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Hat die Roadmap eine Zukunft?

Lange: Erleben wir gegenwärtig wieder einen schwarzen September im Nahen Osten? Es spricht einiges dafür. Mahmoud Abbas, vier Monate Ministerpräsident der Palästinenser und Garant eines Friedensplans mit der Bezeichnung "Roadmap", hat im Konflikt mit Jassir Arafat das Handtuch geworfen. Wie immer sein Kalkül aussah, im Moment schaut es nicht danach aus, als ob er weiter eine bedeutende politische Rolle bei den Palästinensern spielen wird. Israel diskutiert nun wieder über die Ausweisung Jassir Arafats, den man für die Quelle allen Übels hält. Dazu der Kampf zwischen Israel und der Hamas: Anschläge, Morddrohungen und Racheschwüre- das verheißt alles nichts Gutes für den Frieden in Nahost. Am Telefon begrüße ich Avi Primor, den ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland. Herr Primor, lässt sich die "Roadmap" nach Lage der Dinge noch realisieren, oder stehen wir schon wieder am Punkt Null?

    Primor: Der Fahrplan ist ein europäischer, russischer, UN- und amerikanischer Plan. Der Fahrplan ist in Wirklichkeit ein amerikanischer. Sie haben ihn erzwungen. Sie haben die beiden Kontrahenten dazu gedrängt, ihn zu akzeptieren. Von ihnen ist es abhängig, ob dieser Fahrplan umgesetzt wird oder nicht. Vorerst haben die Amerikaner so gut wie nur Lippenbekenntnis gezollt und nicht viel mehr bewegt. Ich bin gar nicht sicher, ob sie es überhaupt tun wollen oder mehr bewirken wollen. Aber ich glaube, davon hängt es ab: Sollte man heute den Fahrplan den Kontrahenten vor Ort überlassen, würde da nichts draus werden.

    Lange: Haben Sie den Eindruck, dass die Amerikaner das Interesse verloren haben, speziell Präsident Bush?

    Primor: Ich weiß nicht, ob sie jemals das Interesse hatten. Die Amerikaner wurden dazu gedrängt, vor allem von den Briten. Tony Blair hat es nötig gehabt, seiner Bevölkerung zu zeigen, dass der Krieg im Irak auch gute Wirkungen haben kann und vielleicht auch große Probleme, die bis dahin unlösbar waren, jetzt lösen zu können. Auch andere Europäer, auch die arabischen Freunde der Amerikaner, haben die Amerikaner dazu gedrängt, irgendetwas im Nahen Osten zu bewegen. Ursprünglich weiß ich ganz genau, dass, als Bush im Januar 2001 an die Macht gekommen ist, er überhaupt kein Interesse hatte, sich in den Nahost-Konflikt einzumischen. Ich weiß nicht, ob er es heute will. Abgesehen davon muss man auch abwarten und sehen, was eine Einmischung in den Konflikt für die Wahlchancen des Präsidenten nächstes Jahr bedeuten würde. Hat es eine gute Wirkung auf seine Chancen, dann wird er sich eher mehr bemühen. Hat es eine schlechte Wirkung, was auch möglich ist, wird er die Hände davon lassen.

    Lange: Abbas hatte offenbar nicht die Hausmacht, um sich gegen Arafat durchzusetzen. Das ist ganz sicher in erster Linie ein interner Konflikt der Palästinenser. Welchen Anteil hat aber die israelische Regierung am Scheitern von Mahmoud Abbas, wenn wir mal davon ausgehen, dass diese Demission unwiderruflich ist.

    Primor: Die israelische Regierung hat von Mahmoud Abbas eines erwartet: dass er Terror bekämpft. Dass er die Terroristen tatsächlich mit Gewalt bekämpft, dass er ihnen das Handwerk legt und ihre Infrastruktur abbaut. Das hätte Mahmoud Abbas nur machen können, wenn er von der Unterstützung der Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung profitiert hätte. Die palästinensische Bevölkerung hat ihn aber nicht unterstützt. Sie war ihm gegenüber nicht feindselig, wollte aber abwarten, ob er für sie etwas bewegen kann, also ob er die Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung verbessern kann. Er hätte das nur dann leisten können, wenn die Israelis dabei geholfen hätten, wenn also die Israelis Zugeständnisse gemacht hätten, weniger Ausgangssperren in den besetzten Gebieten, weniger Straßenkontrollen, mehr Arbeitsgenehmigungen in Israel, mehr Freilassungen der palästinensischen Gefangenen und andere Dinge. Das hat die israelische Regierung nur sehr zögerlich gemacht. Bei weitem nicht ausreichend, so dass die palästinensische Bevölkerung Mahmoud Abbas nicht unterstützt hat. Insofern konnte er nichts bewegen und musste scheitern. Dann hatte natürlich Arafat die Oberhand, der immer noch ein Symbol für seine Bevölkerung ist. Er ist eine historische Gestalt, obwohl die Bevölkerung ganz genau weiß, dass er versagt hat und seine Politik gescheitert ist. Er bleibt aber das Symbol, und es ist eine stolze Bevölkerung.

