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Hass und Fake News im Netz
"Digitale Zivilcourage zeigen"

Markus Beckedahl, Mitorganisator der re:publica, hat zu mehr Zivilcourage in den sozialen Medien aufgerufen. Angesichts einer Schwemme von Fake News forderte er im Deutschlandfunk zudem die Vermittlung von mehr Medien- und Digitalkompetenz. Entscheidend sei, für eine offene Gesellschaft zu kämpfen, die Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaat in den Vordergrund stellten.

Markus Beckedahl im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Markus Beckedahl, Internetaktivist
    Markus Beckedahl, Internetaktivist (imago/IPON)
    Mario Dobovisek: Wenn ein Posting, ein Tweet oder eine E-Mail mit dem Kürzel "LOL" endet, dann war irgendetwas ziemlich lustig. "LOL" steht nämlich im, nennen wir es, Netzsprech für "Laughing Out Loud" oder lautes Lachen sozusagen. Doch wer sich in den sozialen Netzen bewegt, der wird feststellen, dass es dort in den vergangenen Wochen und Monaten immer weniger zu lachen gibt. Wir reden über Hasskommentare, über teils gezielte Desinformationen, über Fake News, über einen recht rau gewordenen Ton im Netz, wenn viel zu oft nur noch die eigene Meinung zählt, aber nicht mehr die der anderen. Deshalb hat sich die diesjährige "republica" in Berlin – das ist Europas größte Internet- und Blogger-Konferenz – das Motto "LOL" gegeben, in diesem Fall aber ganz verliebt ein "Love Out Loud" sozusagen. Gestern Abend sprach ich mit Markus Beckedahl. Er betreibt den Blog Netzpolitik.org und ist einer der Gründer und Organisatoren der "republica" und ich habe ihn gefragt, wen er mit seinem "LOL" umarmen will.
    Markus Beckedahl: Wir wollen eigentlich alle Menschen ermutigen, sich gegen den Hass einer kleinen Minderheit in unserer Gesellschaft online wie offline entgegenzustellen. Wir möchten unsere Besucherinnen und Besucher ermächtigen, aber auch ermutigen, quasi digitale Zivilcourage zu zeigen und für eine offene Gesellschaft zu kämpfen, die Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaat in den Vordergrund stellt.
    Dobovisek: Ist die Minderheit tatsächlich so klein, wie Sie es beschreiben?
    Beckedahl: Es ist auf jeden Fall sicherlich nicht die Mehrheit, als die sie sich fühlt, und die meiner Meinung nach schafft es leider oder schaffte es in den letzten Jahren, überall für eine Verrohung in Diskursräumen, Diskussionsräumen vor allen Dingen online zu sorgen, sodass viele sich, die eine andere Meinung hatten, zurückgezogen haben und denen quasi das Feld überlassen haben. Das sollten wir nicht zulassen.
    "Wir haben es noch nicht online gelernt, Zivilcourage zu zeigen"
    Dobovisek: Wie kommt es zu diesem Rückzug? Wie erklären Sie sich das?
    Beckedahl: Das ist ja häufig damit verbunden, dass man dann gerade keine Zeit hat, dass man auch sich den Tag nicht vermiesen möchte, wenn man die ganze Zeit damit konfrontiert wird, mit einer geballten Hassaggression, eigentlich auch nur Wut, die dahinter steckt, viele unglückliche Leben wahrscheinlich, die dahinter stecken. Und wir haben es noch nicht online gelernt, Zivilcourage zu zeigen, die die meisten von uns sicherlich offline zeigen würden. Wenn etwas passiert neben uns, was wir mitbekommen, wenn Menschen beleidigt werden, wenn Menschen verletzt werden, dann schreiten wir in der Regel doch ein und das sollten wir auch online mal lernen.
    Dobovisek: Wie kann das aussehen, digitale Zivilcourage zu zeigen? Wie sollen wir mit Hasskommentaren umgehen, weiterscrollen oder darauf reagieren?
