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Vor 20 Jahren vorgestellt
Die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform

Für viele ist der Name Peter Hartz verknüpft mit einer Politik der sozialen Härte. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte eine Kommission unter Vorsitz des Ex-VW-Managers Vorschläge für Arbeitsmarkt-Reformen erarbeiten lassen. Heute vor 20 Jahren stellte sie ihre umstrittenen Ergebnisse vor.

Von Monika Köpcke | 16.08.2022
Peter Hartz (links im Bild) am 16. August 2002 in Berlin bei der Übergabe einer CD mit dem Bericht,, der nach ihm benannten Kommission an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder
Hartz (l.) bei der Übergabe des Berichts der nach ihm benannten Kommission (picture alliance )
"Heute ist ein schöner Tag für die Arbeitslosen in Deutschland. Wir haben in der Kommission einstimmig alle Eckpunkte beschlossen und kommen hiermit zu einem Konzept, wie wir die Arbeitslosigkeit um zwei Millionen reduzieren wollen."
Berlin, 16. August 2002: Während einer Feierstunde im Französischen Dom überreichte Peter Hartz den über 300 Seiten dicken Abschlussbericht seiner Kommission. Ihr Name: „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“.

Hartz' Coup als VW-Personalvorstand 

Bundeskanzler Schröder hatte sie ins Leben gerufen, um neue Wege aus der Arbeitslosigkeit zu finden. 15 Mitglieder hatte die Kommission: Sie kamen aus großen Unternehmen, den Gewerkschaften, der Landes- und Kommunalpolitik oder der Wissenschaft. Doch ihr prominentester Vertreter war Peter Hartz. Mit viel Kreativität hatte er in den 90er-Jahren bei Volkswagen einen großen Stellenabbau verhindern können. Nun sollte er ein ganzes Land umkrempeln:

„Herr Bundeskanzler, wir haben hier die Zukunft für zwei Millionen Arbeitslose konzipiert. Ich wünsche Ihnen und uns viel Erfolg, dies umzusetzen. Vielen Dank.“

Rot-Grün wollte sich als Modernisierer profilieren

Eigentlich sollte die Kommission nur Vorschläge für die Modernisierung der Bundesanstalt für Arbeit machen, nachdem diese wegen gefälschter Vermittlungsbilanzen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Doch mit der Zeit weitete sich ihr Aufgabenbereich auf den gesamten Arbeitsmarkt aus. Ganz im Sinne der rot-grünen Bundesregierung, die sich als Modernisierer profilieren wollte. Der deutschen Wirtschaft ging es damals nicht gut, und der schon lange als verkrustet geltende Arbeitsmarkt wurde zum Sündenbock für die Flaute gemacht. Klaus Barthel saß damals für die SPD im Bundestag:
„Eines der Hauptargumente war ja immer, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands reicht nicht, und Wettbewerbsfähigkeit wurde damals so dekliniert, dass unter den Bedingungen der Globalisierung wir nicht besser sein müssen als andere, sondern vor allen Dingen billiger sein müssen, und dass deswegen die Sozialsysteme, die Löhne sinken müssen, die Kosten sinken müssen.“


„Ich-AGs“ und Mini-Jobs

Gut vier Millionen Menschen waren im Jahr 2002 ohne Arbeit, ein Drittel von ihnen langzeitarbeitslos. Vier Reformpakete sollten nun den Arbeitsmarkt auf Trab bringen: Personal-Service-Agenturen sollten die Leiharbeit fördern, „Ich-AGs“ und Mini-Jobs die Schwarzarbeit eindämmen, Arbeitsvermittler wurden zu Fallmanagern. Ihre Aufgaben, die sich bislang auf Arbeits- und Sozialamt verteilten, sollten in lokalen Jobcentern gebündelt werden. Und in deren Fluren sollte ein neuer, kälterer Wind einziehen - Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Feierstunde im Französischen Dom:
„Niemandem aber wird künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt - und wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern - der, meine Damen und Herren, wird mit Sanktionen rechnen müssen.“

Arbeitslosengeld II - vulgo „Hartz IV“

Vor allem die vierte Stufe der Reformen, die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stieß auf viel Kritik. Denn der Regelsatz des neuen Arbeitslosengeldes II - umgangssprachlich „Hartz IV“ - wurde nach einem Jahr ohne Arbeit pauschal auf 345 Euro festgelegt, egal, was und wie lange jemand vor dem Jobverlust gearbeitet hatte. Und dieses Geld konnte bei Versäumnissen noch weiter gekürzt werden. Ein Betroffener:
„Man muss teilweise acht bis neun oder zehn Bewerbungen machen, aber das schafft man halt nicht jeden Monat. Wenn man es nicht schafft, kann es passieren, dass man Sanktionen kriegt, wird das Geld gekürzt.“

Adieu Hartz IV

Damit ist seit Mai 2022 Schluss: im Vorgriff auf das geplante Bürgergeld hat die Bundesregierung die Sanktionsregelungen schon jetzt weitgehend außer Kraft gesetzt.

Im Laufe der letzten 16 Jahre hat sich die Arbeitslosenquote in Deutschland mehr als halbiert. Experten sind allerdings uneins, welchen Anteil die Hartz-Reformen daran haben. Die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse konnten sie auf jeden Fall nicht verbessern: Immer mehr Menschen arbeiten in Teilzeit oder haben einen Minijob. Und fast jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland kommt trotz Vollzeit nur auf einen sehr niedrigen Monatsverdienst