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Haseloff zum Integrationsgesetz
"Sonst verlieren wir die Akzeptanz der Menschen"

Reiner Haseloff sieht im geplanten Integrationsgesetz "die richtigen Schwerpunkte gesetzt". Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt fordert aber eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration. "Wenn wir kommunale Aufgaben nicht mehr erfüllen können, verlieren wir die Unterstützung der Menschen", sagte er im Deutschlandfunk.

Reiner Haseloff im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU).
    Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). (imago / Simone Kuhlmey)
    "Das Gesetz ist sehr gut formuliert und hat die richtigen Schwerpunkte gesetzt", sagte Reiner Haseloff. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt verwies zugleich auf ein Problem: "Dort wo Arbeit ist, ist Wohnraum knapp." Die Wohnsitzauflage für Flüchtlinge, die vor allem Hilfsorganisationen kritisieren, könne man für die Integration in den Arbeitsmarkt nutzen, so der CDU-Politiker. "Flüchtlinge müssen Anforderungen erfüllen. Das Gesetz ist auf der richtigen Seite." Die Unterbringung der Menschen an Orten mit Arbeitsplätzen müsse befördert werden.
    Haseloff stellte die Finanzierung der Integration zur Debatte. "Das Hauptthema wird für uns sein, dass der Bund sich mehr an den Kosten der Integration beteiligt." Eine Kommunalisierung der Integrationsarbeit sei nicht zu bewältigen, so Haseloff. "Es kann nicht sein, dass kommunale Aufgaben nicht mehr realisiert werden können. Die Integration ist eine gesamtstaatliche Verpflichtung." Der Bund müsse sich daher mit "mindestens 50 Prozent" an den Kosten beteiligen. "Ansonsten verlieren wir die Akzeptanz der Menschen."

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon ist jetzt Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Er gehört der CDU an. Guten Morgen, Herr Haseloff.
    Reiner Haseloff: Guten Morgen.
    Klein: Wir haben ein paar Stichworte jetzt gehört aus dem Gesetz. Ist damit jetzt alles auf gutem Wege, was die Integration von Flüchtlingen in Deutschland angeht?
    Haseloff: Ich glaube, das Gesetz ist erst mal sehr gut formuliert und hat auch die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Auf der anderen Seite ist es natürlich klar, dass die Länder, die das ja umsetzen müssen mit den Kommunen, in die Lage versetzt werden müssen, das auch finanziell insgesamt zu tragen. Das heißt, das Hauptthema wird natürlich für uns auch sein, dieses Gesetz damit zu verbinden, dass es eine finanzielle Entlastung der Aufwendungen für die Länder gibt. Das heißt, der Bund muss sich deutlich mehr an den Integrationskosten und Leistungen beteiligen wie bisher.
    Klein: Dazu kommen wir gleich noch, was die Finanzierung angeht. Vielleicht noch mal auf einzelne Punkte: Die Länder sind ja jetzt etwa gefragt, wie sie das mit der Wohnsitzauflage etwa umsetzen. Das ist ja offenbar in deren Belieben gestellt. Wie werden Sie das in Sachsen-Anhalt regeln?
    "Es ist entscheidend, dass die Integration über den Arbeitsmarkt erfolgt"
    Haseloff: Jedes Land hat eine bestimmte Integrationsmöglichkeit. Das heißt, wir haben auf der einen Seite ein bestimmtes Volumen an Wohnraum. Auf der anderen Seite ist es ja entscheidend, dass die Integration über den Arbeitsmarkt erfolgt. Das heißt, dass wir wirklich Ausbildung und Jobs zur Verfügung stellen können. Und genau das ist das Problem, dass oft dort, wo Arbeit da ist, auch Wohnraum knapp ist, denn es ist so: Wo Arbeit angeboten werden kann, ist die wirtschaftliche Entwicklung so, dass Integration dann auch funktionieren kann. Es wird also sehr stark davon abhängen, dass wir genau diese Korrelation zum Tragen bringen. Das heißt, dass wir versuchen, an den Stellen, wo auch Arbeitsmöglichkeiten da sind, noch mal die Unterbringungsdinge versuchen zu befördern, auch durch Investitionen der Wohnungsgesellschaften und Ähnliches. Zumindest steht fest, dass wir diese Wohnsitzauflage für uns dahingehend auch nutzen wollen, dass wirklich dann eine Integration in den Arbeitsmarkt erfolgt, und deswegen brauchen wir diesen Spielraum innerhalb des Landes, darüber selber verfügen zu können.
