Archiv

Hans Joachim Schädlich
"Ich war politisch ein bisschen naiv"

Früher wurde Hans Joachim Schädlich manchmal als DDR-Schriftsteller bezeichnet. Fälschlicherweise - denn in der DDR erschien kein Buch von ihm. Warum es so kam, zeigen das jetzt veröffentlichte Roman-Fragment "Catt" und die Korrespondenz mit dem Verlag darüber. Die politische Tragweite der Texte habe er wohl nicht richtig eingeschätzt, räumt Schädlich ein.

Von Cornelia Staudacher |
    Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich.
    Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich. (dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen)
    "Als der Text circa 60 Seiten umfasste, habe ich die Arbeit ganz aufgegeben." Dieser lapidare Satz alarmierte Krista Maria Schädlich und veranlasste sie, die fünfjährige unheilvolle Korrespondenz zwischen dem Dichter und dem Hinstorff Verlag zu durchforsten und zu dokumentieren. Die Korrespondenz, die den zweiten Teil Buches ausmacht, offenbart nicht nur die literarische Inkompetenz und das Desinteresse gegenüber einem Dichter, der heute zu den besten der Republik gehört. Sie ist darüber hinaus ein Beispiel für die systematisch angelegte, menschenverachtende Verhinderungspolitik, wie sie Dichtern in der DDR widerfahren ist.
    "Sie hat sich nicht nur an die Zeit erinnert, sondern sie hat aus dem Briefwechsel zwischen dem Hinstorff Verlag und mir entnommen, dass der Verlag mich im Grunde verhindern wollte (...), und das hat sie (...) zornig gemacht; das gab ihr (...) die Energie, um sich damit zu beschäftigen und im Nachhinein einmal darzustellen, wie diese Verlage als auszuführende Organe der offiziellen Kulturpolitik die Leute behandelt haben. (...) Sie wollten die Leute nicht abrupt vor den Kopf stoßen, sondern sie wollten sie sozusagen an der Leine herumführen, an der Leine und an der Nase."
    Hingehalten mit vermeintlich wohlwollenden Kommentaren
    Die Art und Weise, wie die DDR-Nomenklatur, vertreten durch die oberste Zensurbehörde, die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, die Schriftsteller gängelte und unter Druck setzte, indem sie alles, was ihren Vorstellungen nicht entsprach, unter Skeptizismus-, Nihilismus- oder Pornografie-Verdacht stellte, hat Schädlich hautnah erfahren.
    Die Korrespondenz, die sich vom Oktober 1971 bis Herbst 1976 hinzog, begann mit einem Schreiben von Kurt Batt, dem damaligen Chef des Hinstorff Verlags mit der Bitte um Texte. Nachdem Schädlich die ersten Entwürfe zu "Catt" geschickt hatte, äußert sich der Lektor Heinrich Ehlers vermeintlich wohlwollend zu der "großen Erzählung" und zum "großen, feurigen Temperament der Hauptfigur".
    Mal wurde eine kurz bevorstehende Drucklegung in Aussicht gestellt, dann wieder schreibt Ehlers, dass es ihm aufrichtig leid tue und fügt in einer Sprache, deren kryptische Formulierungsweise exemplarisch war für die gängige Hinhaltetechnik, hinzu: "Ich sehe ein Erzählungsbändchen mit Eigenarten auf uns zukommen und ich will, dass das geschieht und ich bald so viel 'Machbares' auf dem Tisch habe, dass ich das Objekt vorstellen und verteidigen kann."
    Über das Verhältnis von Mächtigen und Unmächtigen
    Nach der Lektüre des sorgfältig zusammengestellten und mit entlarvenden Zitaten gespickten Nachworts über solch zermürbende Hinhaltemanöver stellt sich unweigerlich die Frage, wie ein Autor diese infame Verhinderungstaktik ertragen konnte, und ob Schädlich wirklich in diesen Jahren noch an einen positiven Ausgang glaubte:
    "Ja, das habe ich wirklich geglaubt. Das betrifft ja nicht nur das, das betrifft ja vor allem auch die Texte, die später in "Versuchte Nähe" stehen. Die habe ich ja auch fast alle an Hinstorff geschickt und hatte die Hoffnung, das würde so erscheinen können. Ich hab mir das so erklärt, ich war eigentlich politisch in gewisser Weise ein bisschen naiv (lacht). Ich habe die politische Tragweite der Texte eigentlich nicht richtig eingeschätzt. (...) In meinem Verständnis waren das Texte, die sich mit meiner Umgebung beschäftigten. Dass die 'ne politische Brisanz geboten haben, ergab sich aus dem Kontext. Aber das war nicht meine Absicht. (...) Ein durchgehendes Motiv meiner Arbeit war immer das Verhältnis von Mächtigen und Unmächtigen, nicht Ohn-mächtigen, aber Un-mächtigen. Und das zieht sich durch meine ganze Arbeit bis in das Buch "Narrenleben". Das war immer mein Grundthema; ich (...) hatte nicht die Absicht, politische Texte zu schreiben. Sie wurden aber als politische Texte wahrgenommen, nicht nur von der DDR-Zensur, sondern auch in der Bundesrepublik."
