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Hans Leyendecker: Die Korruptionsfalle. Wie unser Land im Filz versinkt.

Themenwechsel: Glaubt man der renommierten Anti-Korruptions-NGO "Transparency International", so rangiert Deutschland auf dem Index der Staaten, in denen am wenigsten Korruption begangen wird, zusammen mit anderen europäischen Ländern und den USA immerhin noch im vorderen Mittelfeld – derzeit auf Platz 18. Am wenigsten korrupt geht es demnach in Skandinavien, Neuseeland, Island und Singapur zu – am schlimmsten hingegen wohl nicht zufällig in den allerärmsten Ländern der Welt. Dass trotzdem auch in der Bundesrepublik in puncto Bestechung in wachsendem Maß Verhältnisse herrschen wie in einer mittelamerikanischen Bananenrepublik, dokumentiert ein neues Buch aus der Feder von Hans Leyendecker: "Die Korruptionsfalle". Volker Wagener hat es gelesen und mit dem Autor gesprochen.

Volker Wagener | 11.08.2003
    Themenwechsel: Glaubt man der renommierten Anti-Korruptions-NGO "Transparency International", so rangiert Deutschland auf dem Index der Staaten, in denen am wenigsten Korruption begangen wird, zusammen mit anderen europäischen Ländern und den USA immerhin noch im vorderen Mittelfeld – derzeit auf Platz 18. Am wenigsten korrupt geht es demnach in Skandinavien, Neuseeland, Island und Singapur zu – am schlimmsten hingegen wohl nicht zufällig in den allerärmsten Ländern der Welt. Dass trotzdem auch in der Bundesrepublik in puncto Bestechung in wachsendem Maß Verhältnisse herrschen wie in einer mittelamerikanischen Bananenrepublik, dokumentiert ein neues Buch aus der Feder von Hans Leyendecker: "Die Korruptionsfalle". Volker Wagener hat es gelesen und mit dem Autor gesprochen.

    Im Klappentext des 290 Seiten umfassenden Taschenbuches preist der Rowohlt Verlag seinen Autor als "Chefenthüller der Republik" an. Und das ist nicht übertrieben. Hans Leyendecker, fast zwei Jahrzehnte beim Hamburger "Spiegel" unter Vertrag und nun leitender Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", darf für sich in Anspruch nehmen, an der Aufklärung mehrerer großer Korruptionsaffären im Lande federführend beteiligt gewesen zu sein.

    Und das gilt auch für die jüngsten Skandale unter den Ortsmarken Köln und Wuppertal. Wer allein diese beiden Fälle aufmerksam verfolgt hat, bekommt durch die Lektüre eine Reihe neuer Detailinformationen dazu. Vor allem aber bietet das Buch eine genaue Rekonstruktion der Abläufe über aktuelle Korruptionsfälle. Es ist - man könnte es so ausdrücken - ein Handbuch über die alltäglichen Schweinereien an der Nahtstelle zwischen Privatwirtschaft und Amtsschimmel. Nirgendwo ist das Phänomen der Bestechung im Zusammenhang mit öffentlichen Auftragsvergaben in der Quantität und der Qualität besser dokumentiert, als im bis auf die Schwebebahn so unspektakulären Wuppertal. Das brachte sogar Hans Leyendecker ins Staunen.

    Also, Wuppertal hat mich selbst beim Schreiben überrascht, weil in Wuppertal eine solche Fülle von an Korruptionsverfahren Beteiligten ist, wenn man sich vorstellt, dass über 1.200 Leute in Wuppertal durch Ämter tangiert worden sind, es über 600 Verurteilungen gibt, mehr als hundert Verfahren noch in der Pipeline sind, wie die Staatsanwaltschaft sagt, und neue Fälle kommen, haben wir es mit einer Stadt zu tun, die in allen Bereichen von Korruption erfasst ist. Also, im Buch kommt ja vor, Leute von der Zeitung oder jemand, der bei der Kirche ist, bei der SPD, bei der CDU, es macht vor nichts halt, und das ist, glaube ich, auch die neue Situation, die wir haben, dass wir es nicht mehr begrenzen können auf ein Stadtbauamt oder auf eine kleine Firma, sondern dass offenbar, zeitweise zumindest, mal ein Zustand da war, dass es ein System gab, dass Leute raffen wollten, dass Leute dabei sein wollten, dass Leute sich infizieren ließen oder andere infiziert haben, und das ganz breit durch die Stadt.

