Geschlossene Tafeln, Extrakosten etwa durch Masken – besonders Bedürftige haben es in der Pandemiezeit besonders schwer. Ein breites Bündnis aus 36 Gewerkschaften und Sozialverbänden hat sich am Montag (25.1.2021) zu Wort gemeldet: Es drängt auf zügige Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze und Alters-Grundsicherung – auf mindestens 600 Euro pro Monat – und auf zusätzliche Hilfen für arme Menschen.
Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) hat am Freitag dauerhaft vereinfachte Verfahren bei Grundsicherung und höhere Zuschüsse angekündigt, allerdings muss das Bundeskabinett noch über diese Pläne verhandeln.
CDU-Sozialpolitiker wehrt Kritik ab
CDU-Sozialpolitiker Peter Weiß sieht jedoch keinen Grund, am bestehenden System der Grundsicherung zu rütteln. "ich rate dringend dazu, sich an das bewährte und vom Bundesverfassungsgericht ja auch als solches bestätigte System der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu halten", sagte er im Dlf-Interview. Die Sätze seien erst zum 1. Januar neu festgelegt worden. Durch willkürliche Erhöhungen gehe das System kaputt.
Der Lohnabstand zu jenen Menschen, die arbeiten gingen, müsse erhalten bleiben, forderte Weiß und verlangte Beweise "auf Heller und Pfennig", dass die Lebenshaltungskosten gestiegen seien. Bei Corona-bedingten Zusatzbedarfen wie der Maskenpflicht signalisierte er allerdings Entgegenkommen: Dort könne er sich ein Gutscheinsystem vorstellen, ähnlich dem für Über-60-Jährige.
Weiß verteidigte die Krisenpolitik der Großen Koalition. Diese habe Milliardenbeträge in die Hand genommen, etwa beim Kurzarbeitergeld, um Arbeitnehmer abzusichern, um soziale Infrastruktur zu erhalten, den Zugang zu Arbeitslosengeld II zu erleichtern sowie um Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen offenzuhalten. "Es ist uns in dieser Pandemie bislang relativ gut gelungen, dass das soziale Netz in Deutschland weiter gut funktioniert", so seine vorläufige Bilanz.
Oxfam-Bericht zu sozialer Ungleichheit
Ebenfalls am Montag (25.1.2021) hat die Hilfsorganisation Oxfam ihren Bericht "Das Ungleichheitsvirus" über weltweite soziale Ungleichheit vorgestellt. Diese droht demnach zur Zeit der Corona-Pandemie zum ersten Mal seit über einem Jahrhundert wieder anzusteigen. Betroffen sind laut Oxfam vor allem Geringqualifizierte, Geringverdiener, Frauen, People of Color und Kinder, Menschen im globalen Süden mehr als im Norden. Die Organisation hat 295 Wirtschaftsforscherinnen und –forscher aus 80 Ländern befragt. 87 Prozent erwarten eine Zunahme oder einen starken Anstieg der Einkommensungleichheit.
Arme Menschen könnten laut Oxfam mehr als zehn Jahre brauchen, bis sie die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verwunden haben, die 1.000 reichsten Menschen der Welt hingegen nur neun Monate. Die zehn reichsten Menschen weltweit konnten ihr Vermögen demnach sogar um fast eine halbe Billion US-Dollar steigern.
Für Deutschland sieht der Befund ähnlich aus, zu den Gewinnern zählen etwa der Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz (Lidl), Schraubenfabrikant Reinhold Würth sowie die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt. BMW steht in der Kritik, weil es seinen Aktionären trotz Kurzarbeit für die Mitarbeiter eine Dividende für 2020 auszahlte.
Für mehr soziale Gerechtigkeit schlägt Oxfam vor, reiche Länder, Unternehmen und Privatpersonen stärker in die Pflicht zu nehmen, um öffentliche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung zu fördern. Unternehmen sollten nicht nur nach Gewinn streben, sondern auch nach mehr Gemeinwohl, etwa auf faire Lieferketten achten.
Arme Menschen könnten laut Oxfam mehr als zehn Jahre brauchen, bis sie die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verwunden haben, die 1.000 reichsten Menschen der Welt hingegen nur neun Monate. Die zehn reichsten Menschen weltweit konnten ihr Vermögen demnach sogar um fast eine halbe Billion US-Dollar steigern.
