Bettina Klein: Wir blicken noch auf den spektakulären Kunstfund am Wochenende, der nicht zuletzt auch juristische Fragen aufgeworfen hat – wie etwa: Ist der Besitz der Kunstwerke rechtswidrig oder rechtmäßig und von welchen Gesetzen aus welcher Zeit sprechen wir dabei? Denn es handelt sich offenbar um in der Nazi-Zeit enteignete oder als entartet beschlagnahmte Gemälde. Darüber haben wir gestern mit Uwe Hartmann gesprochen. Er ist Fachmann, er ist Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin. Mein Kollege Jürgen Liminski hat ihn zunächst mal nach der geltenden Gesetzeslage gefragt.
Uwe Hartmann: Die Rechtslage, soweit ich das beurteilen kann, ist so, dass für einen großen Teil der infrage kommenden Werk- und Fallgruppen Herr Gurlitt schon rechtmäßiger Eigentümer ist. Gleichwohl: aus moralisch-ethischen Gesichtspunkten erscheint uns das vielfach fragwürdig.
Jürgen Liminski: Das Recht ist doch hier in diesem Fall total positivistisch, und das ist ja nicht immer richtig, nur weil eine Mehrheit oder gar eine Diktatur das einmal so festgelegt hat. Wie steht es denn mit den Erben der Künstler? Können die nicht den Besitz für sich reklamieren, sozusagen nach Erbrecht?
Uwe Hartmann: Die Rechtslage, soweit ich das beurteilen kann, ist so, dass für einen großen Teil der infrage kommenden Werk- und Fallgruppen Herr Gurlitt schon rechtmäßiger Eigentümer ist. Gleichwohl: aus moralisch-ethischen Gesichtspunkten erscheint uns das vielfach fragwürdig.
Jürgen Liminski: Das Recht ist doch hier in diesem Fall total positivistisch, und das ist ja nicht immer richtig, nur weil eine Mehrheit oder gar eine Diktatur das einmal so festgelegt hat. Wie steht es denn mit den Erben der Künstler? Können die nicht den Besitz für sich reklamieren, sozusagen nach Erbrecht?
"Da hat zum damaligen Zeitpunkt ein ganz normaler Verkauf stattgefunden"
Hartmann: Nur dann, wenn die Künstler in der damaligen Zeit nicht über den Verkauf dieser Kunstwerke diese in den Bestand der Museen gebracht haben. Da, wo ein ordentlicher Verkauf und das meistens ja schon vor der Zeit des Nationalsozialismus vom Künstler über den Händler oder direkt an das Museum erfolgte, ist das ein gültiges Rechtsgeschäft gewesen, sodass die Nachfahren, die Erben der Künstler, keinerlei Ansprüche haben.
Liminski: Aber bei dem Kunstschatz, um den es sich jetzt hier handelt, hat ja kein Verkauf stattgefunden.
Hartmann: Soweit ich das sehe – ich kann mich nur auf zwei Gemälde beziehen, die in der Reportage von dem Nachrichtenmagazin veröffentlicht wurden -, und da haben wir ein Aquarell von Franz Marc, das wurde beschlagnahmt im Museum in Halle und Gurlitt und drei weitere Kunsthändler wurden mit dem Verkauf beauftragt. Dieses Aquarell hat er dann selbst für sich gekauft, das ist belegt, und insofern ist das eine hoheitliche Aktion des Staates gewesen, auch wenn es eine fürchterliche Diktatur, eine kunstfeindliche Diktatur war. Aber es hat als hoheitliche Maßnahme den Verkauf dieser Bestände durch die Regierung des damaligen Deutschen Reiches gegeben. Da hat zum damaligen Zeitpunkt ein ganz normaler Verkauf stattgefunden, so wie es beispielsweise auch die Sowjetregierung mit Beständen gemacht hat auf dem deutschen und westeuropäischen Kunstmarkt.
Der andere Teil, dieses Matisse-Gemälde, was dort auch abgebildet wurde mit dem jüdischen Sammler Paul Rosenberg, das sehen wir als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut an, also die verfolgten Juden und andere Gegner vom Nationalsozialismus, die keine Eigentumsrechte mehr ausüben konnten im weitesten Sinne. Hier sind zwar auch in der Regel gesetzliche Fristen längst verjährt, aber hier haben wir zumindest für die öffentlichen Einrichtungen die Selbstverpflichtung nach der Washingtoner Konferenz von 1998, hier gerechte und faire Lösungen zu suchen. Das trifft aber für Privatpersonen und für Privatunternehmen nicht zu. Wir appellieren immer wieder, dass auch diese Kreise so verfahren wie die öffentlichen Einrichtungen, aber ich sehe keine Möglichkeit, dieses zu erzwingen.
