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Hartmann: Im Konsens langweilen wir uns

Sebastian Hartmann wird geliebt und gehasst. Während der Intendant des Centraltheaters Leipzig auf den Ruhrfestspielen in Recklinghausen jüngst mit seiner monomentalen "Krieg und Frieden"-Inszenierung einen großen Erfolg feierte, bleibt das Theater zu Hause leer, weshalb er seinen Vertrag nicht verlängerte.

Sebastian Hartmann im Gespräch mit Alexander Kohlmann |
    Alexander Kohlmann: Herr Hartmann, das erste Mal, dass ich hier war und eine Inszenierung von ihnen gesehen habe, das war eigentlich ein Zufall. Denn ich war geschickt worden vom Deutschlandradio zu einer Premiere von Jürgen Kruse. Und der musste leider zwei Monate davor davon zurücktreten. Und sie hatten dann zwei Monate Zeit, hier den "Nackten Wahnsinn" zu inszenieren. Und was mich damals besonders beeindruckt hat, war nicht nur die Performance auf der Bühne, sondern vor allem auch das, was ich im Zuschauerraum erlebt habe. Das war eher so eine Art Happening. Und sehr viele junge Leute diesen Abend richtig gefeiert haben. Das war wirklich diese Wirkung wie auf einem Sit In. Und auf der anderen Seite gab es wütende Proteste vonseiten des Bildungsbürgertums, von älteren Leuten.

    - Warum meinen sie, polarisiert eigentlich dieses Theater so, was sie machen? Und ist das beabsichtigt?

    Sebastian Hartmann: Also, warum das so ist, das weiß ich nicht. Also, das weiß ich wirklich nicht. Und beabsichtigt ist es schon gleich gar nicht. Man kann ja nicht auf die Probe gehen und sagen, die Szene polarisiert. Das passiert ja ,by the way'. Ich habe vielleicht für mich oft die Erfahrung gemacht, wenn man von sich aus glaubt, möglichst die Wahrheit zu sagen, oder das zu sagen, was einen berührt, dass man da ... Also, es gibt ja so etwas wie den Begriff von bilateralen Beziehungen, mit einer gewissen Eloquenz miteinander umzugehen, Diplomatie zu betreiben. Und ich habe das Gefühl, dass die Kunst dafür ein schlechter Ort ist. Oder das Theater im Allgemeinen. Und merke aus dem Privaten, dass, wenn ich mich direkt äußere, so wie ich das gerade empfinde und denke und fühle, dass das durchaus polarisiert. Anders, als wenn du eben in einem gewissen Konsens arbeitest. Und sagst, das könnte vielleicht den oder den angehen. Sondern, wenn du auf der Probe mit den Künstlern unmittelbar das tust, was du gerade kannst.

    Alexander Kohlmann: Vielleicht können wir es ja mal an einem konkreten Beispiel besprechen. Sie haben ja zuletzt "Krieg und Frieden" inszeniert in Recklinghausen, an sich schon eine monumentale Aufgabe, ein Werk mit weit über 1000 Seiten und, ich glaube, über 200 Charakteren. Und das ist ja relativ begeistert aufgenommen worden von den Kritikern. Vielleicht können sie mal kurz erzählen, wie gehen sie da vor, wenn sie an so einem Wälzer arbeiten und das für die Bühne einrichten?

    Sebastian Hartmann: Lesen, Lesen, Lesen, Lesen, Lesen, Lesen. Das Wichtigste ist, glaube ich, einen inneren Punkt zu finden, wo der Stoff dich berührt, wo du einen Grund findest, das zu machen. Und vor über einem Jahr haben wir uns entschieden, "Krieg und Frieden" zu machen und es passte auf dem ersten Ansatz unglaublich gut in unsere Zeit. Und man hatte das Gefühl, oh, man kann sich mit Europa auseinandersetzen. Also in der Gegenwart wie in der Vergangenheit. Und dann liest man Biografien, man liest viele Interpretationsvorlagen, schaut Verfilmungen. Und nach und nach baut sich dann so ein Gefühl ... Also, man braucht das Ding voll auf dem Teleprompter. Also, wenn man das nicht im Kopf sieht, den Stoff, und nicht den Zugang hat zu den einzelnen Facetten der Geschichte, dann braucht man, glaube ich, gar nicht anfangen mit so einer Arbeit, auch mit so einer schwierigen nicht.

    Alexander Kohlmann: Wie funktioniert denn die Arbeit hier mit dem Leipziger Ensemble? Gibt es da auch Stimmen, die sagen, wir würden gerne auch mal richtig psychologisch spielen, also Schauspieler spielt eine Figur? Oder ist es eher so, was ein bisschen mein Eindruck von außen ist, das da eine relativ große Geschlossenheit herrscht. Und dass ihr auch nach innen doch alle eine Art Gemeinschaft von Menschen bildet, die Theater machen. Das ist jetzt ein Blick von außen, das überträgt sich ganz stark in den Produktionen, die ich gesehen habe.

    Sebastian Hartmann: Also, ich glaube, unsere Stärke hier am Haus ist, dass wir uns im Konsens langweilen oder im kleinsten gemeinsamen Nenner. Und natürlich gibt es viele Schauspieler, die sich hochgradig für Psychologie interessieren, allerdings wage ich zu behaupten, dass man in den Inszenierungen von mir durchaus viel Psychologie lesen kann. Und situative Psychologie, die tief aus der Reflexion des Wesens kommt. Und Figuren, nur eben in anderen Umständen. Und nicht in der plakativen bürgerlichen Küchenpsychologie.

