Christine Heuer: Übermorgen entscheidet sich in einem ersten Schritt jedenfalls das Schicksal der GroKo und möglicherweise auch das von SPD-Chef Martin Schulz. Denn dann stimmen die Delegierten bei einem Sonderparteitag der Sozialdemokraten ab, ob ihre Partei in Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen soll oder besser nicht. Die SPD-Spitze wirbt dafür, Linke und Jusos machen Stimmung dagegen, die Basis ist gespalten.
Der Mittelstand und untere Einkommen werden steuerlich entlastet. Das haben SPD, CDU und CSU im Wahlkampf versprochen. Nach den Sondierungen ist davon nicht mehr viel übrig, monieren namhafte Ökonomen. Allein beim Soli soll es Erleichterungen in der Steuerpolitik geben. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles spricht von "lupenreinster sozialdemokratischer Politik".
Andrea Nahles: "90 Prozent der Menschen in Deutschland werden den Soli nicht mehr zahlen müssen. Die zehn Prozent Spitzenzahler werden in dieser Legislaturperiode nicht entlastet. Das ist erst mal ein Punkt, da kann ich sagen, das ist steuerpolitisch ein klares Signal und erwischt zum Glück, was die Entlastung angeht, die richtigen."
Heuer: Die SPD-Führung ist mit den Steuerbeschlüssen der Sondierer hoch zufrieden, und auch das Wirtschaftsforum der SPD, in dem Unternehmer sich versammelt haben, wirbt für eine neue Große Koalition.
Am Telefon ist der Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums, Harald Christ. 2009 war er Schattenwirtschaftsminister im Wahlkampf von Frank-Walter Steinmeier. Guten Morgen, Herr Christ.
Harald Christ: Guten Morgen!
Heuer: Sie sind, glaube ich, ein großer GroKo-Fan. Jedenfalls empfiehlt das SPD-Wirtschaftsforum der Partei Koalitionsverhandlungen mit der Union. Warum?
Christ: Ich bin kein großer GroKo-Fan, aber ich sehe die Risiken, die für die Sozialdemokratie und unsere Demokratie in diesem Land entstehen, wenn wir, die Delegierten diesem Vorschlag nicht zustimmen. Und in der Abwägung dieser Argumente bin ich für ohne Wenn und Aber klar die Bildung eines Beginns von Koalitionsverhandlungen und möglicherweise die Bildung einer Großen Koalition, weil es geht um Stabilität, um eine stabile Regierung in unserem Land. Das ist vor allem das, was die Wirtschaft auch interessiert: Planungssicherheit.
Heuer: Die Bürger interessieren sich ja auch für das, was ihnen im Wahlkampf versprochen wurde, nämlich dass sie mehr Geld im Portemonnaie behalten. Nun haben Union und SPD sich darauf geeinigt, von 100 Milliarden Euro den Steuerzahlern gerade mal zehn Prozent zurückzugeben. Finden Sie das besonders großzügig, Herr Christ?
Christ: Zunächst glaube ich, dass die Bürger da sehr vernünftig sind und bewerten können, dass ein Sondierungspapier noch kein Koalitionsvertrag ist. Erstens! Und zweitens, dass die Bürger auch wissen, dass ein Kompromiss nie bedeutet, dass die eine Seite sich mit Maximalforderungen durchsetzt.
Wir haben den Einstieg in den Ausstieg des Soli. Das möchte ich festhalten mit einer Entlastung von zehn Milliarden für 90 Prozent der Einkommen. Das ist genau das, was Sozialdemokratie auch wollte, dass wir den Einstieg finden. Wir haben die Bekämpfung von Steuerbetrug ganz klar auch als Sondierungspapier-Ergebnis. Wir haben die Abschaffung der Abgeltungssteuer für die Zinserträge. Wir haben keine Steuererhöhungen, ja, aber wir haben auch vor allem, was die Sozialbeiträge angeht, ein Entlastungspapier und investieren immerhin 45 Milliarden in dieser Legislaturperiode zurück. Dieses Programm ist sozialer als das, was eine Jamaika-Koalition hingeschafft hätte.