Liminski: Wie würden Sie überhaupt all diese Kunstwerke bezeichnen? Der Begriff Beutekunst ist ja besetzt. Geht Raubkunst, Verfallskunst?
Hartmann: Für den Teil, der den Verfolgten des Nazi-Regimes abgepresst wurde, in welcher Form auch immer, hat sich der Begriff NS-Raubkunst eingebürgert. Verfallskunst ist ein Kampfbegriff der Nationalsozialisten. Diese als entartet Beschlagnahmten sind für mich weitgehend Meisterwerke der klassischen Moderne.
Liminski: Kunst hat den Charakter der Zeitlosigkeit, Herr Hartmann. Können Gesetze über die zeitlichen Fristen überhaupt untergeordnet werden, also verjähren?
Liminski: Aber bei dem Kunstschatz, um den es sich jetzt hier handelt, hat ja kein Verkauf stattgefunden.
Hartmann: Soweit ich das sehe – ich kann mich nur auf zwei Gemälde beziehen, die in der Reportage von dem Nachrichtenmagazin veröffentlicht wurden -, und da haben wir ein Aquarell von Franz Marc, das wurde beschlagnahmt im Museum in Halle und Gurlitt und drei weitere Kunsthändler wurden mit dem Verkauf beauftragt. Dieses Aquarell hat er dann selbst für sich gekauft, das ist belegt, und insofern ist das eine hoheitliche Aktion des Staates gewesen, auch wenn es eine fürchterliche Diktatur, eine kunstfeindliche Diktatur war. Aber es hat als hoheitliche Maßnahme den Verkauf dieser Bestände durch die Regierung des damaligen Deutschen Reiches gegeben. Da hat zum damaligen Zeitpunkt ein ganz normaler Verkauf stattgefunden, so wie es beispielsweise auch die Sowjetregierung mit Beständen gemacht hat auf dem deutschen und westeuropäischen Kunstmarkt.
Der andere Teil, dieses Matisse-Gemälde, was dort auch abgebildet wurde mit dem jüdischen Sammler Paul Rosenberg, das sehen wir als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut an, also die verfolgten Juden und andere Gegner vom Nationalsozialismus, die keine Eigentumsrechte mehr ausüben konnten im weitesten Sinne. Hier sind zwar auch in der Regel gesetzliche Fristen längst verjährt, aber hier haben wir zumindest für die öffentlichen Einrichtungen die Selbstverpflichtung nach der Washingtoner Konferenz von 1998, hier gerechte und faire Lösungen zu suchen. Das trifft aber für Privatpersonen und für Privatunternehmen nicht zu. Wir appellieren immer wieder, dass auch diese Kreise so verfahren wie die öffentlichen Einrichtungen, aber ich sehe keine Möglichkeit, dieses zu erzwingen.
Liminski: Wie würden Sie überhaupt all diese Kunstwerke bezeichnen? Der Begriff Beutekunst ist ja besetzt. Geht Raubkunst, Verfallskunst?
Hartmann: Für den Teil, der den Verfolgten des Nazi-Regimes abgepresst wurde, in welcher Form auch immer, hat sich der Begriff NS-Raubkunst eingebürgert. Verfallskunst ist ein Kampfbegriff der Nationalsozialisten. Diese als entartet Beschlagnahmten sind für mich weitgehend Meisterwerke der klassischen Moderne.
Liminski: Kunst hat den Charakter der Zeitlosigkeit, Herr Hartmann. Können Gesetze über die zeitlichen Fristen überhaupt untergeordnet werden, also verjähren?
"Rechtsfrieden und Rechtssicherheit ist auch ein hohes Gut"
Hartmann: Für den Juristen ist auch ein Kunstwerk eine Sache wie eine andere auch und insofern gibt es da ja auch dann immer den Gleichbehandlungsgrundsatz. Und auf der anderen Seite, auch das will ich sagen: Nicht nur die Frage der Verhältnismäßigkeit ist hier wichtig, sondern auch Rechtsfrieden und Rechtssicherheit ist auch ein hohes Gut. Und was die Verhältnismäßigkeit angeht: Unser Rechtssystem kennt Verjährungsfristen sogar für Kapitalverbrechen. Wir reden hier vom Besitz von Nachkommen von jenen Kunsthändlern, die sicherlich verstrickt waren in die Verbrechen der Nationalsozialisten, aber da können wir doch nicht sagen, dass jetzt diese Generation persönlich sich schuldig gemacht hat und strafrechtlich verfolgt werden müsste.
Liminski: Muss denn ein neues Gesetz her? Die bisherige juristische Grundlage scheint ja lückenhaft.
