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Netzexpertin Nocun zum Fall Kellermayr
"Frauen bekommen noch mal eine ganz andere Menge von Hass"

Angefeindet zu werden gehöre zum Alltag derjenigen, die sich öffentlich zu den Themen Corona und Impfungen äußern, sagte die Publizistin Katharina Nocun im Dlf. Dabei spiele häufig sexualisierte Gewalt gegen Frauen eine Rolle. Zudem schwappe die Gewalt aus dem digitalen Raum häufig ins reale Leben.

Katharina Nocun im Gespräch mit Sarah Zerback |
Auf einer Gedenkveranstaltung in Wien für die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hält eine Frau ein Plakat hoch mit der Aufschrift: "Mehr Schutz für Frauen im Internet und im realen Leben".
Gedenkveranstaltung der Initiative #YesWeCare für die oberösterreichische Ãrztin Lisa-Maria Kellermayr am Montag, 01. August 2022, am Wiener Stephansplatz (picture alliance / GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com)
Die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wurde angefeindet, bedroht und beschimpft. Dann nahm sie sich mutmaßlich das Leben. Sie wurde tot in ihrer Praxis aufgefunden, die Staatsanwaltschaft schloss Fremdverschulden aus.
Kellermayr hatte immer wieder öffentlich über die Pandemie und über die Corona-Impfungen aufgeklärt. Über sieben Monate bekam die Ärztin Morddrohungen aus der Covid-Maßnahmengegner- und Impfgegner-Szene. Diese beschränkten sich nicht auf das Internet.

Tod von Lisa-Maria Kellermayr

Wenige Wochen vor ihrem mutmaßlichen Suizid hatte die Medizinerin ihre Praxis geschlossen. Sie fühlte sich nicht genügend von Polizei und Behörden geschützt und konnte sich private Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr leisten.
Die Publizistin Katharina Nocun hat zwei Bücher über Verschwörungserzählungen geschrieben, darüber, wie sie unser Denken bestimmen und was dagegen wirklich hilft. Im Deutschlandfunk-Interview sagte sie, dass sich "dieses Milieu vor allem sehr stark an Frauen abarbeite". Ihrer Erfahrung nach würden Frauen schneller körperlich bedroht. "Sexualisierte Gewalt spielt da oft eine Rolle."
Nach dem Tod der Ärztin haben sich bekannte Twitter-User von der Plattform zurückgezogen, etwa der bekannte Würzburger Anwalt Chan-jo Jun oder die Ärztin und Autorin Nathalie Grams. Nocun sagte, sie befürchte nun, dass Rückzüge aus dem Internet in der verschwörungsideologischen Szene als Sieg gefeiert würden. "Nach dem Motto: Jetzt müssen wir noch lauter sein, jetzt müssen wir noch mehr Hass verbreiten, noch aggressiver sein, dann schaffen wir es, noch mehr Leute von dieser Plattform zu mobben und dadurch natürlich auch den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen", so die Publizistin.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen
Wenn Sie das Gefühl haben, an einer psychischen Krankheit zu leiden oder Suizidgedanken Sie beschäftigen, wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation befinden oder das auf einen Ihrer Angehörigen zutrifft, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen bzw. anzubieten. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (gebührenfrei) und im Internet unter telefonseelsorge.de.
Das Interview im Wortlaut:
Sarah Zerback: Die Ärztin Kellermeier, die wurde ja monatelang, wir haben es gerade gehört, beschimpft und bedroht, das wurde immer massiver. Wie oft kommt es denn vor, dass sich so viel Hass so lange auf eine Person konzentriert?
Katharina Nocun: Man muss sagen, wenn man sich zum Thema Corona und Impfungen öffentlich äußert und vor allem kritisch gegenüber dem verschwörungsideologischen Milieu, dann gehört das eigentlich zum Alltag. Das kann man sagen für alle Menschen, die eine gewisse mediale Präsenz haben. Meine Erfahrung ist vor allem, dass sich dieses Milieu vor allem auch an Frauen auch sehr stark abarbeitet, Frauen bekommen noch mal eine ganz andere Menge von Hass, auch ganz andere Formen von Hass, da geht es viel schneller meinen Erfahrungen nach in den Bereich, dass man körperlich bedroht wird, dass geschrieben wird, ich lauere dir auf oder ich vergewaltige dich. Sexualisierte Gewalt spielt da oft eine Rolle. Ein Beispiel: Ich habe einen Reichsbürger, der schreibt mir seit zwei Jahren, und zwar jede Woche. Manchmal ist das dann relativ harmlos im Vergleich, sage ich mal, aber da kommt immer mal wieder durch: Wir werden euch finden, eines Tages werdet ihr zur Rechenschaft gezogen. Und das ist natürlich irgendwo auch eine Drohung.

