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Hasskriminalität im Internet
"Netzwerke verpflichten, Täterdaten herauszugeben"

Der Kriminologe Christian Pfeiffer fordert angesichts der zunehmenden Hasskriminalität im Internet, die Betreiber von sozialen Netzwerken in die Pflicht zu nehmen. Sie sollten gezwungen werden, Daten über die Täter herauszugeben, sagte er im Deutschlandfunk. Dann würde die Zahl der Fälle deutlich zurückgehen.

Christian Pfeiffer im Gespräch mit Dirk Müller | 26.10.2016
    Der Kriminologe Christian Pfeiffer in einer Gesprächssituation.
    Der Kriminologe Christian Pfeiffer in einer Gesprächssituation. (dpa / picture alliance / Hauke-Christian Dittrich)
    Der Kriminologe ergänzte, bislang sei das Risiko für die Täter gering, erwischt zu werden. Das liege daran, dass Plattformen wie Facebook sich weigerten, die Daten an die Ermittler weiterzugeben. "Es gibt keine Chancen für die Staatsanwaltschaft, an die Täter ranzukommen."
    Pfeiffer regte an, das Telemediengesetz entsprechend zu ändern. Damit könnten alle Netzwerke verpflichtet werden, einen Verantwortlichen für Deutschland zu benennen, der damit haftbar sei. Die Herausgabe von Informationen widerspreche in dem Fall nicht dem Recht. "Täter haben keinen Datenschutz", sagte er weiter.
    Bundesjustizminister Heiko Maas müsse bei dem Thema liefern. "Wir brauchen die Durchsetzung unseres Rechts auf unserem Boden." Das gehe nur, indem das Risiko des Erwischtwerdens erhöht werde. "In dem Augenblick, wo spektakuläre Prozesse gegen einzelne Täter laufen, wird der Spuk deutlich weniger werden."

    Das Interview in voler Länge:
    Dirk Müller: Sie richten sich gegen die politische Einstellung, gegen Nationalitäten, gegen die sexuelle Orientierung. Sie richten sich gegen die Hautfarbe und auch gegen die Religion. Hassmails, Hasspostings, Hass im Internet, Hass und Gewalt auch auf den Straßen. Beleidigungen, Diffamierungen, Diskriminierungen, Morddrohungen. Die Hasskriminalität in Deutschland nimmt immer weiter zu. Das sind offizielle Zahlen der Bundesregierung, wonach die registrierten Straftaten um 77 Prozent gestiegen sind auf über 10.000 Fälle. Das gilt für das vergangene Jahr, also 2015. Das steht so im Abschlussbericht der Bundesregierung, der unter der Überschrift "gutes Leben in Deutschland" firmiert. Dieser wird heute offiziell vorgestellt, gestern sind schon einige Details daraus bekannt geworden.
    Noch eine Zahl: Die Hassergüsse im Internet sind demnach im vergangenen Jahr um über 170 Prozent gestiegen - unser Thema nun mit dem Kriminologen, Regierungsberater und Publizisten Professor Christian Pfeiffer. Guten Morgen!
    Christian Pfeiffer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Pfeiffer, werden Facebook und Co. Zur Geißel der aufgeklärten Gesellschaft?
    Pfeiffer: Leider ist das so. Unser Justizminister Maas hat über ein Jahr hinweg versucht, auf freiwilliger Basis das einzudämmen. Der Bundestag hat das Seine dazu beigetragen, indem er die Strafen deutlich verschärft hat, wenn man solche Hassdelikte begeht. Aber das alles scheint nichts zu nützen, weil das Risiko der Täter, erwischt zu werden, gleich null ist.
    "Staatsanwaltschaften haben bisher keine Chance, an Täter heranzukommen"
    Müller: Millionen Einträge sind einfach zu viel?
