Von der Friedensidee zum Zankapfel – das ist die Geschichte des Euro, wie sie Hans-Werner Sinn erzählt. Eine hektische Zeit.
"Da ist so viel passiert, so viel Dynamik, wie ich das selten in der Vergangenheit, in meinem Wissenschaftlerleben habe beobachten können, vielleicht noch bei der deutschen Vereinigung."
Auf mehr als 500 Seiten analysiert der Chef des Münchner Ifo-Instituts, welche Fehler in der kurzen Geschichte des Euro gemacht wurden. Und wie diese Fehler jetzt noch ausgebügelt werden können. Ein Scheitern der Gemeinschaftswährung kommt für ihn nicht in Frage.
"Man kann aus vielen Zutaten einen Kuchen backen, aber man kann aus dem Kuchen die Zutaten nicht wieder zurückgewinnen, jedenfalls nicht auf einfache Weise. Die Finanzsysteme der Eurozone sind so stark miteinander verwoben, dass eine Rückrechnung der Schuldkontrakte auf alte Währungen nicht einfach ist."
Fehleranalyse zum Euro
Sinns Fehleranalyse: Der Euro habe die südlichen Länder in eine Kreditblase getrieben. Sie konnten sich günstig Geld leihen, ohne dass sie an ihrer Wettbewerbsfähigkeit gearbeitet hätten. Sie verschuldeten sich munter weiter, erst mithilfe des Kapitalmarktes und dann – als sie in finanzielle Schwierigkeiten gerieten - mithilfe der Notenpresse der Europäischen Zentralbank.
Sie ist es auch, die Sinn immer wieder kritisiert. Die EZB habe ihr Mandat überschritten:
"Es trat ein Gewöhnungseffekt ein, als die Krise schon wieder vorbei war, die Weltwirtschaft sich belebte, da führte man diese Politik fort, die Politik des billigen Geldes. Das war eine Selbstfinanzierung mit der Druckerpresse, wenn Sie so wollen."
Und Sinn macht keinen Hehl daraus, dass er auch mit der politischen Reaktion unzufrieden ist.
"Viele Banker und Politiker, ja selbst einige Ökonomen, scheinen mit der Art und Weise, wie das Eurosystem funktioniert, zufrieden zu sein. Die Krisenländer müssten nur Reformen durchführen, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen, und das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen, behaupten sie. Bis das geschehen sei, müsse man ihnen finanziell mit Liquidität unter die Arme greifen."
All das habe uns schließlich dorthin gebracht, wo wir jetzt stehen – in eine Union mit zwei Währungen.
"Wenn und solange man über das Geld auf einem Konto in Griechenland nicht frei verfügen kann, gibt es de facto nicht mehr nur einen Euro in Europa, sondern zwei. Einen in Freiheit und einen im griechischen Gefängnis."
Grexit als möglichen Ausweg
Sinn plädiert für schnelles Handeln. Athen brauche einen Schuldenschnitt. Und: Auch ein Euroaustritt müsse möglich sein. Es brauche eine "atmende Währungsunion", also eine, die Austritte möglich mache. Das Rezept: Man bereitet heimlich eine neue Währung vor und führt sie an einem Wochenende ein, wenn alle Banken geschlossen sind. Der Grexit hätte schon im vergangenen Sommer passieren müssen. Denn:
"In Wahrheit wäre der Grexit von Vorteil für die Stabilität des
Eurosystems gewesen, weil damit klar gemacht worden wäre, dass man sich im Euro nicht alles erlauben kann. Dass es Budgetbeschränkungen gibt, die eingehalten werden müssen. Und dass deren dauerhafte Verletzung zum Verlust der Mitgliedschaft führt."
Eurosystems gewesen, weil damit klar gemacht worden wäre, dass man sich im Euro nicht alles erlauben kann. Dass es Budgetbeschränkungen gibt, die eingehalten werden müssen. Und dass deren dauerhafte Verletzung zum Verlust der Mitgliedschaft führt."
Doch beim Austritt allein könne es nicht bleiben. Die Länder müssen wettbewerbsfähig werden. Immer wieder hebt Sinn diesen Zeigefinger. Die Löhne und Preise müssen sinken. Er schreckt denn auch nicht vor Polemik zurück, wenn er etwa dafür plädiert, eine Vermögensabgabe in den Krisenländern einzuführen. Und das, obwohl eben jener Zusammenhang solcher Reichensteuern mit der Wettbewerbsfähigkeit von konservativen Ökonomen wie Sinn für Deutschland immer bestritten wird.
Passiere das alles nicht, müssten die Steuerzahler der Geberländer für die überschuldeten Länder einstehen – dann nämlich, wenn Kredite ausfallen und nicht bedient werden und so den Staatshaushalt belasten. Wenn wir jetzt nicht richtig handeln, gefährden wir die Renten der Babyboomer, warnt Sinn.
"Doch wehe, wenn die Bürger eines Tages bemerken, dass sie es sind, die den Investoren die Last abnehmen mussten. Und erkennen, dass diese Lastverschiebung ihre Renten gefährdet und dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr wie bisher bereitgestellt wird. Dann könnten sie zur Tat schreiten und ihrem Ärger auf der Straße Luft machen."
Eine Union ohne Transferleistungen
Langfristig müsse die Union sich an den USA beziehungsweise der Schweiz orientieren. Eine neue Union ohne Transferleistungen.
"Wenn in Amerika ein Staat pleitegeht, dann geht er pleite, da kommt nicht der Bundesstaat und hilft dem Land aus der Patsche oder rettet die Gläubiger dieses Landes. Wer einem Staat Kredit gibt, in Amerika, muss wissen, dass, wenn der Staat pleitegeht, kriegt er sein Geld nicht wieder. Und weil er das weiß, gibt er das Geld nicht. Das ist eine Früh- und Selbstbremsung der exzessiven Kreditvergabe an Staaten in Amerika."
So deutlich und polemisch Sinn zuweilen in Interviews auftritt, so begegnet er der Leserin in seinem Buch nicht immer. Er spart keinen Begriff der Eurokrise aus, Target, OMT, SMP. Es gibt viel Zahlenmaterial, Tabellen und deren Auswertung – keine leichte Abendlektüre. Ein Wirtschaftsbuch eben. Immerhin: Es folgen immer wieder auch dem Laien verständliche, pointierte Abschnitte.
Und die sind es auch, die hängen bleiben, und die die mehr als 500 Seiten zu einem streitbaren Buch machen. Und nicht nur den Hörsälen, sondern auch den Stammtischdiskussionen neue Munition liefern. Damit ist sich der nun scheidende Ifo-Chef treu geblieben.
Hans-Werner Sinn: "Der Euro - Von der Friedensidee zum Zankapfel", Hanser Verlag, 560 Seiten, Preis: 24,90 Euro