"Das Reichsbürgermilieu ist ein Milieu, das äußerst gewaltbereit ist"

Zerback: Im Fall Kellermeier, da soll es ja auch Spuren in die rechtsextreme Szene in Deutschland gegeben haben, das wurde jetzt bislang nicht offiziell verfolgt oder gar bestätigt. Bei Ihnen höre ich jetzt gerade auch eine große Schnittmenge an Themen und auch an Feindbildern raus: Frauenhass, Rechtsextremismus – wie groß ist da die Schnittmenge zu Verschwörungsideologen und Corona-Leugnern?
Nocun: Na ja, wenn man sich mal auf Telegram in den einschlägigen Gruppen umschaut, findet man diese Schnittmenge einfach ziemlich schnell. Da werden Reichsbürgerinhalte verbreitet, wir haben von Anfang an eben auch bei Querdenken als Organisation gesehen, dass beispielsweise der ehemalige Pressesprecher Verbindungen ins Reichsbürgermilieu hatte. Es gab Treffen mit prominenten Reichsbürgern, man hat da überhaupt keine Berührungsängste gehabt. Und diese gewaltbereite Szene, die haben wir eben auch auf Demonstrationen in unterschiedlichen Städten auch an vorderster Front sozusagen gesehen, teils in fast offenem Straßenkampf mit der Polizei, wo man sagen muss, da sind gewaltbereite Hooligans wirklich mit auf die Straße gegangen. Gerade das Reichsbürgermilieu ist ein Milieu, das äußerst gewaltbereit ist, wo es in den vergangenen Jahren immer wieder auch Waffenfunde gegeben hat und wo es ja auch einen Mord an einem Polizisten in den letzten Jahren gegeben hat.
Die Publizistin Katharina Nocun zu Gast in der ARD Talkshow "Maischberger die Woche".
Publizistin Katharina Nocun wird seit Jahren immer wieder bedroht (picture alliance/dpa | Horst Galuschka)
Zerback: Walter Lübke und dann eben auch die Fackelaufmärsche teilweise vor den Häusern von Politikern. Wie oft schwappt denn tatsächlich die Gewalt aus dem digitalen Raum ins Analoge?
Nocun: Das ist natürlich die große Frage, wenn jemand anfängt, handgreiflich zu werden, beispielsweise im Krankenhaus, weil er eine Maske nicht aufsetzen will oder einen Testnachweis nicht vorlegen will, inwiefern da vorherige Ausführungen auf Telegram eine Rolle gespielt haben, dass jemand bereit ist, beispielsweise handgreiflich zu werden. Da würde ich schon sagen, dass das natürlich mitspielt. Ich halte auch den Begriff Hass im Netz mittlerweile für problematisch, weil wenn mir jemand beispielsweise eine Drohung schreibt, einen Erpresserbrief oder einen Brief, wo es heißt, ich bringe dich morgen um, dann würde ich auch nicht sagen Hass in der Post, sondern ich würde sagen, ich werde bedroht. Und genau dasselbe passiert ja auch, wenn Leute das als E-Mail als Nachricht bekommen oder auf Social Media, die werden einfach bedroht.