    Beckedahl: Es kommt ganz darauf an. Es gibt auf der einen Seite sehr spannende Communities, Gruppen, die sich gebildet haben, wie "ich bin hier" nach Vorbild, ich glaube, einer schwedischen Gruppe. Da gibt es 35.000 Menschen in einer Facebook-Gruppe, die sich organisieren und immer Links dort teilen, wenn Menschen dieser Gruppe mitbekommen, es gibt hier gerade eine Diskussion, die von Menschen mit Hass übernommen wurde, wer hat denn gerade Zeit und Lust, da gegenzuhalten, damit andere wiederum nicht das Gefühl entwickeln, dass es so eine schweigende Mehrheit gibt, weil ja dort nur Hass sichtbar wird. Es gibt andere zivilgesellschaftliche Initiativen wie "Mimikami" oder "Hoaxmap", wo Menschen ehrenamtlich Falschmeldungen untersuchen und davor warnen, die quasi zivilgesellschaftlich journalistische Arbeit ehrenamtlich machen und dazu beitragen, dass im Idealfall die Medienkompetenz von Menschen gefördert wird.
    "Jeder einzelne von uns bekommt eine ganze Menge Macht"
    Dobovisek: Die Falschmeldungen möchte ich später auch gerne noch einmal aufgreifen, die sogenannten Fake News, aber jetzt doch noch mal beim rauen Ton bleiben, bei den Hasskommentaren, die zum Problem geworden sind, ein Problem nicht erst seit gestern. Ein Problem, das die deutsche Netzgemeinde, die sich seit elf Jahren auf der "republica" versammeln, bislang verschlafen hat?
    Beckedahl: Nein, wir haben es nicht verschlafen. Wir haben es sicherlich unterschätzt, wie auch der Rest der Gesellschaft das unterschätzt hat, und vor allen Dingen haben wir in den letzten ein, zwei Jahren, auch ausgelöst durch die Zunahme von Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, eine aufgeheizte Stimmung bekommen, die wir sicherlich so vor fünf oder zehn Jahren nicht hätten vorhersehen können.
    Dobovisek: Ist das Netz tatsächlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, oder auf der anderen Seite ein Katalysator für gerade solche extremen Meinungen?
    Beckedahl: Das Netz sind erst mal wir. Insofern ist es eine Art Spiegelbild der Gesellschaft, weil das Netz ermöglicht auch allen von uns, dezentral uns zu organisieren, selbst zum Sender zu werden. Das heißt, jeder einzelne von uns bekommt eine ganze Menge Macht. Aber viele von uns haben noch nicht gelernt, mit dieser Macht verantwortungsvoll umzugehen.
    Ein Beispiel ist: Früher hatten alle, die zum Sender wurden, in der Regel eine journalistische Ausbildung bekommen, wo man auch Verantwortung gelernt hat. Heutzutage kriegt man ein Smartphone und wir dachten in unserer Gesellschaft viel zu lange, dass die digitale Medienbildung automatisch mit diesem Smartphone quasi vom Himmel runterfällt. Das tut sie nicht. Wir haben eigentlich nicht gelernt, uns hat keiner das beigebracht, uns mit dieser Macht verantwortungsvoll umzugehen.
    "Diese Plattformen bilden neue Öffentlichkeiten"
    Dobovisek: Jetzt geht Justizminister Heiko Maas weiter gegen Facebook vor. Gehen die sozialen Medien angemessen aus Ihrer Sicht mit Hasskommentaren um?
    Beckedahl: Die sozialen Medien sind einerseits so eine Art Katalysator-Ermächtiger, dadurch, dass sie die Technik zur Verfügung stellen, dass jeder von uns niedrigschwellig zum Sender werden kann. Andererseits gibt es die große gesellschaftliche Debatte darüber, welche Verantwortung tragen sie dafür, dass auf ihren Plattformen dann Menschen viel Hass artikulieren. Und das ist eine der großen Herausforderungen unserer Gegenwart, diese Rolle von Plattformen auszudifferenzieren, weil diese Plattformen bilden ja neue Öffentlichkeiten, wo sich unsere Gesellschaft auch teilweise konstituiert, wenn fast jeder zweite unserer Bevölkerung, der mittlerweile auf Facebook aktiv ist, sich darüber informiert. Aber das sind keine Öffentlichkeiten wie unser öffentlicher Raum im analogen Leben, sondern das sind privatisierte Öffentlichkeiten und Heiko Maas versucht jetzt, mit dem Netzwerk-Durchsetzungsgesetz diese privaten Öffentlichkeiten in die Pflicht zu nehmen, …
    Dobovisek: Hat er recht damit, mit diesem Versuch?
