Strukturell pornographisch ist das Skelett auf dem Röntgenbild in der Erzählung »Ersatz-Befriedigung«, strukturell pornographisch wirkt die ganze versammelte Literatur A.L. Kennedys im vorliegenden Sammelbändchen. Selten sieht man mehr als das nackte, weiße Knochengerüst, doch man ahnt, was sich jenseits des Sichtbaren abspielt. Nichts romantisch Verklärtes, eher ein Abgrund an weiblicher Unterwerfungsbereitschaft und zurückgenommenem Lebensgestaltungswillen. Die noch kindliche Prostituierte in »Freitag, Zahltag« ergibt sich einer grausamen Biographie sexueller Ausbeutung, die namenlose Protagonistin in »Fallen verlernen« koppelt ihr Gefühlsleben ans Schrillen eines Telefons, das ihr unverzügliche sexuelle Dienstbarkeit abverlangt. Der Versuch, den Spieß einmal umzudrehen und den Liebhaber seinerseits zum Sex herbeizuordern, wird mit dem Verlust desselben bestraft – das Spiel funktioniert nur von männlicher Dominanz zu weiblicher Unterwerfung.
Schriebe ein männlicher Autor solche Geschichten, gälte er als höchst reaktionär. Wie ihre um eine Generation ältere amerikanische Kollegin Joyce Carol Oates schont Alison Louise Kennedy ihre weiblichen Figuren nicht. Ihr Frauenbild ist – zumindest aus der Warte der Emanzipation betrachtet – tiefschwarz und bar jeder Hoffnung; als gäbe es einen geheimen Schalter, den die Männer nur umzulegen bräuchten, um eine willfährige Sklavin zu erhalten. Durchzogen von einer masochistischen Grundkomponente, scheint Liebeserleben – von Glück kann gar keine Rede sein – nur um den Preis der Selbstaufopferung möglich. Dem Abgrund aber wohnt ein böser Zauber inne, dem sich niemand entziehen kann, und das macht die Faszination der Lektüre aus. Eine Belletristik freilich, die der männlichen Minderheit an Lesern womöglich besser gefällt als der weiblichen Mehrheit.