"Eine promovierte Ordensfrau" schrieb an Hans Küng:
"Sie gefährden, was Sie jahrzehntelang aufgebaut haben. Wie vereinbaren Sie diese PR mit der Ehrfurcht vor dem Leben, der Verallgemeinerungsfähigkeit des Handelns, mit der Entsprechung von Rechten und Pflichten?"
Gegen solche Vorwürfe hilft denn auch kaum, dass Hans Küng sein Projekt Weltethos organisatorisch und inhaltlich von seinem Engagement für ein selbstbestimmtes Sterben bei fatalen Krankheiten strikt trennt. Dabei bereichert Küng die Debatte über Sterbehilfe um sensible Argumente, die bisher wenig beachtet wurden. Damit gerät er indes erneut in Konfrontation mit dem Vatikan. Im Gespräch mit Anne Will sagt er:
"Ich glaube, dass man sich erstens bei der Kirchen-Leitung um eine andere Haltung zur Sterbehilfe bemühen sollte. (...) In der Kirchen-Gemeinschaft sind es 77 Prozent, glaube ich, die, nach den neuesten Umfragen in Deutschland, es für richtig halten, dass man in der letzten Phase unter Umständen Sterbehilfe in Anspruch nimmt. Ich glaube, dass da die Kirchenleitung einfach noch zurückgeblieben ist in der Reflexion und in der Entscheidung."
Küng rüttelt an gewissen katholischen Lehrmeinungen
Küng hofft, dass sich durch Papst Franziskus ein Wandel in der katholischen Kirche einstellt. Doch seine Argumentation ist bemerkenswert, weil er sich nicht auf die bekannten religiös neutralen Argumente der Vermeidung unnötigen Leidens beschränkt. Hans Küng bekennt offen, sein Leben selber rechtzeitig beenden zu wollen, bevor er körperlich und geistig verfällt wie sein verstorbener Freund Walter Jens, der den richtigen Augenblick dazu verpasst hatte. Und dabei - das ist für viele Kirchenvertreter provokant - beruft er sich auf seinen Glauben, wenn er schreibt:
"Dass ich schließlich auch noch ein Leben auf vegetativem Niveau zu akzeptieren hätte, lasse ich mir von niemandem als Wille Gottes für mich einreden. Auch möchte ich gerade als Christ nicht, dass man dies anderen Betroffenen einredet."
Damit rüttelt Küng natürlich an gewissen katholischen Lehrmeinungen, hat der Vatikan bis heute Schwierigkeiten mit der Mündigkeit und der Selbstverantwortung der Menschen für das eigene Leben, ist die katholische Kirche auch keine demokratisch aufgebaute Organisation. Just daher widerspricht Küng an einer diffizilen Stelle:
"Dabei bin auch ich der Überzeugung, der festen Überzeugung, dass das Leben Gnade Gottes ist. Es ist mir geschenkt. Ich habe es nicht selber erworben. Das ist mir als gläubigem Menschen, durch die Eltern von Gott geschenkt. Aber das heißt, dieses Gnadengeschenk bedeutet für mich auch Verantwortung. Das sagt übrigens auch der Katechismus. Wir haben alle eine Verantwortung für unser Leben. Und warum soll die in der letzten Phase aufhören, diese Verantwortung? Die ist für mich auch in der Letzten Phase da. Die kann ich dann auch wahrnehmen."
In der Engelslehre des heiligen Thomas von Aquin lenken und bestimmen die Engel hintergründig das Leben der Menschen. Nach Küng gestalten und verantworten die Menschen ihr Leben selbst wie bei Jean-Paul Sartre. Dann kann auch die Kirche den Menschen den Verzicht auf Sterbehilfe nicht mehr vorschreiben. Dann ist das auch keine Sünde mehr, drohen keine göttlichen Strafen. So bezweifelt Küng die Vorstellung ewiger Höllenqualen, wenn er schreibt:
"Die ‚Ewigkeit' der Höllenstrafe darf auf keinen Fall absolut gesetzt werden. Es ist ein Widerspruch, Gottes Liebe und Barmherzigkeit und gleichzeitig die Existenz eines ewigen Qualortes anzunehmen. Nein, die ‚Höllenstrafe' bleibt, wie alles, Gott, seinem Willen und seiner Gnade untergeordnet. Versprochen ist den Glaubenden das ‚Himmelreich'!"
Seinem Leben aus krankheitsbedingten Gründen ein Ende zu setzen, ist also für Küng keine Sünde, ist der Mensch auch für das Ende seines Lebens verantwortlich, spricht aus Küngs Worten nicht Stolz, sondern die Ehrfurcht vor Gott und dem Leben wenn er sagt:
"Ich möchte so sterben, dass ich noch voll Mensch bin und nicht nur reduziert auf ein vegetatives Dasein."
