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Hartz-IV-Debatte
"Das Versprechen der Hartz-Gesetze hat man nicht gehalten"

Die Anreize im Hartz-IV-System seien völlig falsch, sagte Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifikation im Dlf. Ein 1-Euro-Job rechne sich für Arbeitssuchende mehr als eine anspruchsvolle Weiterbildung - ein "Riesennachteil für den Arbeitsmarkt". Zudem sei Hartz-IV "ein sehr teures System".

Gerhard Bosch im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Blick in ein Jobcenter: im Vordergrund das Logo der Bundesagentur für Arbeit, im Hintergrund verschwommen zwei Frauen, die miteinander reden
    Nicht den Hartz-IV-Gesetzen, sondern der "stillen Revolution der Unternehmen in den 90er-Jahren" sei die niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland geschuldet, sagte Soziologe Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen im Dlf (dpa / picture alliance)
    Jochen Fischer: Ist Hartz IV eine Erfolgsgeschichte oder sollte es abgeschafft werden? Diese und andere Fragen kann ich nun mit Gerhard Bosch besprechen. Er ist Professor am Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen. Guten Abend, Herr Bosch!
    Gerhard Bosch: Guten Abend, Herr Fischer!
    Fischer: War denn diese Absenkung der Sozialleistungen, also die Zusammenfassung vor 14 Jahren richtig?
    Bosch: Ich halte sie für falsch, weil der Beschäftigungserfolg der letzten Jahre ist ja nicht darauf zurückzuführen, dann hätte ja der Mindestlohn auch Arbeitsplätze vernichten müssen, war er nicht getan hat, sondern der ist vor allem auf die gute Qualität unserer Produkte, unserer Exportprodukte zurückzuführen, also auf Innovation und Qualifikation, und genau das wurde durch Hartz IV nicht gefördert.
    Fischer: Damals war ja die Zahl der Arbeitslosen extrem hoch, also war die Idee, diejenigen, die längere Zeit ohne Job sind, denen einiges zuzumuten, um sie wieder in Arbeit zu bringen, war das denn so falsch damals?
    Bosch: Es war nicht notwendig, weil wir hatten schon einen riesigen Niedriglohnsektor, der gar nicht bemerkt worden ist. Es gab schon Löhne von drei, vier, fünf Euro, also der Lohndruck existierte, und da noch einen draufzusetzen, das war nicht notwendig. Das Problem bestand vielmehr darin, das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln, und das ist ja dann passiert aufgrund der Innovationen in den 90er-Jahren, und das hat man fälschlicherweise mit den Hartz-Gesetzen in Verbindung gebracht.
    Stille Revolution der Unternehmen in den 90er-Jahren
    Fischer: Also die Unternehmen haben das geschafft?
    Bosch: Ja, ich würde von einer stillen Revolution in Deutschland sprechen – im Vergleich zu dieser offenen Revolution der Hartz-Gesetze. Die stille Revolution hat in den 90er-Jahren stattgefunden. Die Unternehmen haben sich total umgekrempelt, starre Hierarchien wurden abgebaut, sie haben sich neu erfunden, sie sind flexibler geworden. Die flexiblen Arbeitszeiten, also die Vereinbarungen mit den Gewerkschaften, haben eine wichtige Rolle gespielt. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die hat aber dann erst Früchte getragen ein paar Jahre später, und das kam zufällig zusammen mit den Hartz-Gesetzen.
    Fischer: Wenn wir das jetzt mal bilanzieren, soweit man das kann, bringt Hartz IV denn dann gar nichts, bringt es den Menschen gar nicht mehr schneller zurück zur Arbeit?
    Bosch: Na ja, so würde ich das nicht sagen, weil natürlich in den Jobcentern arbeiten sehr viele engagierte Leute. Es wird zum Teil hervorragend vermittelt, es wird mit den Unternehmen kooperiert, also man kann das nicht in Bausch und Bogen verdammen. Aber das Versprechen, dass man Arbeitsmarktleistungen aus einer Hand anbietet, das war ja eigentlich das Versprechen der Hartz-Gesetze, das hat man nicht gehalten. Stattdessen hat man zwei Systeme geschaffen: ein System für die Kurzzeitarbeitslosen bei der Bundesagentur für Arbeit mit besserer Förderung, mit besserer Sicherung des Status, also der Qualifikation, und ein zweites System, das ist sozusagen auch ein zweitklassiges System, mit dem Hartz-IV-System. Dort wird weniger aktiv gefördert, und die Beschäftigten sind auch weniger geschützt.