"Das ist eben die Realität von vielen Ärzten"

Zerback: Bei Frau Kellermeier wurden ja auch private Daten ins Netz gestellt, hinzu kamen auch Einschüchterungsklagen, mit denen sie mundtot gemacht werden sollte. Wie verbreitet ist das auch bei uns?
Nocun: Das ist ziemlich verbreitet, es kursieren in der Szene auch schon seit vielen Jahren – vor allem in der rechtsextremen Szene ist das absolut üblich – Listen mit Personen, die als feindlich markiert werden. Da wird nicht explizit Todesliste oder so etwas darüber geschrieben, aber es ist klar, diese Personen, die sollen angegriffen werden. Und teilweise sind da auch private Adressen bei, teilweise natürlich auch die Anschrift, wo die Kinder wohnen, die ganze Familie, also nicht nur irgendwie die Praxis oder so etwas. Und diese Leute werden dann angegangen.

Ich habe das auch selbst erlebt, ich war auf so einer Liste, zum Glück mit einer veralteten Adresse, von daher wurde ich da nicht an meinem Wohnort aufgesucht, aber für viele andere sieht das anders aus, die ziehen aus solchen Gründen tatsächlich um. Ein Freund hat mit anderen Eltern zusammen kürzlich eine Online-Plattform ins Leben gerufen, als es noch schwieriger war, Kinder off-label zu impfen, die haben sozusagen gesagt, na ja, Eltern die das wollen, die vermitteln wir an Ärzte. Und eigentlich hätte man sich die komplette Plattform sparen können, man hätte einfach die Adressen der Ärzte ins Netz stellen können, und Eltern melden sich da selbst, aber die Gruppe hat gesagt, na ja, wir kriegen das Feedback von Ärzten, sobald im Netz steht, ich impfe Kinder, werde ich bedroht, also machen wir das so, dass wir Leute eher einzeln vermitteln.

Da sieht man einfach, dass bei den Ärzten, auch in Deutschland bei vielen, mittlerweile da eine hohe Sensibilität ist. Ich habe im Rahmen einer Buchrecherche mit einer Berliner Frauenärztin gesprochen zu dem Thema Impfverweigerung und auch Esoterik, da meinte sie, um Gottes Willen, zitieren Sie mich bloß anonym, ich habe schon mit Impfgegnern zu tun, die mich bedrohen, ich habe habe schon mit Abtreibungsgegnern zu tun, ich will nicht auch noch Esoteriker an der Backe haben. Das ist eben die Realität von vielen Ärzten.

"Es geht darum einzuschüchtern"