Für Deutschland sieht der Befund ähnlich aus, zu den Gewinnern zählen etwa der Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz (Lidl), Schraubenfabrikant Reinhold Würth sowie die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt. BMW steht in der Kritik, weil es seinen Aktionären trotz Kurzarbeit für die Mitarbeiter eine Dividende für 2020 auszahlte.
Für mehr soziale Gerechtigkeit schlägt Oxfam vor, reiche Länder, Unternehmen und Privatpersonen stärker in die Pflicht zu nehmen, um öffentliche Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung zu fördern. Unternehmen sollten nicht nur nach Gewinn streben, sondern auch nach mehr Gemeinwohl, etwa auf faire Lieferketten achten.
Das Interview im Wortlaut:
Engels: 36 Gewerkschaften und Sozialverbände fordern eine schnelle Aufstockung der Hartz-IV-Regelsätze von derzeit 446 auf 600 Euro im Monat. Gleiches soll auch für die Grundsicherung gelten. Dazu verlangen sie 100 Euro extra Corona-Zuschlag pro Monat für die Ärmsten, solange die Pandemie vorherrscht. Gehen Sie da mit?
Weiß: Das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung, das ist kein Willkürsystem, wo man einfach was drauflegen kann, sondern das wird sehr genau ermittelt nach einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, und danach werden die Regelsätze festgelegt. Das haben wir jetzt gerade zum 1. Januar neu gemacht und wenn wir uns daran nicht halten, glaube ich, würden wir für eine große Verunsicherung sorgen, zumal dieses System ja aus Steuern finanziert werden muss. Das heißt, ich muss auch immer gucken, dass ich einen gewissen Lohnabstand halte zu denjenigen, die arbeiten gehen können und mit ihrem Geld die Steuern bezahlen, aus denen das System bezahlt wird. Einfach so mal über den Daumen gepeilt kann man nicht die Regelsätze erhöhen.
"Das Schulessen haben wir geregelt"
Engels: So argumentieren aber die Sozialverbände und Gewerkschaftsvertreter nicht. Sie schauen auf die Lebenshaltung, die durch die Pandemie deutlich teurer geworden sei, und das auch schon länger, und da würde der frische Zuschlag, der ja seit Jahresanfang in Kraft trat, nicht reichen.
Weiß: Dann soll man das bitte mal genau auf Heller und Pfennig beweisen, zumal wir ja eine insgesamt niedrige Inflationsrate haben. Ein anderes Thema ist, sich noch mal genau anzuschauen, ob es Corona-bedingt, Stichwort Maskenpflicht, Zusatzbedarfe gibt. Das wollen wir in dieser Woche auch machen. Aber ich rate dringend dazu, sich an das bewährte und vom Bundesverfassungsgericht ja auch als solches bestätigte System der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zu halten und nicht alle Jahre so über den Daumen gepeilt mal schnell irgendwo 100 Euro drauflegen oder nicht. Dann ist das System kaputt.
Engels: Nun gilt aber – Sie haben es angesprochen – die verschärfte Maskenpflicht ab heute in vielen Bundesländern. Sie wollen aber erst beraten, ob man beispielsweise für die ja zum Teil erheblich höheren Kosten Hartz-IV-Empfängern etwas mehr Geld geben soll. Dazu kommen, so argumentieren die Gewerkschaften und Sozialverbände, wegfallende Schulessen, geschlossene Tafeln, steigende Lebenshaltungskosten, Mehrausgaben zum Beispiel auch für Desinfektionsmittel. Das sind doch alles greifbare Punkte.
Weiß: Nein. Genau das Schulessen haben wir geregelt. Die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket gibt es normalerweise nur bei einer Gemeinschaftsverpflegung. Wir haben extra Corona-bedingte Sonderregelungen eingeführt, dass dieses Schulessen auch dann mitfinanziert wird, wenn es keine Gemeinschaftsverpflegung gibt. Und bei den Masken könnte ich mir durchaus vorstellen, dass wir vielleicht das gleiche machen wie bei den über 60jährigen. Denen haben wir ja einen Gutschein zugesandt, mit dem sie bei einer geringen Eigenbeteiligung in den Apotheken die Masken abholen können. So etwas könnte man sich meines Erachtens auch bei Empfängern von Arbeitslosengeld II vorstellen.
