Das ist mein persönlichstes Buch. Selbst da wo ganz unwahrscheinlich klingende Geschichten erzählt werden, haben sie etwas mit mir zu tun. Zum Beispiel habe ich ein Kapitel geschrieben über Dracula als Unesco-Botschafter in Paris. Das habe ich in Paris geschrieben vor zwei Jahren, unter dem Eindruck eines Diplomaten, der sich mir als Dracula vorstellte – das war witzig gemeint -, weil er so ein Palais aus dem 18. Jahrhundert bewohnt und nachts allein in diesem weitläufigen Gebäude herumläuft.
Es sind genau die Geschichten in der Art des Graf Dracula als Unesco-Botschafter, die das literarische Werk von Hans Christoph Buch durchziehen - eine ziemlich eigentümliche Mischung zwischen Fantastik, Reportage und kritischer Reflexion des Erlebten. Der 1944 in Wetzlar als Sohn eines Diplomaten geborene Autor verbrachte seine Jugend in Südfrankreich, Kopenhagen und in Haiti, wo einst sein Großvater als Auswanderer eine Apotheke eröffnet hatte.
Als Krisenreporter bereiste Buch die halbe Welt, schrieb die abseitigen Geschichten auf, Reportagen über die Menschen aus den Krisenregionen in Tschetschenien, Bosnien, Algerien, am Hindukusch, in Kambodscha, Sudan, Liberia, Ruanda, Kuba oder Südamerika. Als promovierter Literaturwissenschaftler verstand er sich dabei stets als literarischen Reporter oder auch reisenden Schriftsteller:
"Die Reisen in Krisengebiete wurden irgendwann zur Sucht. Und in dem Augenblick habe ich beschlossen aufzuhören, als ich merkte, dass ich enttäuscht war, wenn kein Blut floss, wenn nichts Spektakuläres passierte, wenn keine Bombe explodierte, wie an dem Tag, als ich eine Verabredung hatte in der US-Botschaft in Nairobi, und sie flog in die Luft. Das war das erste Attentat von Al-Kaida. Dafür gibt es heute ein Wort: die Traumatisierung. Und diese Traumatisierung habe ich erlebt, und dann versucht, abzuschütteln, auch indem ich darüber schrieb."
Haiti ist der Sehnsuchtsort des Autors
Seine vorerst letzte Reise führte Hans Christoph Buch 2010 nach Haiti, die Inselhälfte in der Karibik, die nach einem verheerenden Erdbeben weitgehend zerstört wurde und deren Staatsstrukturen wieder einmal zusammengebrochen waren, während große Teile der Bevölkerung wie schon so oft in der Geschichte des Landes im Elend versanken. Dieser Sehnsuchtsort des Autors, zu dem er bis heute enge Verbindungen hält, ist eines der zentralen Themen seines autobiografischen Romans "Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod". In den drei Büchern mit je drei gleichnamigen Kapiteln verbindet Buch biografische Erinnerungen, halb reflektierte, halb geträumte Ausführungen über Sexualität, Religion, Voodoo und Baron Samstag und kreuzt sie mit ebenso unwahrscheinlichen wie wahren Geschichten, zum Beispiel über Haitis Diktator Papa Doc und dessen Verwicklung in das Attentat auf JFK.
Das Ganze soll auch verdeutlichen, die Abwärtsspirale, in der Haiti sich befindet, aber auch mein eigenes Leben, die eigene Sterblichkeit, die einem dann bewusst wird. Das Inspirierende bei diesem Modell war zum Beispiel die Kunst aus Haiti, die ich sehr schätze, auch meine Freundschaft mit einem Maler und Voodoo-Priester. Die Wiederkehr des Gleichen die könnte man hier zugrunde legen. Dass die Menschheit eigentlich nichts lernt aus ihren Irrtümern und Irrwegen, sondern sich immer dieselben Geschichten wiederholen. Alles, was man erzählen kann, wurde ja schon einmal erzählt, in anderer Form.
Das zweite große Thema von Hans Christoph Buchs autobiografischem Roman ist, wie der Titel es andeutet, der Tod. Eine Herzerkrankung habe ihn vor zwei Jahren schlagartig mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, so der Autor. Und so schleicht sich der Tod und das Leben danach unter anderem in Form des Voodoo-Gottes Baron Samstag - der Zwitter zwischen Leben und Tod, zwischen Mann und Frau - in Buchs Roman ein. Der Tod lauert auch im ganz realen Haiti von heute, nagt an den Spuren der Familie Buch auf der geplagten Insel.