Heuer: Herr Christ! Aber die SPD hat im Wahlkampf 15 Milliarden Euro Steuerentlastung versprochen, und zwar pro Jahr. Und jetzt bieten Sie zusammen mit der Union ausschließlich beim Soli über vier Jahre ganze zehn Milliarden Euro Steuerentlastung an. Wollen Sie die Wähler verschaukeln?
Christ: Wir haben den Einstieg in den Ausstieg, was den Soli angeht, und wir haben eine Entlastung von 45 Milliarden inklusive Investitionen. Natürlich haben wir es nicht geschafft, Maximalforderungen durchzusetzen, aber es geht ja jetzt darum, eine stabile Regierung zu bilden. Deswegen glaube ich, dass die Wählerinnen und Wähler dieses Ziel jetzt erst mal als wichtiges Ziel erachten.
Heuer: Herr Christ, jetzt sagen Sie das zweite Mal Maximalforderungen. Das klingt so, als hätte die SPD höhere Steuerentlastungen versprochen als die Union und als sei die Union gegen die Abschaffung des Soli gewesen. Da waren sich aber eigentlich doch alle einig. Nur rausgekommen ist in der Sondierung nichts davon.
Christ: Die Sondierung ist ja auch noch nicht der Abschluss. Jetzt müssen wir mal gucken, ob in den Koalitionsverhandlungen noch was geht. Sehr wohl sind die Eckpunkte definiert und ich darf sagen, ein Kompromiss besteht darin, dass keine der Parteien ihre Maximalforderung durchsetzen konnte. Deswegen bin ich mit dem Ergebnis als Basis für Koalitionsverhandlungen zufrieden. Deswegen kann ich nur appellieren an die Delegierten, den Koalitionsverhandlungen jetzt zuzustimmen.
"Wir müssen die Koalitionsverhandlungen abwarten"
Heuer: Herr Christ, wenn es Koalitionsverhandlungen gibt und Sie sagen, da wird dann noch mal gesprochen, und Sie erwähnen noch mal die Maximalforderungen der SPD, klingt das für mich so, als wollten die Sozialdemokraten in möglichen Koalitionsverhandlungen für höhere Steuererleichterungen und für die Abschaffung des Soli kämpfen. Ist das so?
Christ: Nein, so will ich das nicht verstanden wissen. Wie ich es meine, so habe ich es auch gesagt. Die Basis, um jetzt Koalitionsverhandlungen zu beginnen, ist dieser Vorschlag, den wir kennen, und das ist die Basis für Gespräche. Und dann muss man natürlich schauen in der Ausdetaillierung, ob es noch Spielräume gibt, aber das kann natürlich am Ende auch bedeuten, dass es diese Spielräume nicht gibt.
Jetzt müssen wir die Koalitionsverhandlungen abwarten. Wir können nicht voraussetzen, dass in diesen fünf Tagen jetzt schon alles zum Abschluss gebracht worden ist. Das werden jetzt die Gespräche zeigen. Ich habe großes Vertrauen in die verantwortlichen Vorstände und Delegationsteilnehmer der Sozialdemokratie, die an diesen Verhandlungen teilnehmen, dass am Ende auch ein vernünftiges Ergebnis rauskommt.
Heuer: Beim Soli, Herr Christ, ist es ja so, dass die SPD sagt, 90 Prozent der Steuerzahler sollen den gar nicht mehr entrichten. Die zehn Prozent Top-Verdiener, Superreiche, Reiche, die sollen dann aber 90 Prozent davon schultern. Ich glaube, da sprechen wir über 70 Milliarden Euro. Das ist ja kein Pappenstiel.
Deshalb die Frage: Bei welchem Jahreseinkommen beginnt denn für die SPD Reichtum? Für wen gilt denn das? Wer muss denn das bezahlen?
Christ: Es gibt ja zurzeit gesetzlich geregelte Grenzen. Ich hätte mir gewünscht im Ergebnis, dass wir die Grundgrenze für den Einstieg in die Spitzensteuerbelastung etwas erhöhen. Das ist zurzeit als Ergebnis noch nicht erreicht. Ansonsten glaube ich, dass auch die Vermögenden in diesem Land es sich leisten können, einen höheren Beitrag zu leisten.
Heuer: Wer ist vermögend? Beginnt Vermögen bei einem Gehalt von 60.000 Euro im Jahr, oder wo beginnt das für die SPD?