    Alexander Kohlmann: Und werden sie denn dieses Ensemble, das sie sich ja jetzt hier aufgebaut haben, vermissen? Sie haben ja freiwillig gesagt, sie möchten ihre Intendanz in Leipzig nicht fortsetzen. Freiwillig ist ja in dem Betrieb immer so eine Sache, es gab natürlich auch aus der Stadt teilweise kritische Stimmen. Aber werden sie nicht, wenn sie an die Zukunft denken, gerade das vermissen, dass sie hier ein Team haben mit dem sie diese Arbeit begonnen haben? Denn die können sie ja wahrscheinlich nicht alle mitnehmen, wenn sie jetzt als Gastregisseur in Zukunft arbeiten werden?

    Sebastian Hartmann: Also, ich denke, dass das Vermissen sicherlich eine der größten Triebfedern ist, überhaupt, sich künstlerisch äußern zu wollen oder darstellen zu können. Und natürlich werde ich das vermissen, klar. Viele werden es vermissen, aber die Endscheidung war vor einem Jahr so klar, wie sie war. Und ich hatte auch das Gefühl, dass das von vielen Leuten, die hier gemeinsam mit mir, oder die wir hier gemeinsam den Weg gegangen sind, mitgetragen wurde, auch wenn da natürlich ein Stück weit Trauer dabei ist, klar.

    Alexander Kohlmann: Blicken wir mal zurück auf die Intendanz. Ich glaube, man tut ihnen nicht Unrecht, wenn man sagt, dass die Bilanz durchaus durchwachsen ist. Es gibt viele Fans, auch überregional kommen viele Leute nach Leipzig, um dieses Centraltheater zu erleben. Auf der anderen Seite wird es in der Stadt nicht so angenommen, wie es vielleicht angenommen werden könnte. Ich glaube die Auslastungszahlen lagen zuletzt bei etwas über 50 Prozent. Und es gibt hier in der Stadt auch eine rege Debatte. Es gibt Leute, die mögen das gar nicht, was sie hier so tun. Haben sie vielleicht ein paar Leipzigerinnen und Leipziger vergessen während ihrer Intendanz?

    Sebastian Hartmann: Schwer, das so pauschal zu beantworten. Also unser Spielzeitplan und Theater funktionieren ja nicht alleine über meine Person. Es ist allerdings so, und das war mit Sicherheit auch ein Grund, warum ich mich entschieden habe, hier nicht weiter zu machen, wenn das Theater ununterbrochen über den Namen Sebastian Hartmann reflektiert wird, dann tut man dem Theater einfach unrecht und auch dem Ensemble und den vielen Künstlern, die hier arbeiten. Ich denke, dass wir ein sehr opulentes Stadttheaterprogramm hier machen, mit sicherlich einer eigenen Handschrift. Ich finde das wichtig, dass sich viele Leute über das Theater beschweren. Worüber wird sich überhaupt noch beschwert? Die Zahlen, auch wenn da mantramäßig von geredet wird, dass die bei uns irgendwie schlechter geworden sind. Sie sind nicht schlechter geworden, sie sind stabil und sind vielleicht einen Tuck weit besser als die meines Vorgängers. Es ist unglaublich wichtig, dieses Theater Leipzig oder den Theaterstandort Leipzig in einem bestimmten Kontext zu sehen. Und zwar in einem historischen Kontext, dass Leipzig einfach über 50 Jahre verlernt hat, Theater zu schauen. Und dass einige Leute, die sich hier eine Meinung anmaßen, leider unglaublich wenig mit Theater konfrontiert gewesen sind von außerhalb. Das tut ein bisschen weh, aber das ist nicht unsympathisch. Wie, wenn eine EM ist und vor allen Fernsehern die kleinen Nationaltrainer sitzen und sagen, wer aufgestellt werden muss, haben hier viele Bürger in Leipzig durchaus eine Meinung zum Theater und sind dann einer Meinung, was gespielt werden und wie es gespielt werden müsste. Das erschreckt einen Künstler jetzt nicht allgemein permanent. Ich bin mit Sicherheit nicht zufrieden damit, dass wir es nicht geschafft haben, was wir uns vorgenommen haben, wesentlich mehr Leute in das Theater zu holen. Ich bin absolut zufrieden damit, dass dieses Theater ein junges Publikum gewonnen hat. Und das ist ein Weg, den ich auch versucht habe, in die Politik hinein zu kommunizieren, dass Leipzig mindestens zehn bis 15 Jahre braucht, um einen gesunden Publikumsstamm aufzubauen.

    Alexander Kohlmann: Ist das Thema Intendanz für den Regisseur Sebastian Hartmann erst mal erledigt? Oder können sie sich vorstellen, sich das noch einmal anzutun?

    Sebastian Hartmann: Ja, das ist tatsächlich so. Das Wort "anzutun" ist - nicht jetzt in der kritischen Reflexion-, also da immer gerne, da hat der Regisseur Sebastian Hartmann auch genügend eingesteckt in den letzten 15 Jahren, seitdem er das macht. Allerdings die private Seite ist tatsächlich brisant. Also, wenn du Intendant bist, dann ist das ein 24 Stunden-Job. Und wahrscheinlich ist das Profil eines Singles, der Managerintendant ist, für eine Theaterleitung irgendwie besser geeignet. Also, ein Familienvater mit vier Kindern, der wirklich eine Beziehung führen möchte, das ist schon hochkompliziert.

    Über Sebastian Hartmann:
    Sebastian Hartmann ist Regisseur und Intendant am Centraltheater Leipzig

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