    Das eher im Subtext erscheinende politische Element in Schädlichs Texten wurde in den Zeiten des Kalten Krieges in beiden Teilen Deutschlands überbetont. So wurde Schädlich noch lange, nachdem er mit seiner Frau und den beiden Töchtern vom Osten in den Westen übergesiedelt war, bei Lesungen in der Bundesrepublik als ein ehemaliger DDR-Schriftsteller vorgestellt.
    Verflechtungen zwischen ost- und westdeutschen Verlagen
    "Mir ist oft widerfahren, auf Podien oder bei gemeinsamen Schriftstellerveranstaltungen, dass gesagt wurde, der DDR-Schriftsteller, damit meinte man mich, und ich hab sofort protestiert und gesagt, ich bin kein DDR-Schriftsteller, und wurde dann gefragt, ja, was sind Sie dann? Ich habe gesagt, ich bin ein deutscher Schriftsteller. Ich kann das äußerlich begründen, von mir ist schließlich in der DDR kein Buch erschienen. Wieso bin ich dann ein DDR-Schriftsteller? Weil ich dort gelebt habe? Das begründet diesen Titel nicht."
    Johannes Bobrowski soll auf die Frage, "Sind Sie ein ost- oder westdeutscher Schriftsteller?" geantwortet haben: "Ich werde mich nicht auf ostdeutsch firmieren lassen, so wenig wie auf (heimlich) westdeutsch; entweder ich mach deutsche Gedichte oder ich lern Polnisch".
    Bobrowski war einer der wenigen Schriftsteller, dessen Gedichte im ostdeutschen Union Verlag und im West-Berliner Wagenbach Verlag erschienen, auf der Basis eines Lizenzvertrages, wie es sie zwischen west- und ostdeutschen Verlagen gelegentlich gab.
    "Was es damit auf sich hat, habe ich auch genau erfahren. Das Manuskript meines ersten Buches "Versuchte Nähe" wurde von einer Journalistin der FR von Ostberlin nach Westberlin geschmuggelt und sie brachte es zu Günter Grass. Der hatte den Ehrgeiz, es unterzubringen in seinem Verlag; das war Luchterhand. Und der Chef vom Luchterhand Verlag, Franz Altenhain hat zu ihm gesagt, 'ne mein Lieber, ich würde es gern machen, aber ich kann nicht. Dann verliere ich mein Lizenz-Geschäft mit dem Aufbau Verlag."
    "Jetzt les' ich zwei Texte von mir"
    Seit den frühen Siebzigerjahren schrieb Schädlich Geschichten und Erzählungen. Vom offiziellen Literaturbetrieb der DDR hielt er sich fern, fand aber durch seinen Freund und Schriftstellerkollegen Bernd Jentzsch Zugang zu einem von Günter Grass initiierten Schriftstellerkreis, in dem in einer Atmosphäre von gegenseitigem Vertrauen und Offenheit zwar subjektiv, aber ernsthaft und mit literarischen Kriterien Kritik an der Struktur und am Stil von Texten geübt wurde.
    "Ich erinnere mich gut an das erste ost-westdeutsche private Treffen im Haus von Bernd Jentzsch. (...) Da kamen – wir haben gesagt von drüben - Grass, Born, Buch und Johnson, vier, und von unserer Seite auch vier, Czechowski, Jentzsch, ich war noch nix, und Karl Mickel. (...)Und bei der Vorbereitung dieses Treffens wurde war ich auch dazu gebeten von Jentzsch, der wusste, dass ich Erzählungen schreiben, aber sonst wusste das niemand. Und ich wurde vorgestellt als jemand, der am Institut für Sprachwissenschaft arbeitet. Und Grass hatte gemeint, ja, das wäre doch interessant, wenn ich bei diesem ersten Treffen etwas sagen könnte über das Verhältnis der deutschen Sprache in Ost und West. Andererseits hatte ich Erzähltexte und hab lange überlegt, was mache ich nur, und hab mich dann schließlich entschlossen, von mir Texte vorzulesen. (...) Ich hab gedacht, jetzt springe ich ins kalte Wasser, jetzt les’ ich zwei Texte von mir, das war für mich, als würde ich sagen, entweder ich gehe unter oder ich schwimme, entweder ich saufe ab, weil die andern sagen, das lass mal lieber, oder ich schwimme, und dann gab's 'ne Pause, und dann sprach als erster Johnson und sagte, das sei mit einer Sorgfalt und mit einer Genauigkeit gemacht, für die sie oder er in der Bundesrepublik gar keine Zeit mehr hätten (lacht in sich hinein), und die andern haben sich auch geäußert, positiv, (....) das war für mich der Ritterschlag."
