4. März bis 15. September 2013 geöffnet. Foto: Franziska Kraufmann/dpa
Karteikarten aus den Zettelkästen des Philsophen Hans Blumenberg in einer Ausstellung in Marbach am Neckar (picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann)
Alles beginnt mit einem Verdacht. Der Mensch ist allein im Universum, nackt und verletzlich. Es gibt keinen Gott und kein Heil. Die Welt ist unbarmherzig, trügerisch und voller Verstellungen. Auf nichts ist Verlass. Und die Natur ist grausam. Sie gewährt keinen Schutz. Alles muss ihr mühselig abgepresst werden, die Nahrung, die Kleindung, das ganze Leben. Ebenso verhalten sich die Menschen. Sie sind feindselig gegeneinander. Sie betrügen und überlisten sich, wo es nur geht. Zuweilen kann einem das Leben daher wie ein böser Traum erscheinen, aus dem es kein Erwachen gibt.
Die Neuzeit als Bezugsrahmen
Das ist die conditio humana am Beginn der Neuzeit, die der Philosoph Hans Blumenberg in zahlreichen Texten und Büchern herausgearbeitet hat. Der moderne Mensch ist nicht aus Optimismus geboren, sondern aus dem Zwang zum Überleben. Seine Existenz verdankt er der Katastrophe eines nie dagewesenen Verlusts an Orientierung, in dem alle überlieferten Gewissheiten untergegangen sind.
Die Neuzeit beginnt nicht als helle Epoche im Gegensatz zum dunklen Mittelalter, sondern mit dem Zusammenbruch der politischen Ordnung infolge von Reformation und Kirchenspaltung. Im 17. Jahrhundert wird ganz Europa von grausamen Religionskriegen heimgesucht, die sich nur noch durch eine vollkommen neue Politik befrieden lassen. Die macht aus der Absolutheit religiöser Überzeugungen schlichte Privatangelegenheiten. Wer an welchen Gott glaubt, soll von nun an keine Rolle mehr spielen. Die Wahrheit der neuen Epoche ist keine religiöse mehr, sondern die nackte Wahrheit der Verlassenheit. Auf ihr gründen sich die neuen Nationalstaaten, die moderne Wissenschaft und ihre Heilserwartungen.
Die Arten der Wahrheit
Über viele Jahrhunderte war die Wahrheit ein Privileg. Sie war den Mächtigen und Auserwählten vorbehalten. Ihr Besitz bedeutete politische Macht. Könige, Adlige, Priester und Philosophen wurden als ihre Hüter angesehen. Das Volk kam höchstens als Empfänger einer Wahrheit in Betracht, die zur Beruhigung diente und sorgsam eingehüllt wurde. Die Art von Wahrheit, um die es Blumenberg geht, verweist dagegen auf einen sehr beunruhigenden Umstand. Der Titel des aus dem umfangreichen Nachlass des Philosophen herausgegebenen Buches lautet: "Die nackte Wahrheit". Die Metapher der Nacktheit bezieht sich dabei nicht nur auf die Wahrheit selbst, auf ihre Schonungslosigkeit, sondern auch auf den Menschen, für den diese Wahrheit bestimmt und kaum zu ertragen ist. Mit der Wahrheit stellt sich daher zugleich die Frage nach dem Umgang mit ihr:
"Der Mensch ist nackt; aber das ist nicht seine ganze Wahrheit. Seine Wahrheit ist, daß er ohne den verhüllenden Schein einer allen Anspruch aufs Wesentliche abwehrenden Verkleidung zu Grunde geht."
In den Händen der Mächtigen und Auserwählten war die Wahrheit erhaben und kostbar. Als entblößte ist sie für alle zugänglich und demokratisiert. Aber das hat seinen Preis. Ihre Präsenz ist die eines nackten Königs, reduziert auf seinen bloßen Körper und aller Privilegien und Illusionen beraubt.
Im Moment der Enthüllung geht von der Nacktheit ein Reiz aus. Aber auf Dauer gestellt erweist sie sich als verletzlich und enttäuschend. Mit dem herrschaftskritischen Vorstoß, der Wahrheit die Macht der Hierarchie zu nehmen, ist sie selbst zu einer Bedrohung geworden. Sie hat ein neues Problem hinterlassen, das seitdem den modernen Menschen verfolgt. Die historischen Stationen der nackten Wahrheit, die Blumenberg prägnant vor Augen stellt, verweisen daher zugleich auf die zahlreichen Versuche, irgendwie mit dieser Wahrheit zurechtzukommen.
Dabei ist es kein Zufall, dass die Metapher von der nackten Wahrheit seit der Neuzeit derart einflussreich geworden ist. Denn erst der moderne Mensch fühlt sich in der Welt unbehaust und allein gelassen. Das ist für Blumenberg der eigentliche Anlass, der historischen Karriere dieser Metapher nachzugehen und sich die Frage vorzunehmen, was es bedeutet, mit einer Wahrheit leben zu müssen, die niederschmetternd ist und einem kaum Hoffnung lässt.