    Lange: Herr Primor, wir haben vor Monaten schon einmal darüber gesprochen, ob es Scharon mit der roadmap Ernst meint. Das war damals eine offene Frage. Ist sie inzwischen zu beantworten?

    Primor: Ich würde sagen, dass Scharon den Fahrplan nur deshalb unterstützt oder akzeptiert hat, weil die Amerikaner darauf bestanden haben. Aber ob Scharon wirklich Interesse daran hatte, so einen Plan durchzusetzen, glaube ich nicht. Er hat seinen eigenen Plan. Der eigene Plan bedeutet nicht, dass er alle Gebiete aufgeben will, dass er Siedlungen räumen will. Das ist ein Bestandteil des Fahrplans.

    Lange: Wäre also die These vielleicht gar nicht so zynisch, dass Scharon diese Entwicklung gar nicht so ungelegen kommt, denn er kommt ja wieder drum herum, diese entscheidenden Zukunftsfragen zu beantworten, die, wenn es nach der Roadmap geht, seine Regierung zerreißen würden?

    Primor: So weit würde ich nicht gehen. Scharon hat doch die Sorge, so wie alle Israelis sie haben, Terror zu bekämpfen oder uns gegen Terror zu verteidigen. Man darf ja nicht vergessen, was Terror für uns bedeutet. Terroranschläge in den Städten, in Bussen, in Kaffeehäusern, auf der Straße, die die Zivilbevölkerung betreffen. Selbstmordattentäter, die überall auftauchen können. Das ist ein Schrecken für die Bevölkerung, das ist ein Alltagsproblem. Das ist die erste Sorge der israelischen Bevölkerung und nicht der Fahrplan und alle anderen Sachen. Zunächst einmal will man Sicherheit haben. Sicherheit ist die erste Sorge der israelischen Bevölkerung. Um Terror zu bekämpfen, muss er alles unternehmen. Er kann sich keine Gedanken machen, ob sein Kampf für seine politischen Pläne günstig ist oder nicht günstig ist. Die Sorge um Sicherheit ist viel zu dringend.

    Lange: Die Ankündigung von Scharon, jetzt die ganze Führung der Hamas zu liquidieren, ist das nicht im Grunde ein Verzweiflungsakt, der letzten Endes wieder eine Einladung zu neuem Terror bedeutet?

    Primor: Die Frage ist, ob man die terroristischen Organisationen tatsächlich zerschlagen kann. Wenn man sie zerschlagen kann, wenn man deren Infrastruktur zerstören kann, hat das natürlich eine positive Bedeutung, weil man mit Terror natürlich keine Fortschritte erzielen wird. Man kann auch mit den palästinensischen Behörden nicht verhandeln, solange wir unter Terror leben. Da die palästinensischen Behörden nichts dagegen unternehmen können, muss das die israelische Regierung tun, weil sie ja auch die eigene Bevölkerung unterstützen muss. Die Frage ist, inwiefern so ein Kampf gegen die terroristischen Organisationen wirksam sein kann. Kann man sie zerschlagen oder nicht? Die Antwort darauf kenne ich nicht.

    Lange: Es soll ein neuer Mann an die Spitze der palästinensischen Regierung, Ahmed Kurei. Was halten Sie von ihm?

    Primor: Er ist ein alter Bekannter von uns. Er ist ein gemäßigter Politiker, der an allen Verhandlungen beteiligt war. Er war schon in Oslo 1993 sehr wirksam und hat hinterher noch immer persönlichen Kontakt mit den Israelis aufrechterhalten. Besonders mit Schimon Peres. Er hat auch einmal mit Schimon Peres einen sehr weitgehenden Plan entworfen. Leider hat weder Arafat noch die israelische Regierung den Plan akzeptiert. Einen guten Willen hat er. Ich glaube, er ist ein wohlwollender Politiker, der wirklich Frieden haben will. Die Frage ist, wie viel Macht er haben wird.

    Lange: Vielen Dank. Avi Primor war das, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland.

    Link: Interview als RealAudio