    Ein eher freudloses, bedrückendes Bild der DDR
    Der fragmentarische Roman "Catt", der sich in Schädlichs Vorlaß im Literaturarchiv Marbach befand, erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sich im Ost-Berlin der beginnenden Siebzigerjahre auf die Suche nach ihrer Freundin Janina macht, die von einem Tag auf den anderen verschwunden ist. Catt bestreitet ihren Lebensunterhalt als Taxifahrerin; aber sie ist Schriftstellerin und hat den Plan, eine Geschichte über das Leben der Freundin zu schreiben. Die eingefügte, in sich abgeschlossene "Geschichte von Juca und Koschko" handelt von einem jungen Paar, das sich im Spannungsfeld von Privatleben, Schwangerschaft, Arbeits- und Wohnungssuche zerreibt.
    Hier wie auch in den Beschreibungen des Arbeitsalltags und der persönlichen Beziehungen von Catt entsteht ein eher freudloses, bedrückendes Bild der DDR jener Jahre. Nur gelegentlich blitzt zwischen der melancholischen Grundstimmung die den Berlinern nachgesagte Schnoddrigkeit als erheiterndes Element auf.
    Die für Schädlich typische feinnervige Beobachtungsgabe, mit der er das Verhältnis zwischen den Mächtigen und den Un-mächtigen beleuchtet, ist trotz des fragmentarischen Charakters der Aufzeichnungen deutlich herauszulesen. Auch die Lakonie, die sprachliche Verknappung auf das Wesentliche und die kritische Distanz dem eigenen Text gegenüber sind hier bereits im nuce erkennbar.
    Schreiben als Prozess der Annäherung an die Wirklichkeit
    Schädlich versteht und verstand schon damals sein Schreiben als einen Prozess der Annäherung an die Wirklichkeit und als einen Versuch, die durch ein vordergründiges Realitätsverständnis verstellte Wirklichkeit möglichst objektiv zu ergründen. Als stilistische Mittel dienen ihm unkonventionelle Wortverbindungen und Satzkonstruktionen und gewagte Montage- und Assoziationsketten.
    Als ich ihn frage, wie ihm und Krista Schädlich der fragmentarische Text beim Wiederlesen nach vierzig Jahren gefallen hat, antwortet er: "Sie und ich haben den Text gelesen, um ihn auf seine Haltbarkeit zu prüfen. (....) Und ich kann für mich sagen, das hat die Krista auch auf ihre Weise gesagt, ich war ehrlich erstaunt, dass die Texte gut waren. Also meinem heutigen Standpunkt oder meiner heutigen Urteilskraft entsprechend kann ich sagen, "Catt" - diese Texte sind gut, die halten - ich meine, das müssen andere natürlich beurteilen (....). Und ich habe auch zur Krista gesagt und das hat sie auch notiert, eigentlich bin ich erst nach der Umsiedlung in die Bundesrepublik ein richtiger Autor geworden. Ich meinte damit, ich hatte endlich Ruhe und auch die Freiheit zu machen, was ich wollte. Und konnte auch meinen Stil variieren und entwickeln. In der DDR fühlte ich mich durch die Behandlung vonseiten des Hinstorff Verlags und so weiter immer behindert."
    Umso mehr ist es dem Verbrecher Verlag, der in diesen Tagen sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert, zu danken, die "Catt"-Fragmente in sein Programm aufgenommen zu haben. Zusammen mit dem aufschlussreichen und spannend zu lesenden Nachwort "Über den Versuch, einen Autor zu verhindern", sind sie eine angemessene Ergänzung zur neunbändigen Gesamtausgabe im Rowohlt Verlag und ein würdiges Geburtstagsgeschenk für Hans Joachim Schädlich.
    Hans Joachim Schädlich: "Catt, Ein Fragment", Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich, Verbrecher Verlag, Berlin 2015, 112 Seiten, 19 Euro