Großer Philosoph der Nachkriegszeit
Hans Blumenberg, geboren 1920 in Lübeck, gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Philosophen der Nachkriegszeit. Sein Werk besteht in einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit den einschneidenden Krisen der Menschheitsgeschichte und den geistigen Grundlagen, die eine neue Epoche kennzeichnen. Vor allem in seinem Buch "Die Legitimität der Neuzeit", das erstmals 1966 erschienen ist, verteidigte er die neuzeitliche Emanzipation des Menschen vor dem Hintergrund der politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Dabei wies er die weitverbreitete Vorstellung zurück, die Neuzeit sei aus einer fortschreitenden Umbesetzung christlicher Vorstellungen hervorgegangen und betonte die radikale Eigenständigkeit der neuen Epoche.
Ausgerechnet er, der eigentlich katholischer Theologe werden wollte, dies aufgrund seiner jüdischen Familiengeschichte aber nicht durfte und sich vor den Nationalsozialisten verstecken musste, um nicht interniert zu werden. Möglicherweise lässt sich vor diesem Hintergrund auch sein großes philosophisches Projekt situieren, das darin besteht, die existenziellen Metaphern aufzuspüren, mit denen die Menschen ihr Dasein beschreiben. Immer wieder stellte er sich die Frage, warum sie sich für diese und keine andere Metapher entschieden hatten. Diese Herangehensweise bestimmt auch sein Buch über die nackte Wahrheit:
"Die Sprache von wissenschaftlichen Autoren wäre daraufhin zu untersuchen, ob sie mehr zum Reizmittel oder mehr zum Beruhigungsmittel der Metapher greifen. Aber nicht nur als Feststellung quantifizierbarer Fakten; die Feststellung kann nur der Übergang sein zu der allein entscheidenden Frage, weshalb ein Autor das eine oder das andere aus der Dringlichkeit der Sachen oder aus der Verlegenheit seiner theoretischen Situation heraus nötig hat. Wie stellt sich in der Metapher die Lage des Denkens dar, in der er sich aus mehr oder weniger zwingenden Gründen und unter mehr oder weniger unvermeidlichen Bedingungen hineinmanövriert hat?"
Das Projekt einer Metaphorologie
Sein philosophisches Anliegen hat Blumenberg selbst unter den Titel einer Metaphorologie gestellt. Dabei ging es ihm zunächst um den Nachweis, dass alle philosophischen Werke an entscheidenden Stellen auf Metaphern angewiesen sind, die sich nicht als bloßes Beiwerk abtun lassen. Sein eigentliches Ziel jedoch bestand in der Ausarbeitung einer Logik der Metapher, die mehr leisten sollte, als nur die Vieldeutigkeit metaphorischer Ausdrücke anzuerkennen. Ihm schwebte nichts Geringeres vor als eine Theorie der Unbegrifflichkeit, die dort weiter kommen sollte, wo das begriffliche Denken versagt.
Angelegt war sein Projekt einer Metaphorologie auf insgesamt fünf Bände. Zu seinen Lebzeiten sind 1979 und 1981 die Bände "Schiffbruch mit Zuschauer" und "Die Lesbarkeit der Welt" erschienen. Beide sind in kürzester Zeit zu Klassikern der Geistesgeschichte geworden. Nach einigen Änderungen an seinem Vor-haben und mit deutlicher Verzögerung erschien 1989 der dritte Band unter dem Titel "Höhlenausgänge". Auch dieser Band wurde schnell zu einem Standardwerk. Der vierte Band "Quellen, Ströme, Eisberge" erschien 2012 und musste bereits aus dem Nachlass herausgegeben werden, der vom Deutschen Literaturarchiv Marbach verwaltet wird. Hans Blumenberg ist 1996 gestorben. Mit dem Band "Die nackte Wahrheit", ebenfalls von Rüdiger Zill herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, liegt nun der Abschlussband der Publikationen zur Metaphorologie vor. Schade ist, dass einige Kapitel ein Fragment geblieben sind.
