"Mir ist bewusst geworden, dass während der Ereignisse von 1994 in Ruanda Menschen ums Leben kamen und dass es eine direkte Verbindung zwischen ihrem Tod und dem gibt, was ich im Radio Mille Collines gesagt habe."
Ein spätes Bekenntnis steht am Anfang der Aufführung: Der belgisch-italienische Radiomoderator Georges Ruggiu gesteht einem Ermittler den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit am Radio Télévision Libre des Milles Collines und dem Völkermord an Tutsis und kritischen Hutus. Das Eingangbild sollte in Ländern des Westens zu denken geben: Ein maßgeblicher Protagonist des ruandischen Völkermordradios stammt aus Europa. Er und sein Ermittler erscheinen wie Schemen auf der verblendeten Vorderfront eines Glashauses, aufgenommen von Videokameras.
Mit größtmöglicher Nüchternheit und stiller Konzentration bereitet sich dieses Dokumentartheater auf den Horror der rund 100 Tage ab dem 6. April 1994 in Ruanda vor. Was die Akteure, die allesamt Zeitzeugen verkörpern, sagen, vernimmt der Zuschauer synchron übersetzt aus Kopfhörern, die an kleine mobile Radios angestöpselt sind. Radios, wie sie die Mörder der Interahamwe an Straßenkreuzungen mit sich trugen, Radios, die ihnen in den Sendungen des RTLM die Verstecke verrieten, in denen sich Tutsis vor ihren Verfolgern zu verbergen suchten, Verstecke, die Hutu-Denunzianten mit Anrufen life in den Sendungen verrieten.
"Sie müssen wissen, dass ein Radiosender in Ruanda die Stimme der Autorität ist. Auf RTLM hingegen spielten sie die neueste kongolesische Musik. Es war eine Art interaktives Radio. Alle hörten ihnen mit offenem Mund zu und was sie hörten, war unfassbar: Sie brachten uns zum Lachen, sie benutzen Schimpfwörter wie "Nutte" oder "Scheißer". Sie müssen wissen, dass die Ruander sehr prüde sind, Ruanda ist ein katholisches Land. Es war, als würde man in die Kirche gehen und Flüche hören. Bermeriki, Kantano und dieser Italiener Ruggiu, sie brachten selbst die Leute zum Lachen, die sie in den Tod schickten."
Das eigentlich Reenactment einer Stunde Liveprogramm im Studio wird in der Inszenierung des Milo Rau eingefasst von Berichten von Überlebenden. Und diese schaffen eine historische Basis für die lockere und unauffällige Ungeheuerlichkeit, die sich vor den Zuschauern im Inneren des Glaskastens entfaltet, nachdem die Blenden hochgefahren wurden:
Da sitzen zwei Moderatoren und eine Moderatorin um einen Tisch herum und lösen sich ab beim Scherzen, Pöbeln und Spekulieren. Hanebüchene historische Vergleiche zwischen den arroganten Nazis im Hitlerdeutschland und den angeblich arroganten Tutsis werden da in neueste Grooves gepackt, für den verhassten amerikanischen Präsidenten Clinton spielt man Nirvanas "Rape me", für die französischen Freunde der Hutus spielt man Joe Dassins "Le dernier Slow". Dass ihnen für die gute Laune hoffentlich das Bier und das Gras nicht ausgeht, darüber plaudern die drei, unterstützt durch ihren im Nebenraum sitzenden DJ auch.
Wer kurz den Kopfhörer abnimmt, erfährt eine zweite, verborgene Akustik und taucht in dem dunklen Theaterraum plötzlich in eine unheimliche Atmosphäre ein.
""Ein anderes Mädchen, sie war sehr hübsch, ging auf einen Interahamwe zu und sagte: "Warum nimmst du mich nicht zur Frau, anstatt mich zu töten". Die Interahamwe zogen sie in eine Ecke und schnitten ihr die Brüste ab. Als sie zurückkamen, streckten sie die beiden Brüste in die Luft und fragten. "Sucht hier vielleicht noch eine andre Schlange einen Ehemann"."
"Hate Radio" zeigt zweierlei: Lockeres Radiomachen von Leuten, die nie einen Menschen umgebracht haben und Überlebende, die sich an unfassbaren Horror erinnern. Beides greift auf unheimliche Art und Weise ineinander und wirft Fragen auf, die die Aufführung nicht beantworten will: Wurde hier in einer ohnehin seit Jahren vergifteten Stimmung durch ein Medium ein kleines psychisches Ventil entfernt, und zusätzlich durch Drogenkonsum und Musik das letzte Quäntchen Verantwortungsgefühl aufgelöst: Der erste Völkermord als Party?
Was aber hier in Europa, wo die Aufführung nun auf Tournee gehen wird, fehlt, ist ein noch stärkeres Herausarbeiten des europäischen Beitrags zur ruandischen Tragödie: unfreiwillige Beiträge zur administrativen Vorbereitung des Völkermordes, europäische Beratung, wie man ein dröges Radio voller offizieller Verlautbarungen in ein locker-flockiges Tagesprogramm verwandelt, ganz zu Schweigen von der Kolonialzeit und ihrem rassistischem Strukturprinzip, das zu dem kuriosen Passeintrag der Zugehörigkeit zu einer von vier Bevölkerungsgruppen führte, allen voran: Tutsis und Hutus.