    Mitte der 90er Jahre flogen die ersten Bestechungsfälle an der Wupper auf. Seitdem kann die Staatsanwaltschaft gar nicht schnell genug anklagen. Immer mehr Personen städtischer Ämter wurde Vorteilsannahme nachgewiesen. Die bisherigen Urteile summieren sich schon jetzt auf weit mehr als einhundert Jahre Gefängnis. Richtig brisant wurde der Fall Wuppertal, als ausgerechnet der als Saubermann angesehene Oberbürgermeister Hans Kremendahl selbst unter Verdacht geriet, beim Geben und Nehmen mitgemischt zu haben. 1999 soll ein Bauunternehmer Kremendahls persönlichen Wahlkampf großzügig sponsoriert haben. Er verlor vorübergehend sein Amt. Bis das Gericht den Sozialdemokraten vor einem guten halben Jahr vom Vorwurf der Vorteilsnahme freisprach. Ein Richterspruch mit Beigeschmack, wie Hans Leyendecker findet.

    Der Vorsitzende Richter Leithäuser hat ausdrücklich angeregt, den Freispruch für Kremendahl auf den Prüfstand der Revision zu stellen. Ein höchst seltener Vorgang in der deutschen Rechtsgeschichte. Das Gericht habe mit der Rechtsprechung in Sachen Kremendahl juristisches Neuland betreten, sagte Leithäuser. Die Staatsanwaltschaft, die immerhin eine anderthalbjährige Freiheitsstrafe für Kremendahl und damit zwangsläufig dessen Amtsenthebung gefordert hatte, folgte der Anregung des Richters. Sie hat beim Bundesgerichtshof die Aufhebung des Freispruchs beantragt.

    Noch deftiger war die Geschichte um die Genehmigung und den Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage. Ein Lehrstück über clevere Unternehmer, scheinheilige Stadtväter und ahnungslose Statisten. Dabei ist Köln nur die Spitze eines bis jetzt in seinen Ausmaßen noch gar nicht klar erkennbaren Eisberges. Denn wohl kaum anderswo wurde seit Frühjahr 2002 so genau seitens der Justiz hingesehen wie unterm Dom, schreibt Hans Leyendecker.

    Der Müllverbrennungsskandal in Köln, dass er herausgekommen ist, das ist der Staatsanwaltschaft zu verdanken, die mit insgesamt sechs Leuten, 16 Kripo-Beamten, Wirtschaftsprüfern, Steuerfahndern rangegangen ist und sehr schnell, sehr gründlich recherchiert hat. In anderen Fällen und in anderen Städten haben wir dasselbe Problem. Wir haben nicht so eine Staatsanwaltschaft, die nun auch alles versucht. Wir können es am Beispiel Mannheim ganz gut erklären: Es gab ein sehr viel größeres Verfahren als das Kölner Verfahren, weil es mehr Städte betraf, 18 Städte in Deutschland, das bei der Staatsanwaltschaft in Mannheim gelandet war. Und nicht weil die Staatsanwälte nicht wollten, sondern weil sie es falsch organisierten, weil sie zu wenig Leute dran setzten, sind die meisten Fälle in die Verjährung getrieben, werden nie mehr geklärt werden. Also, von daher ist Köln, auch Bonn, auch Wuppertal ein Beispiel dafür, das zeigt, wenn man entschieden ran geht, wenn man genug Leute an so eine Sache setzt, findet man etwas. Und wenn man nichts findet, bedeutet das nicht, dass da nichts ist, sondern es bedeutet, dass da nicht genau genug geguckt wird.

    Die Kölner Hauptdarsteller im abgekarteten Spiel um Macht und Millionen sind nach anfänglichem Zögern nun geständig. Wer wen wann in welcher Höhe bestochen hat, ist mittlerweile bis hinein in Nebenschauplätze nachvollziehbar. Gerade die Ausschreibungspraxis macht deutlich, wie unverfroren nach außen der Schein gewahrt wurde, während intern schon alles geregelt war.