Skizziert hatte Blumenberg sein Projekt bereits in dem frühen Aufsatz "Paradigmen zu einer Metaphorologie" von 1960. Schon hier berührt die Frage nach der nackten Wahrheit den zentralen Punkt des gesamten Projekts. Denn wenn die Wahrheit eine Geschichte hat, die sich an ihren historisch unterschiedlichen Metaphern belegen lässt, dann kann gerade sie keine ausschließliche Angelegenheit der Philosophie mehr sein. Im Projekt einer Metaphorologie wird das philosophische Denken über sich selbst hinausgetrieben. Eine Wahrheit, die prinzipiell mit metaphorischen Attributen versehen sein muss, um überhaupt als solche erkannt werden zu können, kann nicht mehr allein mit philosophischen Mitteln erschlossen werden:
"Die Stärke der Metapher ist ihre Vieldeutigkeit. Dies zu sagen, ist identisch mit der anderen These, die Metapher sei wesentlich ästhetisch. Auch das ist wiederum nur ein anderer Ausdruck dafür, daß sie nicht so etwas wie eine bloße Umhüllung des nackten Gedankens ist, an den man als an das letztlich und eigentlich zu erreichende Ziel ihrer Interpretation und Aufschließung ständig zu denken hätte. Wer ständig über sie hinausdenkt, verliert, was er hat, ohne zu bekommen, was er nicht haben kann."
Für das Projekt einer Metaphorologie ist die Rede von der nackten Wahrheit ein besonderer Fall. Denn damit wird die Frage aufgeworfen, ob eine nackte Wahrheit wahrer ist als jede andere oder ob gerade die Ankündigung einer schonungslosen Wahrheit die beste Rhetorik ist, um sich Gehör zu verschaffen. Das lässt an den alten Streit in der Antike zwischen der Rhetorik und der Philosophie denken, ob rhetorische Mittel nötig sind, um wahrsprechen zu können, und wann sie im Gegenteil dazu dienen, die eigenen Absichten zu verbergen. Entscheiden lässt sich das nur im Einzelfall und nicht grundsätzlich. Aus diesem Grund muss auch der Philosoph die Kunst der Interpretation erlernen und gut zuhören können, wie Blumenberg das selbst anhand klassischer Werke vorführt. Denn was sich nicht bestreiten lässt, ist der Umstand, dass die Rede von der nackten Wahrheit seit Beginn der Neuzeit eine enorme Wirkung entfaltet und sich alle einschlägigen Philosophen zu ihr verhalten haben.
Die Illusion der Aufklärung
Die Epoche der Aufklärung und ihre Beziehung zur Religion ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Ihre Kritik an der Macht der Kirche betrieben die frühen Aufklärer zunächst als Enthüllung eines vermeintlichen Priesterbetrugs. Demnach belügen die Kleriker permanent das Volk, um es zu manipulieren und zu unterwerfen. Der religiöse Glaube sollte daher gründlich ausgerottet werden. Alle Idole mussten zerstört werden und für immer aus dem Bewusstsein verschwinden. Nicht erst die grausamen Hexenprozesse und die Gewaltexzesse während der Französischen Revolution zeigten die Schattenseite dieser Versachlichung. Bereits die Entzauberung der Natur warf die Frage nach der Stellung des Menschen auf, wenn diese nicht mehr durch einen göttlichen Garanten gesichert erscheint.
Um allein für sich selbst sorgen zu können, muss man zwar nicht unbedingt an einen Gott glauben, aber wenigstens daran, dass das gelingen kann. Wenn die Welt aber nicht für den Menschen gemacht ist und sich auch nicht als solche verbessern lässt, dann hat es auch wenig Sinn, sich tatkräftig ans Werk zu machen. Die späteren Aufklärer waren daher der Ansicht, dass man die nackte Wahrheit von der widrigen Welt vielleicht doch ein wenig verhüllen muss. Sie kamen auf die Idee, den Glauben an einen Gott zwar nicht als realistisch aber dennoch als sinnvoll anzusehen. Wenn es prinzipiell möglich sein konnte, dass die Welt von einem guten Gott erschaffen und kein unbändiges Chaos war, dann ließ sie sich womöglich auch gestalten. Für die Moral ist der Glaube in jedem Fall förderlich, auch wenn es letztlich doch unwahrscheinlich ist, dass Gott tatsächlich existiert. Um die Wiederkehr der Idole angesichts der menschlichen Obdachlosigkeit zu verhindern, erfanden die philosophischen Aufklärer das Versprechen einer sinnvollen Welt, wofür es zwar keine Garantie gibt, aber an die es aus praktischen Gründen geglaubt werden sollte:
"Aufklärung ist es, die 'nützliche und nöthige Hülle von der Sache selbst zu unterscheiden' gerade hinsichtlich ihrer Unentbehrlichkeit, weil sonst der Platz der Sache nicht durch ihr Symbol, sondern durch etwas ganz anderes, nämlich ein Idol besetzt und damit der Endzweck dieser Sache, nämlich des Ideals der reinen praktischen Vernunft gänzlich verfehlt würde. Das Symbol besetzt also seiner Funktion nach eine Stelle, die das Ideal geschichtlich nicht oder noch nicht einnehmen könnte, um sie nicht dem Idol zu überlassen."