    Jobcenter hätten "unzureichend qualifiziert"
    Fischer: Nun muss man ja sagen, den ersten Fall, den Sie genannt haben, also das erste System, die Kurzzeitarbeitslosigkeit, das ist ja auch eine Versicherungsleistung, wohingegen Hartz IV ja eine Sozialleistung ist.
    Bosch: Da haben Sie völlig recht, trotzdem muss ja das Interesse unserer Gesellschaft auch darin bestehen, die Betroffenen auch in Hartz IV nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt wieder unterzubringen, und genau das ist im System der Bundesagentur für Arbeit verankert. Da heißt es, wir wollen unterwertige Arbeit vermeiden, wir wollen Engpässe auf dem Arbeitsmarkt verringern, und solche Zielsetzungen finden Sie gar nicht im Hartz-IV-System, da geht es eigentlich um Arbeit um jeden Preis.
    Das schien damals der richtige Konzept, aber inzwischen haben wir einen Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen. Wir haben immer noch zu viel Hartz-IV-Empfänger, auch wenn die Zahl gesunken ist, und das ist ein Riesennachteil auch für den heutigen Arbeitsmarkt, dass in den vergangenen Jahren in diesem Bereich nicht ausreichend qualifiziert wurde, sondern man diese Gruppe auch vernachlässigt hat.
    "Anreize im Hartz-IV-System völlig falsch"
    Fischer: Sie sagen, vermitteln um jeden Preis sei das Motto gewesen, da sind wir ja ganz schnell bei den viel besprochenen Sanktionen, bei Strafmaßnahmen gegen Leute, die gegen die auferlegten Regeln verstoßen. Über diese Sanktionen wird ja zurzeit stark diskutiert, SPD und auch andere, Linke sowieso, wollen sie abgeschafft sehen. Soll das so sein?
    Bosch: Na ja, man wird sie nicht abschaffen können, dann wird es ja auch Leute geben, die das Arbeitslosengeld 2 beziehen und nebenher arbeiten und nicht sanktioniert werden, oder einige bleiben zu Hause und machen sich einen schönen Lenz, während andere sich wirklich anstrengen, um eine Arbeit zu finden. Also ohne Sanktionen geht es leider nicht. Aber wir haben natürlich sehr scharfe Sanktionen gegen die Jugendliche, denen wird zum Teil auch der Wohnzuschuss gestrichen, und diese Gruppe in die Obdachlosigkeit im Extremfall zu treiben, das macht wirklich keinen Sinn. Wir müssen viel stärker fördern, also weggehen von dem Druck bei der Vermittlung auch auf die aktive Förderung, etwa von Weiterbildung, und das muss auch finanziell attraktiv gemacht werden. Da gibt es ja Vorschläge, dass man ein Unterhaltsgeld einführt, wenn einer an einer zweijährigen oder dreijährigen Weiterbildung mit einem Berufsabschluss teilnimmt, und das halte ich für sinnvoll, weil heute sind die Anreize im Hartz-IV-System völlig falsch. Sie bekommen mehr Geld, wenn Sie in einem 1-Euro-Job arbeiten, aber nicht, wenn Sie an einer anspruchsvollen Weiterbildung teilnehmen.
    "Hartz-IV-System ist ein sehr, sehr, sehr teures System"
    Fischer: Diese Finanzierung, die Sie da ansprechen, können wir uns das leisten?
    Bosch: Natürlich können wir uns das leisten. Es wird ja übersehen, das Hartz-IV-System ist ja kein billiges System, es ist ein sehr, sehr, sehr teures System. Viele sind lange in diesem System, und es rechnet sich, auch wenn man eine teure Qualifizierungsmaßnahme von zwei, drei Jahren bezahlt, wenn die Betroffenen anschließend aus dem Leistungsbezug rauskommen. Wir haben ja über eine Million Langfristarbeitslose, die schon viele Jahre im Leistungsbezug sind, die in der Vergangenheit, als man noch die Chance hatte, nicht gefördert worden sind. Langzeitarbeitslosigkeit ist teuer, und Förderung ist teuer kurzfristig, aber langfristig zahlt sie sich aus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.