    Beckedahl: Ich glaube, die Intention ist keine falsche, aber dieses Gesetz ist meiner Meinung nach falsch, weil diese Plattformen in die Rolle von Richtern und Henkern sozusagen kommen. Die sollen über Meinungsfreiheit entscheiden, was meiner Meinung nach Aufgabe des Rechtsstaates und von Gerichten sein sollte.
    Dobovisek: Also eine Klage gegen jeden einzelnen Post?
    Beckedahl: Nein. Aber ich glaube, wenn wir mal mehr und eine bessere Rechtsdurchsetzung gegen Hasskriminalität hätten, wenn mehr Menschen für ihre Kommentare, die eindeutig rechtswidrig sind und Hass ausüben, vor Gericht gestellt werden würden, dann würden viele andere abgeschreckt werden, weiter zu kommentieren. Im Moment ist es ja so und auch durch das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz befürchten wir, dass dann Menschen, die Hasskriminalität kommunizieren, dann nur gelöscht werden und durch die Löschungen eigentlich auch eher lernen, wie sie zukünftig denselben Hass nur anders artikulieren müssen und damit eigentlich das Problem gar nicht wirklich gelöst wird.
    "Wir sind alle selbst zum Sender geworden"
    Dobovisek: Kommen wir zu dem anderen Phänomen, das Sie schon erwähnt haben, den Begriff der Alternativen Fakten, der Fake News. Über Lügen müssen wir da sprechen, im Netz inzwischen ein verbreitetes Phänomen. Sind Blogs und soziale Medien längst zu einer Art manipulativer Waffe geworden?
    Beckedahl: Das würde ich jetzt so allgemein nicht sagen. Es gab sicherlich schon immer auch alternative Medien, wenn man diesen Begriff so verwenden möchte, die andere Realitäten abgebildet haben, und dadurch, dass wir alle selbst zum Sender geworden sind, teilen sich auch alternative Ansichten, teilweise auch einfache Antworten auf komplexe Systeme, die viele verunsichern, recht schnell und viele Menschen werden empfänglich dafür, dass es Seiten gibt, die teilweise aus politischen Gründen, teilweise aber aus rein marktwirtschaftlichen, also kapitalistischen Gründen einfach mal Märchen erzählen, die von Menschen dankbar angenommen werden, die einfache Antworten auf unsere komplexe Welt suchen.
    Dobovisek: Müssen wir das lernen zu akzeptieren oder bekämpfen?
    Beckedahl: Sowohl als auch. Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass es auch andere Ansichten, andere Meinungen gibt, und ich glaube, wir müssen viel mehr auch in Medien, in digitalen Medien ...
    Dobovisek: Andere Meinungen, aber nicht andere gefälschte Fakten, also Lügen.
    Beckedahl: Es ist relativ komplex, jetzt erst mal zu entscheiden oder zu definieren, worüber wir reden, wenn wir von Falschmeldungen im Sinne von Fake News reden. Auf der einen Seite gibt es natürlich irgendwie Verschwörungstheorien, die sich manchmal auch als wahr später herausstellen; auf der anderen Seite gibt es auch eindeutig politisch motivierte Propaganda, mit der man sicherlich anders umgehen muss. Aber ich glaube, vor allen Dingen diese Phänomene, dass diese Sachen sich teilweise viral verbreiten, können wir vor allen Dingen dadurch eindämmen, indem wir mehr Medien- und Digitalkompetenz und Bildung vermitteln. Das sollte uns aber auch etwas wert sein. Seit vielen Jahren höre ich immer von vielen Politikern, die Medienkompetenz muss gestärkt werden. Wenn man aber mal konkret in die Bundes- und Landeshaushalte reinschaut, wie viel Geld uns das wert ist, und wenn man das mal findet, dann möchte man eigentlich heulen.
    Dobovisek: Heute geht in Berlin Europas größte Netzkonferenz, die "republica" zu Ende. Ich sprach mit deren Gründer Markus Beckedahl. Ich danke Ihnen, Herr Beckedahl.
    Beckedahl: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.