    Pfeiffer: Ja, es wird schon einiges gelöscht. Herr Maas hat Recht und ich verstehe auch, dass er zunächst auf der freiwilligen Basis versuchte, was zu erreichen. Es ist deutlich mehr gelöscht worden als früher. Aber der Strom nimmt nicht ab, weil bisher keine Chance besteht für Staatsanwaltschaften, an die Täter heranzukommen, obwohl Facebook und die anderen genau wissen, wer es ist, aber sie geben es nicht preis und das haben die Justizminister auf Länderebene, die Jumiko, klar gesagt. Das muss sich ändern. Ich finde, sie haben Recht, dass wir die Betreiber von solchen Internet-Foren dazu verpflichten müssen, die Täter zu nennen, die Leute mit Mord bedrohen und dazu aufrufen, dass sie drangsaliert werden, die laufend diskriminieren.
    "Unser Recht funktioniert nur, wenn das Risiko des Erwischtwerdens erhöht wird"
    Müller: Aber ist das realistisch? Beispielsweise Facebook, bleiben wir dem Beispiel, der große Anbieter, der so eine freie, offene Kommunikation im Grunde weltweit ja ermöglicht, mit den entsprechenden Kehrseiten, über die wir gerade reden. Ist es von Facebook zu verlangen, diese ganzen Eintragungen, was Heiko Maas ja auch wollte, zu überprüfen, das heißt einzeln gegenzuchecken, obwohl es Millionen, Abermillionen Einträge sind?
    Pfeiffer: Es reicht nur, wenn eine Staatsanwaltschaft überprüft hat und sagt, eindeutig ist das nach unserem Recht strafbar, Aufforderung zu einem Verbrechen, Juden an die Wand zu stellen und so weiter, dass dann der Täter benannt werden muss. Natürlich sollen sie auch löschen und das alles, und Herr Kauder hat aus meiner Sicht zurecht verlangt, wenn sie nicht innerhalb einer Woche löschen, dann sollte es ein Bußgeld geben. Aber das Allerwichtigste ist, Täter zu kriegen. Unser Recht funktioniert nur, wenn das Risiko des Erwischtwerdens erhöht wird.
    "Bisher entziehen die Firmen sich jeder Verantwortung"
    Ich nenne mal ein Beispiel: In England hat man im 19. Jahrhundert für Taschendiebstahl die Todesstrafe verhängt. Das hat man eine Zeit lang praktiziert, bis sich herausstellte, dass bei den Riesen-Menschenansammlungen, die sich anlässlich einer Hinrichtung ergaben auf den Marktplätzen, dass dann besonders viele Taschendiebstähle sich ereignen, weil dann das Risiko des erwischt Werdens gleich null ist. Dasselbe haben wir übertragen in ähnlicher Weise gegenwärtig bei uns im Internet und das darf so nicht bleiben. Die Justizminister haben Recht, Herr Maas muss liefern in meinen Augen, und das reicht nicht. Man muss ja auch an die Firmen herankommen. Bisher entziehen sie sich jeder Verantwortung, indem sie in Deutschland einfach, weil sie eine internationale Firma sind, keinen benennen, der die Verantwortung hat. Das könnte man ändern, wenn man im Telemediengesetz ganz klar alle Firmen, die bei uns im Internet aktiv sind, auffordert, einen in Deutschland Verantwortlichen zu benennen, damit der haftbar gemacht werden kann.
    "Täter haben keinen Datenschutz"
    Müller: Wir reden auch ganz häufig über Datenschutz. Wird das jetzt hier im Grunde dann überspielt, ausgespielt?
    Pfeiffer: Täter haben keinen Datenschutz.
    Müller: Das muss ja erst mal festgestellt werden.
    Pfeiffer: Ja, klar! Aber das gilt schon jetzt. Gegen Täter ermitteln hat Vorrang und der Datenschutz darf hier nicht dagegen sprechen. Von daher gesehen keine Frage für mich, dass die Justizministerkonferenz Recht hat und dass auch diese Ergänzung des Telemediengesetzes sein muss, damit wir endlich einen Fuß in die Tür kriegen, damit endlich Leute vor Gericht kommen, die solche Morddrohungen und Hassmails produzieren.