Vor allem anhand der kritischen Philosophie im 18. Jahrhundert macht Blumenberg deutlich, dass sich deren Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer vernünftigen Illusion nicht ohne Bezug auf das Problem der nackten Wahrheit verstehen lässt. Die Einsicht der Aufklärung besteht darin, dass ein gewisses Maß an Schein und sogar Selbstbetrug nötig ist, um überhaupt handeln zu können. In einer Welt ohne Illusionen könnte sich kein Selbst dauerhaft stabilisieren. Ihr Kompromiss ist daher der einer rationalen Religion. Dieser ist stets bedroht von der Skepsis gegenüber den eigenen Fähigkeiten und dem Fanatismus, doch im Besitz einer übersinnlichen Wahrheit zu sein. Auch wenn sich die Aufklärung selbst in Metaphern des Lichts gekleidet hat, das sie der Welt zu bringen beabsichtigte, befand sie es doch für nötig, manches im Halbdunkel zu belassen.
Die Antipoden der Moderne
Aus diesem Grund gehörte Nietzsche im 19. Jahrhundert zu den schärfsten Kritikern der Aufklärung. Deren Prinzipien galten ihm als ebenso trügerisch wie die Religionen, die sich die Menschen erfunden hatten, um sich angesichts ihres eigenen Elends zu beruhigen. Aus Sicht der Lebensphilosophie sollte die unverhüllte Wahrheit als Ausgangspunkt für eine ungeheure Dynamik dienen und die Menschen zu übermenschlichen Schöpfungen antreiben. Nur wer imstande ist, sie dauerhaft auszuhalten, kann auch Großes leisten. Den Leitstern gab dabei die von allen unmittelbaren Zwecken entbundene Kunst ab. Denn nicht darum ging es Nietzsche, die Welt etwas besser und komfortabler zu machen, sondern um die Steigerung des Selbstwerts, die mit dem Erlebnis der eigenen Kraft einhergeht. Die neue Metaphysik der Kunst, die Nietzsche anpries, beschränkte sich daher keineswegs auf das klassische Terrain künstlerischer Tätigkeiten, sondern sollte alle Lebensbereiche erfassen. Damit konnte Blumenberg zufolge alles Bestehende nur noch im Hinblick auf seine schöpferische Gestaltung gerechtfertigt werden:
"Die Kunst, die das Leben trotz der Häßlichkeit der Wahrheit zu bejahen Anlaß gibt, ist als autonome Kunst die letzte metaphysische Realität am Ende der Metaphysik. Sie ist nicht mehr die Verschleierung des Unerträglichen. Darin nimmt sie etwas vorweg, was es noch nicht gibt. Aber das, was es gibt, muß es doch auch geben können als Bedingung der Erreichbarkeit eines anderen."
Blumenberg stellt existenzielle Frage der Philosophie
Den Antipoden zu dieser Auffassung sieht Blumenberg in der Psychoanalyse. Denn auch die Entblößung der Seelenzustände soll eine Wahrheit hervorbringen, die alle Verhüllungen abgelegt hat und nicht selten für den Patienten schwer zu ertragen ist. Obwohl Freud viel von Nietzsche übernommen hat und sogar die Lektüre des Philosophen abbrechen musste, um nicht zu sehr von ihm beeinflusst zu werden, schlägt er einen geradezu entgegengesetzten Weg ein. An die Stelle der Kunst tritt die Therapie. Mit der Wahrheit liefert die Seelenkunde zugleich ihre therapeutische Verarbeitung mittels dosierter Langzeitanalysen. Die zahlreichen narzisstischen Kränkungen, die der Mensch in den letzten Jahrhunderten hinnehmen musste, sollten zumindest gelindert werden. Allerdings musste Freud einräumen, dass auch die Psychoanalyse nicht alle Wahrheiten wegtherapieren kann und einem alten philosophischen Imperativ gehorcht, den sie selbst nicht zu begründen in der Lage ist, wie Blumenberg kritisch festhält:
"Einwände verlieren sich leicht daran, daß hier schlichtweg der älteste Befehl der europäischen Tradition des Denkens mit neuer Radikalität, wenn nicht sogar überhaupt erstmals befolgt wird: Erkenne dich selbst! Die Gegenfrage wirkt vor dieser mächtigen Instanz schwächlich: Tut es gut, sich selbst zu erkennen?"
Damit ist eine existenzielle Frage der Philosophie benannt, die Blumenberg in seinem geistesgeschichtlichen Kursus über die nackte Wahrheit einkreist, ohne sie letztlich beantworten zu können. Es ist ein beeindruckendes Buch, das hoffentlich ebenso wie seine anderen Arbeiten zur Metaphorologie zu einem vielgelesenen und kanonischen Werk wird.
Hans Blumenberg: "Die nackte Wahrheit"
Aus dem Nachlass herausgegeben von Rüdiger Zill
Suhrkamp Verlag, Berlin. 200 Seiten, 20 Euro.