    Diese Ausschreibungen sind oft nur eine Farce. Der Hamburger Ingenieur Hans Reimer, Jahrgang 1932, der einst mit seiner Planungsgesellschaft GRP jeden zweiten Abfallofen in Deutschland gebaut hat, bestätigt das. Allerorten sei bestochen worden. In der Müllbranche sei für das Schmieren der Begriff 'Beatmung’ gefunden worden. Politiker und Manager, sagt Reimer, hätten die Hand aufgehalten. Das Beatmen habe zum Geschäft gehört. Es liege im Interesse der sich bewerbenden Firmen, notierten Hamburger Ermittler, sowohl auf der Vergabeseite als auch bei den Planern Stimmung für sich zu machen. Dementsprechend war man auch bereit, für die Erlangung der Aufträge sog. 'Provisionen’ zu zahlen. Ein Kartell der Korruption.

    Quasi als Vorbereitung für noch vor uns liegende juristische Auseinandersetzungen dient das knapp 40 Seiten umfassende Kapitel über die umstrittenen Abfindungen beim Düsseldorfer Mobilfunker Mannesmann. Im Frühjahr hat die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift gegen Klaus Esser, den ehemaligen Konzernchef, sowie gegen mehrere Aufsichtsräte eingereicht. Der Vorwurf: In der Endphase der Übernahmeschlacht vor gut dreieinhalb Jahren hat die Führungsspitze des Düsseldorfer Traditionsunternehmens richtig tief in die Firmenkasse gegriffen und rund zwei Dutzend Aufsichtsräte mit ex orbitant hohen Abfindungen versehen. Im Herbst wird mit der Entscheidung über die Aufnahme eines Hauptverfahrens gerechnet. Ab November könnte dann der größte Wirtschaftsprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte starten. Für Interessierte an den Hintergründen des Vodaphone-Mannesmann-Deals bietet Hans Leyendecker eine verblüffende Detailkenntnis.

    Also, im Fall Mannesmann gibt es ein Zusammenspiel von wichtigen Akten, von Gesprächen mit vielen Leuten und von Rückgriffen auf das ein oder andere, was ich für mich selbst gemacht habe. Also das ist so eine Zusammenfassung. Indem man halt eine Recherche macht und auf etwas aufbaut, kommt man doch ein Stück weiter, als man gemeinhin kommt. Und dafür ist das Buch auch ganz gut, dass man ein bisschen genauer und ein bisschen mehr an den Sachverhalt rückt.

    Hans Leyendecker dürfte sich mit seinem Buch nicht bei allen seiner eigenen Journalistenzunft Freunde gemacht haben. Die Vertreter von Film, Funk und Fernsehen gehören schon seit langem zur Gruppe der Verhätschelten und Verwöhnten seitens der Industrie, die ihre Produkte im besten Lichte platziert und präsentiert sehen möchte. Mit zahlreichen Beispielen schildert er dem Laien die gängige Praxis im Zusammenhang mit den sogenannten Journalistenrabatten. Gratis-Urlaubsreisen, Nachlässe beim Autokauf oder kostenlose Ausstattungen für das Privathaus - die Journalistenbranche kennt unzählige Vergünstigungen. Auch besonders dreiste, weil so banal.

    Beschwerdebriefe von Journalisten, bei denen die Armatur pfeift oder der Duschkopf tropft, sind Alltag in der Pressestelle des Unternehmens, das wirklich einen guten Ruf hat. Auf dem Briefpapier seiner Zeitung teilte etwa am 11. Januar 2001 ein politischer Ressortleiter der Firma mit, dass sich vom Duschkopf nach gut anderthalbjährigem Gebrauch die Verchromung löst. "Wie telefonisch besprochen, würde ich mich freuen, wenn Sie uns das Nachfolgemodell schicken könnten. Die Firma expedierte eine neue, kostenlose Handbrauche und wünschte: "Viel Duschspaß fürderhin.

    Das "Schmieren" breitet sich metastasenartig aus, lautet denn auch das Fazit des Autors. Dabei ist Korruption ein typisches Delikt aus dem Bereich der sogenannten Kontrollkriminalität. Das heißt: Wuppertal und Köln sind im schlimmsten Falle überall.

    Volker Wagener über Hans Leyendecker: Die Korruptionsfalle. Wie unser Land im Filz versinkt. Rowohlt Berlin, 286 Seiten für 17 Euro und 90 Cent.