Ein spätes Bekenntnis steht am Anfang der Aufführung: Der belgisch-italienische Radiomoderator Georges Ruggiu gesteht einem Ermittler den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit am Radio Télévision Libre des Milles Collines und dem Völkermord an Tutsis und kritischen Hutus. Das Eingangbild sollte in Ländern des Westens zu denken geben: Ein maßgeblicher Protagonist des ruandischen Völkermordradios stammt aus Europa. Er und sein Ermittler erscheinen wie Schemen auf der verblendeten Vorderfront eines Glashauses, aufgenommen von Videokameras.
Mit größtmöglicher Nüchternheit und stiller Konzentration bereitet sich dieses Dokumentartheater auf den Horror der rund 100 Tage ab dem 6. April 1994 in Ruanda vor. Was die Akteure, die allesamt Zeitzeugen verkörpern, sagen, vernimmt der Zuschauer synchron übersetzt aus Kopfhörern, die an kleine mobile Radios angestöpselt sind. Radios, wie sie die Mörder der Interahamwe an Straßenkreuzungen mit sich trugen, Radios, die ihnen in den Sendungen des RTLM die Verstecke verrieten, in denen sich Tutsis vor ihren Verfolgern zu verbergen suchten, Verstecke, die Hutu-Denunzianten mit Anrufen life in den Sendungen verrieten.
"Sie müssen wissen, dass ein Radiosender in Ruanda die Stimme der Autorität ist. Auf RTLM hingegen spielten sie die neueste kongolesische Musik. Es war eine Art interaktives Radio. Alle hörten ihnen mit offenem Mund zu und was sie hörten, war unfassbar: Sie brachten uns zum Lachen, sie benutzen Schimpfwörter wie "Nutte" oder "Scheißer". Sie müssen wissen, dass die Ruander sehr prüde sind, Ruanda ist ein katholisches Land. Es war, als würde man in die Kirche gehen und Flüche hören. Bermeriki, Kantano und dieser Italiener Ruggiu, sie brachten selbst die Leute zum Lachen, die sie in den Tod schickten."
Das eigentlich Reenactment einer Stunde Liveprogramm im Studio wird in der Inszenierung des Milo Rau eingefasst von Berichten von Überlebenden. Und diese schaffen eine historische Basis für die lockere und unauffällige Ungeheuerlichkeit, die sich vor den Zuschauern im Inneren des Glaskastens entfaltet, nachdem die Blenden hochgefahren wurden:
Da sitzen zwei Moderatoren und eine Moderatorin um einen Tisch herum und lösen sich ab beim Scherzen, Pöbeln und Spekulieren. Hanebüchene historische Vergleiche zwischen den arroganten Nazis im Hitlerdeutschland und den angeblich arroganten Tutsis werden da in neueste Grooves gepackt, für den verhassten amerikanischen Präsidenten Clinton spielt man Nirvanas "Rape me", für die französischen Freunde der Hutus spielt man Joe Dassins "Le dernier Slow". Dass ihnen für die gute Laune hoffentlich das Bier und das Gras nicht ausgeht, darüber plaudern die drei, unterstützt durch ihren im Nebenraum sitzenden DJ auch.
Wer kurz den Kopfhörer abnimmt, erfährt eine zweite, verborgene Akustik und taucht in dem dunklen Theaterraum plötzlich in eine unheimliche Atmosphäre ein.
""Ein anderes Mädchen, sie war sehr hübsch, ging auf einen Interahamwe zu und sagte: "Warum nimmst du mich nicht zur Frau, anstatt mich zu töten". Die Interahamwe zogen sie in eine Ecke und schnitten ihr die Brüste ab. Als sie zurückkamen, streckten sie die beiden Brüste in die Luft und fragten. "Sucht hier vielleicht noch eine andre Schlange einen Ehemann"."
"Hate Radio" zeigt zweierlei: Lockeres Radiomachen von Leuten, die nie einen Menschen umgebracht haben und Überlebende, die sich an unfassbaren Horror erinnern. Beides greift auf unheimliche Art und Weise ineinander und wirft Fragen auf, die die Aufführung nicht beantworten will: Wurde hier in einer ohnehin seit Jahren vergifteten Stimmung durch ein Medium ein kleines psychisches Ventil entfernt, und zusätzlich durch Drogenkonsum und Musik das letzte Quäntchen Verantwortungsgefühl aufgelöst: Der erste Völkermord als Party?
Was aber hier in Europa, wo die Aufführung nun auf Tournee gehen wird, fehlt, ist ein noch stärkeres Herausarbeiten des europäischen Beitrags zur ruandischen Tragödie: unfreiwillige Beiträge zur administrativen Vorbereitung des Völkermordes, europäische Beratung, wie man ein dröges Radio voller offizieller Verlautbarungen in ein locker-flockiges Tagesprogramm verwandelt, ganz zu Schweigen von der Kolonialzeit und ihrem rassistischem Strukturprinzip, das zu dem kuriosen Passeintrag der Zugehörigkeit zu einer von vier Bevölkerungsgruppen führte, allen voran: Tutsis und Hutus.