    Müller: Das ist ja das zweite Argument der Konzerne, die da sagen, einerseits natürlich die Quantität, das ist viel zu viel, wir können das nicht alles einzeln dann überprüfen. Das war ja auch eine Forderung. Die zweite ist, wir garantieren allen Nutzern ihre persönliche Integrität. Wie ist das aufzuheben?
    Pfeiffer: Ja! Wenn einer die persönliche Integrität missbraucht, indem er brutale Sachen ins Internet stellt und auffordert, Obdachlose zu töten, Juden zu töten, die Muslime zu töten - all das kann man täglich nachlesen -, das ist von daher eine Ausgangsgeschichte, die es nicht mehr rechtfertigt, sich auf den eigenen Persönlichkeitsschutz zu berufen.
    "Wir brauchen die Durchsetzung unseres Rechts auf unserem Boden"
    Müller: Herr Pfeiffer, Sie nennen jetzt relativ eindeutige Beispiele. Darüber wird sich schnell Konsens finden lassen. Wo ist da die Grenze? Was darf ich, wie weit darf ich gehen, wie beleidigend darf ich sein?
    Pfeiffer: Auch das, denke ich, muss durch Regeln geregelt werden. Wir haben ein Strafrecht, das klar sagt, ab wann etwas eine Beleidigung ist. Das muss nur angewendet werden. Wir brauchen nur die Durchsetzung unseres Rechts auf unserem Boden.
    Müller: Das haben wir jetzt bei Jan Böhmermann gesehen, wie kompliziert das ist, wie schwierig das auch für die Richter ist, eine Entscheidung zu treffen.
    Pfeiffer: Trotzdem, ich gebe zu: Damit das alles gelingen kann, müssen die Cybercops verstärkt werden. Die Bundesländer sind da sehr unterschiedlich, wie sie das bisher eingerichtet haben. Einige sind vorbildlich, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, andere hinken hinterher. Wir brauchen natürlich eine starke Polizei, die dann auch dafür sorgt, dass Leute ermittelt werden können und dass die Strafverfahren in Gang kommen.
    "Diese Hassmails bewirken nicht, dass unsere Welt insgesamt brutaler wird"
    Müller: Herr Pfeiffer, reden wir vielleicht noch mal über die quantitative Perspektive. Jetzt etwas lapidar zugegeben formuliert: Können wir solche Dinge im Internet - und ich rede noch einmal von den Millionen über Millionen Eintragungen, die es jeden Tag aufs Neue gibt - damit leben, dass 10.000 (das ist jetzt die Zahl der Bundesregierung, nehmen wir die mal) Einträge nicht nur unter die Gürtellinie gehen, sondern auch kriminell sind?
    Pfeiffer: Ich denke, das Internet ist eine Bereicherung, Facebook ebenfalls. Das will ich gar nicht bestreiten. Aber wir haben ein Recht, in unserem Land dafür Sorge zu tragen, dass Hassmails dort erstens gelöscht werden und zweitens die Täter ermittelt werden, die solche Hassmails reinstellen. In dem Augenblick, wo spektakuläre Prozesse gegen einzelne Täter laufen, wird der Spuk deutlich weniger werden. Bisher hat keiner ein Risiko. Und man muss ja eines auch nüchtern betrachten: All diese Hassmails bewirken ja nun nicht, dass unsere Welt insgesamt immer brutaler wird. Man muss ergänzen, dass trotzdem die Gewaltkriminalität in Deutschland deutlich rückläufig ist, und zwar je jünger die Leute sind, umso stärker ist der Rückgang. Wir haben an sich eine Ausgangssituation, die positiv ist, was die reale Gewaltkriminalität angeht. Wir leiden unter dem, was sich im Internet abspielt.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Pfeiffer: Danke, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.