Engels: Wäre es aber auch nicht ein wichtiger Beitrag gerade für die Kinder aus sozial benachteiligten Familien, wenn man jetzt relativ bürokratiearm hier einen Zuschlag gewährt, weil dort zum Beispiel noch kein Laptop für den Digitalunterricht vorhanden ist, hier unbürokratisch schnell auf diesem Weg zu helfen?
Weiß: Auch im Rahmen des Digitalpakts haben wir ja geregelt, dass wir hier mithelfen. Und wenn ich das mal erwähnen darf: Für mich ist das Tablet, um am Digitalunterricht teilzunehmen, Teil der Grundausstattung von Schülerinnen und Schülern, und da gibt es klare Regeln, nämlich dass das Lernmittel sind, die gefälligst von den Ländern und den Schulträgern zur Verfügung zu stellen sind. Also bitte doch auch die in die Verantwortung zu nehmen, die dafür verantwortlich sind.
Engels: Wie steht es denn mit der Forderung, die auch aufgestellt wird, noch einmal eine Zeit lang Kündigungen auszusetzen, wenn Mieter aus sozial schwächeren Familien wegen der Corona-Pandemie in Rückstand geraten?
Weiß: Wir haben ja Regelungen dazu getroffen, die, glaube ich, auch ganz sinnvoll sind. Im Übrigen ist es natürlich auch eine Sorge der Träger vor Ort, auch der Städte und Gemeinden, für die Wohnraumversorgung gerade auch einkommensschwacher Familien zu sorgen, und da sind ja auch die Jobcenter hilfreich. Ich glaube, das sind auch Fragen, die vor Ort ganz gut und ganz sinnvoll zu regeln sind und die jetzt nicht der Bundesgesetzgeber regeln muss. Im Übrigen sind ja auch für die Kosten der Unterkunft, also für die Miete, die Land- und Stadtkreise zuständig und nicht der Bund. Wir haben ja bei der Grundsicherung ein gespaltenes System: Hilfe zum Lebensunterhalt, ja, Sache des Bundes; Kosten der Unterkunft, Sache der Kommunen vor Ort.
"Milliarden-Beträge in die Hand genommen"
Engels: Aber im Frühjahr hatte man ja mal eine solche Regelung getroffen, und zwar auf Bundesebene, dass Kündigungen erst mal nicht möglich sein sollten. Warum knüpft man da nicht noch mal an?
Weiß: Wir werden ja in den kommenden Tagen darüber jetzt auch im Bundestag und zwischen den Koalitionspartnern reden, welche Corona-bedingten Sonderregelungen wir eventuell noch einmal verlängern. Bislang liegen uns keine Erkenntnisse vor, dass es im größeren Umfang zu Kündigungen ausgerechnet bei Beziehern von Arbeitslosengeld II und Grundsicherung gekommen sei.
Engels: Nun ist es ja so, dass all diese Maßnahmen, die derzeit in die Hand genommen werden – Sie sprechen es an -, ohnehin die Neuverschuldung angeschoben haben. Die Wirtschaft, der Kulturbetrieb, der Sport, viele andere Gruppen profitieren davon. Muss man für die sozial Benachteiligten da noch mal Extraregelungen schaffen, oder sehen Sie das alles abgedeckt?
Weiß: Ich weiß nicht, was ich von solchen Vergleichen halten soll. Wir haben Milliarden-Beträge in die Hand genommen, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land abzusichern, um die soziale Infrastruktur zu erhalten. Ich will einfach mal das Kurzarbeitergeld erwähnen, was ja umfangreich genutzt wird und mit dem Kündigungen vermieden werden. Wir haben den erleichterten Zugang beim Arbeitslosengeld II geschaffen. Das kostet den Bund ja auch Geld. Und zum dritten: Wir haben sehr viel Geld in die Hand genommen, um die soziale Infrastruktur zu erhalten, zum Beispiel mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, also die Beratungsstellen, die Einrichtungen für Menschen mit besonderen Hilfebedarfen und so weiter. Ich finde, es ist uns in dieser Pandemie bislang relativ gut gelungen, dafür zu sorgen, dass das soziale Netz in Deutschland weiter funktioniert und dass vor allen Dingen auch die sozialen Dienste und Einrichtungen ihre Arbeit tun können, und das ist bei allem, was die Pandemie uns an Opfern abverlangt, doch eine große Leistung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.