Hartmann: Ein neues Gesetz würde, wenn es auch sich auf Privatpersonen beziehen sollte, einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte bedeuten, sicherlich immer zulasten der Verfolgten des NS-Regimes. Aber wir haben beispielsweise in Deutschland auch die Situation: Auf jeder öffentlichen Auktion, wenn ein öffentlich und staatlich bestellter Auktionator tätig wurde oder diese Auktion leitet, in dem Moment, wo der Hammer fällt, sind Sie gutgläubiger Erwerber. Wenn Sie bis dahin nicht Einwände geltend machen von der Gegenseite, dann haben Sie das erworben. Das wird in vielen Fällen zutreffen und jeder Versuch des Gesetzgebers, auch wenn er damit Gerechtigkeit schaffen wollte, wäre dann doch eine Enteignung wieder, und ich glaube, da würden in Deutschland alle zuständigen Gerichte bis in die höchste Instanz dann beschäftigt werden. Ich glaube nicht, welche gesetzgeberische Kammer auch immer dafür zuständig sein sollte, dass man das versuchen würde.
Liminski: Die Lücken sind aber da. Wäre da nicht doch irgendwie eine Regelung Aufgabe der neuen Regierung, also gerade der Großen Koalition, zumal jetzt in Berlin bei der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags auch die Länder mit ihrer Kulturhoheit mit am Tisch sitzen?
Liminski: Muss denn ein neues Gesetz her? Die bisherige juristische Grundlage scheint ja lückenhaft.
Hartmann: Ein neues Gesetz würde, wenn es auch sich auf Privatpersonen beziehen sollte, einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte bedeuten, sicherlich immer zulasten der Verfolgten des NS-Regimes. Aber wir haben beispielsweise in Deutschland auch die Situation: Auf jeder öffentlichen Auktion, wenn ein öffentlich und staatlich bestellter Auktionator tätig wurde oder diese Auktion leitet, in dem Moment, wo der Hammer fällt, sind Sie gutgläubiger Erwerber. Wenn Sie bis dahin nicht Einwände geltend machen von der Gegenseite, dann haben Sie das erworben. Das wird in vielen Fällen zutreffen und jeder Versuch des Gesetzgebers, auch wenn er damit Gerechtigkeit schaffen wollte, wäre dann doch eine Enteignung wieder, und ich glaube, da würden in Deutschland alle zuständigen Gerichte bis in die höchste Instanz dann beschäftigt werden. Ich glaube nicht, welche gesetzgeberische Kammer auch immer dafür zuständig sein sollte, dass man das versuchen würde.
Liminski: Die Lücken sind aber da. Wäre da nicht doch irgendwie eine Regelung Aufgabe der neuen Regierung, also gerade der Großen Koalition, zumal jetzt in Berlin bei der Ausarbeitung des Koalitionsvertrags auch die Länder mit ihrer Kulturhoheit mit am Tisch sitzen?
Selbstverpflichtung für Kunsthandelsverbände
Hartmann: Vielleicht wäre es zumindest sinnvoll, wenn auch dann von politischer Seite noch einmal wieder der Dialog aufgenommen würde, wie er 2007 stattfand, als da insbesondere die Erwartungshaltung der öffentlichen Einrichtungen in Hinsicht auf finanzielle Unterstützung der Provenienzforschung, der Suche nach NS-Raubgut formuliert wurde, oder direkt nach 1998 nach den Washingtoner Prinzipien, als ganz klar gesagt wurde, für die öffentlichen Einrichtungen müssen wir diese Selbstverpflichtung einführen. Vielleicht wäre es ein guter Weg, mit den Verbänden des Kunsthandels – dort gibt es ja auch regelmäßig politische Konsultationen zu anderen Fragen, was EU-Binnenmarkt und EU-verbindliche Regeln angeht -, vielleicht wäre das noch mal ein Gesprächsansatz, ob es möglich wäre, zumindest von den Kunsthandelsverbänden in dieser Richtung auch eine Art Selbstverpflichtung dort einzugehen. Aber ich sage es noch mal: Was das direkte Eigentumsrecht von Individuen, von Privatpersonen angeht, glaube ich nicht, dass man auf der einen Seite Gerechtigkeit schaffen könnte, um dann auf der anderen Seite diese Eingriffe in Grundrechte vorzunehmen.
Klein: …, sagt der Jurist und Kunstforscher Uwe Hartmann zu den jetzt wiederentdeckten Gemälden und den rechtlichen Grundlagen dabei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Klein: …, sagt der Jurist und Kunstforscher Uwe Hartmann zu den jetzt wiederentdeckten Gemälden und den rechtlichen Grundlagen dabei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.