    Klein: Ich würde gern noch mal auf ein paar Stimmen der Kritiker eingehen. Pro Asyl, die Flüchtlings-Hilfsorganisation sagt bereits, das Gesetz bedient rechte Stimmungen in Deutschland, indem man suggeriert, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Die AfD hat bei Ihnen in Sachsen-Anhalt ja 24 Prozent der Stimmen bekommen. Sind Sie ganz einverstanden damit, dass man auf diese Wähler zugeht?
    Haseloff: Es geht gar nicht jetzt um diese Wähler, sondern es geht darum, dass wir Integration erfolgreich gestalten. Und da haben wir Erfahrungen über viele, viele Jahre, wie man so etwas macht, und ich glaube, die Instrumente, die jetzt im Gesetz mit angeboten werden, sind aus der Erfahrung heraus entwickelt worden. Und es muss auch klar sein, dass diejenigen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, eine gute Dauer- und Bleibeperspektive haben, dass die die gleichen Anforderungen erfüllen müssen wie auch jeder Hartz-IV-Empfänger bei uns. Ich sehe in diesem Gesetz eigentlich nichts anderes, was sowieso schon im Sozialgesetzbuch II für jeden Langzeitarbeitslosen gilt, und ich denke mal, auch die Gleichbehandlung von bisher in Deutschland schon lebenden Langzeitarbeitslosen und denen, die wir integrieren wollen, ist eine Grundvoraussetzung, dass die Bevölkerung diese Integrationsaktivitäten auch mitträgt und dass wir genau das vermeiden, nämlich dass es politisch instrumentalisiert wird, wenn es darum geht, dieses Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen.
    Integrationschancen mit Wohnraum maximieren
    Klein: Herr Haseloff, kurz dazwischen gesagt. Wir haben eine nicht allzu gute Telefonleitung erwischt. Ich darf Sie bitten, mal ganz direkt in den Hörer, ins Telefon hineinzusprechen, damit wir Sie auch gut verstehen können. - Ich würde gern bei dem Argument bleiben. Pro Asyl sagt, es behindert die Integration, wenn man Menschen an einen bestimmten Wohnort zwingt. Das hat eine desintegrative Wirkung und ist eine Art Etikettenschwindel. Was sagen Sie?
    Haseloff: Ganz klar sage ich dazu, dass wir ja keinen zwingen, sondern dass wir versuchen, die Integrationsmöglichkeiten so maximal wie möglich zum Tragen zu bringen. Das heißt, wir wissen am besten, wo sind die freien Stellen, was gibt der Arbeitsmarkt her und wo können wir die Empfehlungen am besten so formulieren, dass auch mit einem Wohnraum eine Integrationsmöglichkeit verbunden wird und damit auch die arbeitsmarktlichen Integrationschancen wirklich maximiert werden. Ich sage ganz klar, das sind Erfahrungen, die wir haben, und die wollen wir auch diesen Menschen, die zu uns gekommen sind, zu Nutze machen. Deswegen ist dieses Gesetz auf der richtigen Seite auch formuliert worden.
    Klein: Sie selbst haben gesagt, 11.000 Flüchtlinge im Jahr, mehr ist an sinnvollen Integrationsmaßnahmen in Ihrem Bundesland, in Sachsen-Anhalt überhaupt nicht drin. Wo sind Sie denn angelangt jetzt?
