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Harte Kontraste und unterkühlter Gesang

Mathieu Peudupin war lange Zeit die erfolgreiche Stimme der französischen Punkrock-Band Asyl. Nun versucht sich der 34-Jährige solo als Lescop und serviert atmosphärischen New Wave mit französischen Texten.

Von Marcel Anders |
    "Wenn du 20 bist, ist es O.k., wütend zu sein und wie ein Punk rumzulaufen. Damals war ich ein großer Fan der Toten Hosen, die einen tollen Song namens 'Wir sind bereit' hatten. Aber mittlerweile sind sie zu lächerlichen Disney-Rockern geworden. Denn dieses blöde Rumgeschreie muss mit 50 nun wirklich nicht mehr sein – weil man wie ein Idiot rüberkommt. Deshalb kann ich nur sagen: Hört auf damit und seid endlich ihr selbst."

    Starke Worte von einem starken Typen. Lescop ist groß, hager, trägt einen militärischen Kurzhaarschnitt, hat ein offenkundiges Faible für Deutschland und steht politisch eher links. Zuhause ist er in einem Vorort von Paris, in dem Arbeitslosigkeit, Drogenkriminalität und ethnische Konflikte an der Tagesordnung sind. Ein beklemmendes urbanes Lebensgefühl, das der 34-Jährige mit einer Mischung aus New Wave, Post-Punk und klassischem Chanson einfängt. Und sich dabei auf Künstler wie Etienne Daho, Taxi Girl oder Indochine bezieht, die diesen Ansatz bereits in den 80ern verfolgten. Und – genau wie er – ausschließlich auf Französisch singen.

    "Das ist eine bewusste Entscheidung. Sie steht dafür, dass ich versuche, ich selbst zu sein. Und Sachen zu machen, die mir wirklich etwas bedeuten – aber auch anderen als Vorbild dienen können. Eben, indem sie sagen: 'Ich will ebenfalls auf Französisch singen – weil ich das genauso gut hinkriegen will, wie Lescop.' Was eine tolle Idee ist. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, aber es ist zumindest ein gutes Ziel. Ich meine, eine Menge Amerikaner und Briten haben mir nahe gelegt, dass ich es mal auf Englisch versuche. Aber dagegen wehre ich mich."

    Als Songwriter ist Lescop Biograf und Träumer in einem. Auf seinem Solo-Debüt, das in Frankreich hohe Wellen schlägt, sinniert er über Weltmetropolen wie Tokio oder Los Angeles, in denen er noch nie war. Huldigt Marlene Dietrich, dem Chansonnier Jacques Dutroncs, dem japanischen Schriftsteller Yukio Mishima oder Regisseur Jean Pierre Melville - und schlägt eine Brücke zwischen Musik, Kunst, Film und Dichtung.

    "Ich mag Menschen und Charaktere – egal, ob sie aus Film oder Literatur stammen oder ganz normale Menschen sind. Sie müssen nur existiert haben. Ich bin zum Beispiel ein Fan des Roten Barons. Oder der französischen Flugpioniere. Aber auch von Jessie Owens, der ein großartiger Athlet war. Und ich mag jeden, der nach vorne schaut, klare Vorstellungen hat - und seinen Weg geht. Das finde ich bewundernswert."

    Eine eigenwillige Thematik und ein sphärischer, oft mystischer Düstersound, der seinen Hörer regelrecht gefangen nimmt. Wobei Lescop eigentlich sehr britisch klingt, nicht selten an The Cure oder Joy Division erinnert, und das genaue Gegenteil von französischen Hipstern wie Daft Punk, Air oder Phoenix verkörpert: Er distanziert sich ausdrücklich von eingängigen, elektronischen Tönen zum Tanzen und Abschalten.

    "Ich bin nicht so sehr die Opposition, als vielmehr ein Außenseiter. Denn mit diesen angesagten Leuten habe ich nichts zu tun. Sie kommen alle aus derselben Stadt – nämlich aus Versailles. Und sie sind sogar zur selben Schule gegangen. Ich dagegen stamme aus einer winzigen Kleinstadt. Und die Künstler, in die ich mich als Kind verliebt habe, waren Rock'n'Roll - wie Eddie Cochran. Oder Glam-Rock wie Bowie und T-Rex. Also diese Tradition – aber nicht elektronische Musik. Ich bin nie in Nachtclubs gegangen."

    Wobei Lescop das "anders sein" konsequent auslebt - und seine Musik sogar im künstlerischen Exil produziert. Nämlich im Studio des französischen Duos John und Jehn, das in London residiert und mit einer langen Tradition bricht – beziehungsweise sie schlichtweg umdreht. Denn bislang waren es vor allem britische Künstler wie Jarvis Cocker, Charlie Winston, Marianne Faithful oder Placebo, die nach Paris kamen, um sich inspirieren zu lassen. Jetzt sind es französische Querdenker wie Savages oder Lescop, die in die britische Hauptstadt ausweichen. Und dabei scheinbar noch französischer werden.

    "Es ist schon lustig: Ich arbeite mit Franzosen in England. Und länger im Ausland zu sein, macht dir erst richtig bewusst, wer du bist. Also in deinem Körper, deinem Blut und deinen Knochen. Denn du vermisst deine Muttersprache, deine Kultur. Und Französisch zu singen, während du ansonsten den ganzen Tag Englisch sprichst, ist ein guter Weg, um sich selbst zu finden - als Außenseiter."