Ein befreundeter Jesuit schrieb dagegen in einem Brief an Küng:
"Dein Leiden wird Segen und Gnade für uns werden, wie der schmerzvolle Tod Jesu für uns zum Heil geworden ist. In diesem Heil ist auch das Ja zum Leiden wesentlich miteingeschlossen. Der unendliche Gott nimmt Dir die Verantwortung für Dein Leben in vergebender Liebe ab."
In der Tat gilt das Christentum auch als die Religion des Leidens, was ja schon das Kreuz verkörpert. Darin liegt nicht nur Trost für die Leidenden, sondern fordert von diesen auch ein Opfer. Dem hält Küng in seinem Buch entgegen:
"Doch Nachfolge Christi biblisch verstanden meint: sich auf ihn und seinen Weg einzulassen und nach Christi Weisung seinen eigenen Weg gehen. Nachfolge meint also nicht ethische Nachahmung des Lebensweges Jesu, nicht die getreue Kopie eines Lebensmodells."
Damit gelingt Küng eine erstaunliche Wende hinsichtlich der Rolle, die ein jenseitiges Leben für den Menschen heute spielen kann. Es lehrt ihn nicht mehr primär Furcht, sodass es wie eine Pädagogik die Menschen moralisiert. Es gibt ihm vielmehr Hoffnung und erleichtert auf diese Weise das Sterben. Der Sinn eines jenseitigen Lebens wird damit ein individueller und kein moralischer. Dann kann man auch leichter Sterbehilfe in Anspruch nehmen, weil der Tod nicht als finales Ende erscheint:
"Das hängt natürlich mit meiner Glaubensüberzeugung zusammen, dass ich nicht glaube, dass ich in ein Nichts hineinsterbe. Ich kann Leute verstehen, die nicht an ein ewiges Leben glauben, dass die natürlich Angst haben vor dem Nichtsein. Ich bin aber der Überzeugung, dass ich nicht in ein Nichts hineinsterbe, sondern in eine letzte Wirklichkeit hineinsterbe. Dass ich sozusagen nach Innen gehe, in die tiefere, tiefste Wirklichkeit, und von dorther also ein neues Leben finde. Das ist meine Glaubensüberzeugung."
Sterbehilfeorganisationen, Palliativmedizin und Missbrauch von Sterbehilfe
Damit führt Hans Küng in die Debatte um Sterbehilfe ein religiöses Argument ein, während diese Debatte bisher weitgehend religiös neutral geführt wurde, geht es dabei um die Rolle von Sterbehilfeorganisationen, um die Palliativmedizin, um den Missbrauch aktiver Sterbehilfe. Diese Dimensionen diskutiert auch Küng in seinem Buch. Die Pointe jedoch liegt in der religiösen Perspektive:
"Ich habe jetzt immerhin schon erreicht, dass die Sterbehilfeorganisation Exit, aber auch die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) etwas neu entdeckt haben, wovon ich wollte, dass man's entdeckt - nämlich die religiöse Dimension im Sterben. Dass man sterben kann, freiwillig sterben kann, nicht weil man glaubt, man fällt in ein Nichts. Man hat früher immer angenommen, wenn jemand bei so einer Organisation ist, dann ist er Materialist oder Atheist. Nein, im Gegenteil. Man kann aus Gottvertrauen heraus freiwillig sterben. Ein durchaus nicht rationalistisches, aber rationales, vernunftgemäßes Gottvertrauen."
Damit möchte Küng den Glauben an ein ewiges Leben auch diesseitsorientierten Menschen nahelegen. Hier spürt man denn doch so etwas wie einen Missionsgeist, mit dem er wahrscheinlich die religiösen Kreise zu versöhnen trachtet. Dabei handelt er kurz die Religionskritik von Feuerbach, Marx, Freud und Brecht ab, die ihm nicht schlüssig erscheint. Vielmehr geht es Küng darum "klarzumachen, dass jeder nachdenkliche Mensch sich früher oder später vor die große Alternative gestellt sieht, Ja oder Nein zu einem ewigen Leben zu sagen; kein Ja besagt im Grunde ein Nein."
Warum sollte indes ein Leben nach dem diesseitigen Leben ein ewiges sein? Was heißt überhaupt Ewigkeit? Und warum soll derjenige, der sich mit dieser Frage nicht befasst, Nein dazu sagen? Und kein nachdenklicher Mensch sein? Weil sich viele Menschen diese Frage stellen! Aber viele Menschen beschäftigen sich mit vielen Fragen, die philosophisch nicht unbedingt interessieren.
Hans Küng: "Glücklich sterben?"
Piper, München, Zürich 2014, geb., 159 S.
Piper, München, Zürich 2014, geb., 159 S.