    Haseloff: Wir sind noch ganz am Anfang in allen Bundesländern. Wir haben noch längst nicht die Quoten, die wir erfüllen könnten. Deswegen brauchen wir dieses Integrationsgesetz ja auch. Auf der anderen Seite: 11.000 für Sachsen-Anhalt heißt übrigens 400.000 pro Jahr in Deutschland. Man muss sich das mal vorstellen, was das für eine Herausforderung ist. Und ich kann nur sagen, mit den Erfahrungen - ich war selber auch lange Zeit Arbeitsamtsdirektor und habe viele, viele Menschen schon in Arbeit gebracht -, mit den Erfahrungen, die wir haben, und diesem Integrationsgesetz und einer guten Entlastung der finanziellen Belastungen der Länder durch den Bund haben wir eine Chance, dieses Problem zu bewältigen. Wenn eine Komponente aus diesem gesamten Paket herausfällt, dann wird es schwierig.
    Bund muss sich deutlich an den Kosten beteiligen
    Klein: Stichwort Finanzen. Sie haben es angesprochen. Was ist denn jetzt noch zu klären, was die Aufteilung der Kosten für die Flüchtlingsintegration angeht?
    Haseloff: Wir haben derzeit bei uns im Landeshaushalt für Flüchtlingsintegration rund fünf Prozent des Gesamtvolumens eingeplant und vorgesehen. Das heißt bei einem Zehn-Milliarden-Haushalt fast 500 Millionen Euro. Davon erhalten wir derzeit vom Bund 100 Millionen rund erstattet. Das reicht nicht! Das heißt, wir können diese Leistungen, die wir da ja auch dauerhaft für die nächsten Jahre erbringen müssen, nur sicherstellen, wenn der Bund sich deutlich beteiligt, mindestens mit 50 Prozent, und genau das muss das Ziel der nächsten Wochen sein, der Verhandlungen mit dem Bund, dass der Bund sich adäquat an diesen Integrationsleistungen beteiligt. Ansonsten haben wir alle keine Chance und dann läuft es darauf hinaus, dass es zu einer Kommunalisierung der Integrationsarbeit kommt, und das werden die Kommunen auf Dauer nicht bewältigen können.
    Klein: Es ist ausgeschlossen, dass die Länder und die Kommunen jetzt selbst mehr Geld in die Hand nehmen dafür?
    Haseloff: Wir nehmen ja schon sehr viel mehr Geld in die Hand. Aber das darf nicht so sein, dass da legitime und originäre Aufgaben der Kommunen nicht mehr realisiert werden können. Das heißt, hier gibt es eine gesamtstaatliche und gesamtnationale Verpflichtung und der Bund muss sich mindestens mit 50 Prozent an den Aufwendungen beteiligen. Ansonsten werden wir die Akzeptanz der Menschen und vor allen Dingen der Kommunen, die das leisten müssen, verlieren.
    "Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir die Realität exakt beschreiben"
    Klein: Herr Haseloff, Sie haben unlängst eine klare Sprache gefordert, konservative Angebote und weniger politische Korrektheit im Zusammenhang mit der ganzen Debatte über die Flüchtlingsintegration. Hat die Bundesregierung denn diese Forderungen bereits umgesetzt Ihrer Meinung nach?
    Haseloff: Ich glaube, dass mit den Formulierungen im Integrationsgesetz klar gesagt wurde, worauf es jetzt ankommt. Alle müssen mitwirken: Diejenigen, die die Flüchtlinge unterbringen und integrieren wollen, aber auch diejenigen, die zu uns gekommen sind. Da sind Erfahrungen abgebildet, die immer schon üblich waren, auch im Sozialgesetzbuch II für die Langzeitarbeitslosen. Und die Menschen, die dieses Integrationsgesetz, was jetzt auf den Weg gebracht werden soll, lesen, merken, dass es hier eine Gleichbehandlung zwischen den zu uns kommenden und den hier immer schon lebenden gibt. Ich denke, das ist auch eine Erfahrung und auch ein Ergebnis der Diskussion der letzten Monate, dass wir nur Erfolg haben werden, wenn wir exakt die Realität beschreiben und versuchen, mit den Erfahrungen, die wir haben, auch diese Realitäten positiv zu beeinflussen. Ich glaube, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.