Zerback: Das ist auch gerade in der Debatte rund um den Fall in Österreich zu beobachten, dass viele Menschen in den sozialen Netzwerken, vor allem auf Twitter, jetzt dabei sind, sich abzumelden, sich zurückzuziehen. Aktuelle Beispiele sind ein sehr bekannter Würzburger IT-Rechtsanwalt, aber auch eine Ärztin, die eine bekannte Stimme auf der Plattform war, die ziehen sich zurück aus dem öffentlichen Raum. Was hat das für Folgen für den öffentlichen Diskurs, für die Demokratie auch?
Nocun: Meine große Sorge ist, dass so etwas natürlich in der verschwörungsideologischen Szene als Sieg gefeiert wird – nach dem Motto: Jetzt müssen wir noch lauter sein, jetzt müssen wir noch mehr Hass verbreiten, noch aggressiver sein, dann schaffen wir es, noch mehr Leute von diese Plattform zu mobben und dadurch natürlich auch den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Man muss sagen, Twitter ist insgesamt eine relativ kleine Plattform, aber dort sind natürlich viele Politiker und Journalisten, das heißt, man kann eben dort auch Einfluss nehmen auf das, wie öffentliche Stimmung wahrgenommen wird. Und andererseits kann ich es aber auch als Einzelperson vollkommen verstehen, wenn Menschen sagen, Stopp, jetzt ist für mich eine rote Linie überschritten, jetzt reicht es, ich ziehe mich zumindest für eine Zeit lang oder sogar ganz von dieser Plattform zurück, weil sie einfach meinem Leben nicht guttut.
Ich meine, ich erlebe das ja auch selbst, ich schreibe einen Tweet zum Thema Maske, dass ich halt freiwillig im Supermarkt Maske trage, weil ich auch eine Vorerkrankung habe, und ich werde mit Hass überschüttet. Ich bedrohe niemanden, ich schreibe niemandem etwas vor, ich sage einfach nur, was ich mache, und werde dafür in übelsten Tönen beschimpft. Da hat man irgendwann auch keine Lust mehr, irgendetwas zu posten. Das ist aber andererseits genau die Strategie dieser Leute, die auf der anderen Seite natürlich rufen, es ginge ihnen nur um Meinungsfreiheit. Meine Erfahrung in der Praxis ist, es geht nicht um Meinungsfreiheit, es geht darum, andere einzuschüchtern. Und das ist einfach nicht in Ordnung, da muss man auch klare Grenzen ziehen.
Zerback: Und das kommt nun in Zeiten, wo man, Sie beschreiben es ja auch als eine Radikalisierung, wo es zumindest in Österreich an den strengen Corona-Maßnahmen gar nicht liegen konnte, da wird aktuell weiter gelockert, die Welle läuft, aber die Quarantänepflicht wird gerade abgeschafft. In Deutschland laufen wir jetzt nicht nur auf einen Corona-Herbst, wie es heißt, zu, mit der aktuellen Debatte um das Infektionsschutzgesetz braut sich da höchstwahrscheinlich einiges zusammen. Wir haben auch eine Masern-Debatte, ein weiteres hochemotionales Thema, die Masernimpflicht, die seit gestern nun endgültig für Kinder und Beschäftigte in Schulen und Kitas gilt. Ist das ein neues, altes Thema, das jetzt in der Debatte auch noch mal neuen Aufwind bekommen könnte? Wie schätzen Sie das ein?
Nocun: Ja, man muss sagen, die Mumps-Masern-Röteln-Impfung war schon immer in der Impfgegnerszene ein rotes Tuch, das hat mit Falschinformationen zu tun, die seit Jahren kursieren, die nachweislich auf einer fehlerhaften Studie basieren. Da braut sich eben genau das zusammen, was wir auch im Querdenkermilieu seit vielen Jahren sehen.

Das heißt, wir haben einerseits auch Teile der rechtsextremen Szene, die dort mobilisiert, wir haben dort immer wieder antisemitische Töne, wo dann von der sogenannten verjudeten Schulmedizin gesprochen wird, und esoterische Gruppen, die Impfungen grundsätzlich ablehnen, und verschwörungsideologisches Milieu mischt sich da einmal noch so rein, dass gesagt wird, das ist ein großer Plan, der dahintersteckt, was natürlich Quatsch ist.

Es geht einfach nur darum, Kindern vor Masern zu schützen. Und das, sage ich mal, dieses Impfgegner-Spektrum, was seit vielen Jahren in Deutschland auch existierte, was in Teilen auch schon immer radikal war, ist in der verschwörungsideologischen Szene in weiten Teilen aufgegangen. Von daher wird das natürlich auch in diese Debatte mit reingenommen in Telegram-Gruppen, wo über Corona gesprochen wird. Das wird auch zur Mobilisierung genutzt werden. Mir macht es große Sorge, was wir jetzt im Herbst erleben, weil alle Probleme mit der verschwörungsideologischen Szene, die wir nicht richtig aufgearbeitet haben im Winter, all die Gewalt, die wird uns früher oder später wieder über den Weg laufen, weil diese Szene ist da, sie ist gewaltbereit und sie verletzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.