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Harmlos sind sie keineswegs

Nahrungsergänzungspillen und Schlankmacherpillen - rein pflanzlich. Das hört sich gut an. Doch sie sind nicht so harmlos wie man meinen könnte. "Quick Energy" zum Beispiel - der Ukrainische Kugelstoßer Alexsandr Bagatsch nahm es in gutem Glauben. Als er während der Leichtathletik- WM 1997 getestet wurde, fand man Ephedrin. Das verbotene Dopingmittel stammte aus den Pflanzenextrakten der Fitnesspillen. Dem Sportler wurde darauf hin seine Goldmedaille aberkannt. Doch nicht nur Leistungssportler fallen auf die Werbung für Fitmacher und Schlankheitspillen herein.

Von Kristin Raabe |
    Ephedra ist für Leute, die mehr Energie und Power haben möchten – egal ob für eine lange Nacht oder für mehr Energie im Training. Es entwässert, nimmt das Hungergefühl und verbrennt Fettreserven. Ephedra wird sie nicht enttäuschen.

    So oder so ähnlich werben die Händler im Internet für ephedrinhaltige Schlankheitspillen oder Fitmacher. Dass diese Substanzen oft erhebliche Nebenwirkungen haben können, verschweigen sie in der Regel. Der Pharmakologe Stefan Herzig von der Universität Köln kennt die Wirkung genau:

    Ephedrin ist ein stimulierendes Medikament. Es steht chemisch dem bekannten Adrenalin nahe. Und entfaltet im Körper ähnliche Wirkungen wie das Adrenalin, das Stresshormon, wenn man so will. Es steht aber auch synthetischen Substanzen nahe, mit Metamphetamin, die lange Zeit als Suchtmittel oder früher auch als Appetitzügler eingesetzt worden sind.

    Ephedrin wirkt also wie ein Stresshormon: Es steigert den Blutdruck und kann zu schweren Herzrhythmusstörungen führen. Die amerikanische Zulassungsbehörde führt 80 Todesfälle auf die Einnahme von ephedrinhaltigen Präparaten zurück. Die Nebenwirkungen sind enorm und die erwünschte Wirkung – eine dauerhafte Gewichtsabnahme - bleibt oft aus:

    In den ersten Tagen war das so, dass ich persönlich ziemlich aufgedreht war, auch relativ aggressiv geworden bin, relativ schnell aus der Haut gefahren bin und ich konnte dann auch abends schlecht einschlafen...Die Tablette sollte man zweimal am Tag einnehmen, einmal eine halbe Stunde vor dem Frühstück und dann eine halbe Stunde vor dem Mittagessen. Dazwischen lag dann aber so ein Hungerloch. Wenn man geschafft hat das zu unterdrücken, dann war es in Ordnung. Allerdings hat das Vencipon nicht viel gebracht. Ich habe in einem Monat 4 bis 5 Kilo abgenommen... und natürlich auch schnell wieder zugenommen.

    Die 23jährige Pharmazeutisch technische Assistentin möchte lieber anonym bleiben. Sie hat einen Monat lang den Ephedrinhaltigen Appetitzügler Vencipon eingenommen. Aus den Apotheken ist er seit einigen Monaten verschwunden. Im Internet sind ephedrinhaltige Präparate allerdings immer noch erhältlich. Die Händler werben damit, der Wirkstoff stamme aus einer alten chinesischen Heilpflanze. Ma Huang, Meeresträubel oder Mormonen Tee - hinter all diesen Namen verbirgt sich jedoch nur eine Pflanze, die so genannte Ephedrapflanze. Und pflanzlich bedeutet nicht gleich harmlos, wie Stefan Herzig weiß:

    Die Meinung pflanzliche Inhaltsstoffe seien von Natur aus unschädlich ist weit verbreitet aber genauso falsch. Tatsache ist, dass in unserem Arzneimittelschatz wichtige aber auch sehr gefährliche Substanzen ursprünglich aus der Natur kommen oder immer noch aus der Natur gewonnen werden. Das heißt die Herkunft einer Substanz ob aus der chemischen Retorte oder aus dem Naturreich sagt nichts darüber, ob sie gut verträglich ist oder nicht.

    Wie schädliche der Pflanzeninhaltsstoff Ephedrin ist, dass zeigt eine neue amerikanische Studie, die diese Woche in der Fachzeitschrift JAMA erschien.

    Das Neue und Problematische, was an dieser Studie gezeigt wurde ist, dass es unter dieser Medikation zu einer Störung des elektrischen Erregungsablaufs des Herzens gekommen ist. Wir wissen von anderen Medikamente, die solche Effekte gezeitigt haben, dass sie lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen hervorrufen können. Und eine ganze Anzahl von völlig unterschiedlichen Arzneimitteln ist in den letzten Jahren aus diesem Grunde vom Markt genommen worden.

    Die amerikanischen Ärzte testeten Präparate, die 12 mg Ephedrin enthalten und außerdem 40 mg Koffein, was ungefähr einer Tasse Kaffee entspricht. Koffein kann die Wirkung von Ephedrin noch steigern. Viele im Internet gehandelten Präparate enthalten jedoch ein Vielfaches dieser Mengen. Und das ohne den entsprechenden Beipackzettel. Aber auch in Apotheken hatte Ephedrin letztes Jahr ein Comeback. Bayer brachte das Erkältungsmittel Aspirin Complex heraus:

    Überall sieht man diese Werbung. Es wird ja auch über diese Werbung oft gekauft. Allerdings habe ich dabei nie ein besonders gutes Gefühl, weil auch ziemlich viele Widersprüche vorhanden sind, die mit dem Aspirin Complex einhergehen. Das Pseudoephedrin, was darin enthalten ist und was angeblich gegen Schnupfen helfen soll. Sie haben lediglich das Aspirin da drin, zu 500 mg, das entspricht einer ganz normalen Aspirintablette, die man auch gegen Kopfschmerzen nimmt und pro Beutelchen 30 mg von diesem Pseudoephedrin. Es wird in der Packungsbeilage beschrieben, dass man bis zu 3mal täglich zwei Stück davon nehmen kann. Allerdings liegt bei 120 mg Pseudoephedrin eigentlich schon der kritische Bereich, den man nicht überschreiten sollte. Und das ist eigentlich der Widerspruch, der mich an der ganzen Sache am meisten stört.

    Aspirin Complex enthält so genanntes Pseudoephedrin. Diese Variante des Ephedrins war auch in dem Pflanzenextrakt enthalten, der in der amerikanischen Studie getestet wurde. Ob reines, künstlich hergestelltes Pseudoephedrin harmloser ist als der Ephedrincocktail aus der Pflanze, kann bei dem heutigen Wissensstand niemand so genau sagen. Das ist aber auch gar nicht unbedingt notwendig: Denn selbst die erwünschte Wirkung von Ephedrin und seinen Varianten schätzt der Pharmakologe Stefan Herzig nicht besonders hoch ein.

    Wenn Sie mich nach dem Stellenwert von Ephedrin in der heutigen Medizin fragen, so ist meine Meinung dazu, dass es zwar nachgewiesene Wirkungen von Ephedrin, auf den Kreislauf, auf die Nasenschleimhaut gibt, aber mir wäre keine Indikation bewusst wo es nicht bessere Alternativen unseres Arzneimittelschatzes gäbe, es ist im Grunde eine Altsubstanz, ohne wirklichen Stellenwert.

    Warum also ein Risiko mit ephedrinhaltigen Präparaten eingehen, wenn es effektivere Medikamente gegen Erkältungen gibt.