    Klein: Herr Haseloff, noch eine Frage bezüglich einer aktuellen Entwicklung, die wir seit gestern Abend hier verfolgen. Es gibt das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Da hören wir jetzt von Präsident Erdogan, dass damit gedroht wird, dieses Abkommen platzen zu lassen beziehungsweise nicht ratifizieren zu lassen, wenn es nicht zu den Visaerleichterungen kommt. Kanzlerin Merkel hatte ja am Montag in Istanbul angedeutet, dass sie das im Augenblick noch nicht sieht, angesichts der rechtsstaatlichen Gründe, die in der Türkei dagegen sprechen. Sind jetzt diejenigen bestätigt, die die ganze Zeit moniert haben, man begebe sich da zu sehr in die Hände des türkischen Präsidenten?
    Haseloff: Nein. Ich denke, dass es notwendig war, dass es zu dieser Vertragsgestaltung mit der Türkei gekommen ist. Auf der anderen Seite muss man auch klar sagen: Vertrag ist Vertrag und beide Seiten müssen alle Dinge, die darin formuliert wurden, auch einhalten. Daran macht sich auch die Glaubwürdigkeit fest. Ich bin der Meinung, dass die Kanzlerin richtig argumentiert hat, wenn sie gesagt hat, alle Punkte sind zu erfüllen. Sonst ist auch innerhalb der Europäischen Union und innerhalb Deutschlands das, was sie versucht hat, mit auf den Weg zu bringen, dauerhaft nicht zu vermitteln und wird ebenfalls wieder politisch instrumentalisiert. Das kann keiner wollen und deswegen sage ich ganz klar, ich unterstütze die Kanzlerin an dieser Stelle, wenn es darum geht, dass alle Punkte von Herrn Erdogan eingefordert werden, die sie mit ihm vereinbart hat.
    "Wir müssen bei den Fluchtursachen anknüpfen"
    Klein: Aber was, wenn nicht? Was, wenn sich Erdogan daran nicht hält und jetzt das Flüchtlingsabkommen blockiert? Damit ist das ganze Problem eigentlich auf Wiedervorlage, über das wir seit Monaten sprechen.
    Haseloff: Es ist sowieso nur eine Komponente bei der Lösung dieses Gesamtproblems. Das weiß jeder, dass dieser Vertrag beziehungsweise diese Vereinbarung nur ein Baustein sein kann bei der Lösung der gesamten Konflikte. Wir müssen wie gesagt bei den Fluchtursachen anknüpfen, das heißt in den Regionen tätig werden, wo überhaupt diese Konflikte ausgetragen werden. Und ich sage noch einmal: Vertrag ist Vertrag. Wenn wir davon abweichen, dann werden wir internationale Vereinbarungen in diesem Zusammenhang kaum noch hinbekommen und vor allen Dingen die Akzeptanz aller Beteiligten, auch der eigenen Bevölkerung nicht sicherstellen. Ich unterstütze die Kanzlerin, konsequent zu bleiben.
    Klein: Die Kanzlerin sollte da jetzt hart bleiben und sagen, keine Visaerleichterungen, auch wenn sie das Risiko eingeht, dass das Abkommen platzt?
    Haseloff: Es geht um die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin. Die Kanzlerin muss da hart bleiben. Das was vereinbart ist muss kommen, und zwar eins zu eins. Sonst macht das keinen Sinn und dann kommen wir in die nächste Phase, dass schon wieder neue Forderungen daran geknüpft werden, und damit ist mehr oder weniger so eine Vertragskonstellation hinfällig. Ich glaube, wenn internationale Zusammenarbeit verlässlich sein soll, dann muss es dazu führen, dass alle Partner auch fair miteinander umgehen und ehrlich auch das, was sie vereinbart haben, umsetzen.
    Klein: Wir gehen auf die Nachrichten zu - Reiner Haseloff war das (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Danke für das Interview heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.