Christ: Bitte, ich lege mich jetzt nicht auf Einkommensgrenzen fest. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Das müssen jetzt einfach die Verhandlungsführer entsprechend besprechen. Vermögende sind auch heute schon im Steuersystem entsprechend aufgrund unserer derzeitigen Steuersystematik stärker belastet, und das ist auch gut so.
Heuer: Aber Ökonomen haben durchgerechnet, wenn die Sondierungsvorschläge kommen, dass dann der Reichtum bei 76.000 Euro brutto beginnt. Würden Sie das teilen? Sind das reiche Menschen, die dieses Jahreseinkommen haben?
Christ: Das würde ich natürlich nicht teilen. Aber Sie müssen natürlich bei einem Steuersystem auch feststellen, dass sich jeweils diejenigen, die betroffen sind, oftmals nie gerecht behandelt fühlen.
Heuer: Aber wenn Sie sagen, das sind keine Reichen, dann würde ich mal vorschlagen, das ist der Mittelstand. Sie belasten also den Mittelstand.
Christ: Es war ja auch vorgesehen und auch von der SPD gewollt, dass wir eine stärkere Entlastung genau dieser Mittelschicht bekommen, der unteren und mittleren Einkommensgruppen.
"Nein, der Mittelstand wird nicht zusätzlich belastet"
Heuer: Aber nun machen Sie das genaue Gegenteil, Herr Christ. Sie belasten den Mittelstand zusätzlich.
Christ: Nein, der Mittelstand wird nicht zusätzlich belastet. Ich bin mit dem Sondierungsergebnis, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, sehr zufrieden.
Heuer: Sie belasten den Mittelstand. Ich bleibe mal dabei, wenn wir uns auf dieses Gehalt von 76.000 einpendeln können. Das sind ja Leute, die sollen 90 Prozent des Soli künftig bezahlen. Sie haben auch erwähnt, Herr Christ, dass Sie die Abgeltungssteuer für Zinserträge abschaffen.
Christ: Ja.
"Ich kann mit diesem Ergebnis wirklich gut leben"
Heuer: Damit bestrafen Sie Sparer, und zwar auch nicht die reichen.
Christ: Wir haben uns auf dieses Kompromisspapier so verständigt und ich möchte jetzt auch die Diskussion nicht weiter aufmachen. Ich glaube, dass dieses Kompromisspapier einiges an guten und wichtigen sozialdemokratischen Punkten findet: gebührenfreie Kita, Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, zum Beispiel die gesetzliche Fixierung des Rentenniveaus, Solidarrente, Klimaschutzgesetz, Investitionshaushalt für die Eurozone, Abschaffung der Abgeltungssteuer. Das ist richtig.
Ich kann mit diesem Ergebnis wirklich gut leben. Es ist natürlich so, dass ein Kompromissvorschlag .
"Deswegen halte ich das wirklich für ausgewogen"
Heuer: Herr Christ, aber die Sparer leben ja nicht gut damit. Ich möchte an dem Punkt noch mal eine Frage stellen. Auf Dividenden aus Aktienverträgen, da erhöhen Sie die Steuern nicht. Da bleibt die Abgeltungssteuer. Und für die Sparer, die jetzt schon keine Zinsen mehr bekommen, da wird die abgeschafft. Das ist eine Steuererhöhung für Leute, die versuchen, ein bisschen Geld fürs Alter anzusparen. Ist das wirklich sozialdemokratische Politik?
Christ: Aber Sie haben es ja eben selbst schon gesagt. Zurzeit ist ja die Ertragsseite für die Sparer aufgrund der leider niedrigen Verzinsung der Sparvermögen, die ja aus anderen Gründen resultiert, mehr als mager, und deswegen ist ja diese Steuerdiskussion jetzt der 25 Prozent erst mal nur hypothetisch.
Entscheidend ist, dass der Einstieg geschafft worden ist und dass die Dividenden jetzt mit 25 Prozent nicht versteuert werden. Viele Sparer sind ja mittlerweile auch, gerade was die Altersversorgung angeht, in Aktien-Sparprodukten, wenn Sie die gesamten Versicherungsverträge und die heutige Welt der Vorsorge auch sehen. Deswegen halte ich das wirklich für ausgewogen.
Heuer: Harald Christ, Schatzmeister des SPD-Wirtschaftsforums, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Christ, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Christ: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.