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Hans Lehrach. Der Mann, der für die Freiheit des Genoms kämpfte

Genetik. - Nach der Entzifferung des Humangenoms vor zehn Jahren wagte der damalige US-Präsident Bill Clinton die Prognose, den Krebs würde die Menschheit bald nur noch als Sternbild kennen. Voreilige Versprechen dieser Art sind nicht die Sache des Genomforschers Hans Lehrach.

Von Michael Lange |
    "Das Genom ist die vollständige Liste der Teile, all der biologischen Prozesse, die wir kennen."

    Beharrlichkeit und Ausdauer sind zwei wichtige Voraussetzungen für die Genomforschung. Der Österreicher Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin verkörpert sie wie kein anderer. Schon in den 80ern und Anfang der 90er-Jahre wollte er das Erbgut von Lebewesen entziffern, stieß jedoch bei den Geldgebern in Deutschland immer wieder auf Widerstand.

    "Wir hatten noch zu Beginn des Genomprojektes in Deutschland Briefe von hochrangigen Wissenschaftlern, die vehement dagegen argumentiert haben, in Deutschland Genomforschung zu betreiben."

    Das menschliche Genom gehört allen, und wer die Daten braucht, soll sie bekommen, meint Hans Lehrach. Die privatwirtschaftlichen Aktivitäten eines Craig Venter sind für ihn nicht mehr als eine Episode.

    "Es ist ja auch vernünftig, dass solche Informationen mit öffentlichen Mitteln generiert werden und damit auch wirklich frei allen zur Verfügung stehen."

    Buch des Lebens. Revolution der Medizin. Solche Worte hat Hans Lehrach nie verwendet. Wenn er an die großen Worte mancher Politiker und Wissenschaftler denkt, muss er schmunzeln.

    "Wir konnten das Buch des Lebens lesen, aber nicht verstehen. Das war vielleicht nicht allen klar, aber es war den Eingeweihten klar, dass wir nicht plötzlich anhand der Genomsequenz alle Vorgänge, alle Krankheiten sofort entschlüsseln können. Es ist ein enorm wichtiges Hilfsmittel, um darauf aufzubauen, um dann medizinische Probleme zu analysieren, aber es ersetzt nicht die Analyse der medizinischen Probleme."

    Die Genome liefern den Forschern lediglich eine Art Katalog der biologischen Vielfalt. Jeder Forscher kann davon profitieren. Und dieser Katalog ist umso besser, je mehr Informationen er enthält. Nur wer das Erbgut vieler Menschen vergleicht, kann herausfinden, was bestimmte Gene bewirken, ob sie krankmachen oder das Risiko für Krankheiten erhöhen. Deshalb arbeitet das Berliner Max-Planck-Institut gemeinsam mit größeren Partnern in den USA, Großbritannien und China heute mit beim 1000-Genome-Projekt:

    "Wir haben das 1000-Genome-Projekt, um die Variabilität in der menschlichen Bevölkerung genauer zu analysieren, und zwar so genau, dass wir auch relativ seltene Varianten identifizieren können, die vielleicht an Krankheitsentstehung beteiligt sein können."

    Das Erbgut von 2500 Personen soll dabei in Computern gespeichert und verglichen werden. Und das ist noch nicht das Ende der Entwicklung.

    "Wir haben jetzt Techniken in der Hand, mit denen wir auf einer Maschine ein bis drei Genome in 14 Tagen sequenzieren können. Das ist mehr Sequenzierleistung, als wir im gesamten Genomprojekt in zehn Jahren erbracht haben. Und die Maschinen der nächsten Generation sind bereits in Entwicklung und könnten es uns ermöglichen, das gesamte Genom des Menschen in 15 Minuten zu sequenzieren in ein paar Jahren."

    Für Hans Lehrach ist die große Zeit der Genomforschung keineswegs zu Ende, sie hat gerade erst begonnen.

    Zur Sendereihe "Ich | Mensch | Genom"