Im übrigens sind das alles Varianten des Gedankens, der im Untertitel anklingt, das Leben nach dem Tod. Denn, das war das Erschütterndste: Haiti nach dem Erdbeben, das ist das Leben nach dem Tod. Ich beschreibe nicht nur die Zerstörung der Hauptstadt, ich beschreibe auch den Zerfall der Familie, also die Verwandten, die ich in Haiti habe, oder die Apotheke, die meine Großvater dort aufgemacht hatte, die jetzt von Bulldozern inzwischen plattgewalzt worden ist, weil sie im Stadtzentrum lag. Das ganze Stadtzentrum wurde eingeebnet, wegen Einsturzgefahr der Häuser usw...
"Wie viel müssen wir Ihnen bezahlen, damit Sie endlich aufhören, Bücher über Tahiti zu schreiben", hatte mein Verleger mich gefragt nach Erscheinen meines ersten Haiti-Romans, der sich ausgewachsen hatte zu einer Trilogie, nein Tetralogie, aber damit war jetzt endgültig Schluss: nicht nur ich selbst, auch die Inselrepublik hatte zu existieren aufgehört. Dies war mein unwiderruflich letzter Besuch in Haiti, das schon früher, bevor es von einem Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht wurde, von Zombies, lebenden Toten bevölkert war.
Träumereien und fantastische Geschichten
Bevor auch Buchs Erzähler selbst dem Tod zum Opfer fällt, berichtet er in Ich-Form von Haiti nach dem Erdbeben und auktorial über seine Jugend in Marseille, wo der Vater als Konsul amtierte, und über das benachbarte Sanary, wo er den Spuren von Bertolt Brecht, Thomas Mann und anderen prominenten Exilanten nachgeht. Wir begleiten ihn, wie er sich fast kindlich immer wieder in Träumereien und fantastischen Geschichten verliert, auf einer Expedition ins eigene Ich, auf der er seiner Ex-Frau Judith begegnet, die ihn in die Klosterschule Sainte Baume begleitet, die Buch als Kind besuchte, oder in religiöse, erotische Fantasien. Eine der Eigenschaften, die Buchs autobiografischen Roman auszeichnen, ist die Tatsache, dass hinter jeder seiner noch so fantastischen, unwahrscheinlichen Geschichten ein wahrer Kern steckt.
Ich wünsche mir einen Leser, der mal googelt, oder früher hätte man gesagt "ins Lexikon guckt". Gab es diesen Mohrenschildt, der angeblich Kennedy ermordet hat, bzw. dem Attentäter das Gewehr besorgt hat? Dann wird man ganz schnell finden: ja, den gab es, die Geschichte ist nicht erfunden, wie unwahrscheinlich sie auch klingt.
Im besten Sinne fügt sich Buchs Roman also ein in sein Gesamtwerk zwischen Seelenerforschung, der Suche nach den abseitigen Geschichten jenseits der offiziellen, allseits bekannten Wahrheit, Exkursen zur Politik und Kunstgeschichte und einer ganz eigenen Form der literarischen Reportage.
Ich möchte etwas herausfinden über den Zustand der Welt, in der wir leben, auch über die Vorgeschichte dieser Konflikte, die ich in Reportagen beschrieben habe, und gleichzeitig etwas herausfinden über mich, und über das Schreiben, Möglichkeiten des Schreibens. Und das überfordert Leser, die in Schubladen denken. Die sagen: ja, ist das denn ein Roman? Oder ist das eine Reportage? Ist das Literatur, oder ist das ein Sachbuch? Die Kategorien sind gar nicht so wichtig. Wichtig ist, was auf den Seiten steht und ob es Leser gibt, die damit was anfangen können.
Hans Christoph Buch fühlt sich von der deutschen Literaturkritik gemobbt, so schrieb er einst, und von den Journalisten als bloßen Reporter missverstanden. Wie aber soll man diesen reisenden Schriftsteller, literarischen Reporter, Seelenerkunder, Chronisten menschlicher Befindlichkeiten in politischen Krisensituationen, Kommentator und Geschichtenerzähler nun einordnen? Man kann verweisen auf die subjektiven Reportagen von Hunter S Thompson oder auf die Kriegsberichte und Erzählungen von Ernest Hemingway. Man muss Hans Christoph Buch aber gar nicht festlegen, er selber tut es schließlich auch nicht.