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Hate Poetry
Journalisten lesen Hassbriefe vor

Viele Journalisten mit Migrationshintergrund werden von Lesern in E-Mails und Briefen beleidigt, beschimpft, ja, sogar bedroht. Wie geht man damit am besten um? Die Kollegen geben darauf eine sehr persönliche Antwort. Sie lesen diese Leserzuschriften öffentlich einem Publikum vor.

Von Kemal Hür |
    Eine Ausgabe der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Regal eines Zeitschriftenhändlers in Frankfurt/Main
    Die Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen, die Journalisten von ihren Lesern erhalten, haben mit dem Internet ein neues Maß erreicht. (dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst)
    In Begleitung von Live-Musik treten acht Journalistinnen und Journalisten auf die Bühne. Sie setzen sich an einen langen schwarz bedeckten Tisch. Darauf stehen Wein-, Sekt- und Wasserflaschen. Sie beginnen aus Briefen und E-Mails vorzulesen, die sie von ihren Lesern zugeschickt bekamen. Oft sind es nur wenige, aber deutliche Worte. Sie nennen diese Zuschriften "kurz und schmerzlos":
    "Diese glubschäugige, neue deutsche, habgierige Giftspritze. / Türkenfotze, Kurdenfotze, anatolische Nachgeburt. / Deutschsein beginnt mit dem Namen. Jemand, der Hasnain Kazim heißt, kann niemals Deutscher sein. / Zeit für mein Lieblingsschimpfwort: Du, Fotzer!
    Die Journalisten schreiben unter anderem für den Spiegel, den Tagesspiegel oder die Frankfurter Rundschau. Alle verstehen sich als Deutsche; ihre Namen klingen nicht typisch deutsch. Die Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen, die sie von ihren Lesern erhalten, gelten allerdings ihrer vermeintlichen Herkunft. Ein Leser beispielsweise will Mohamed Amjahid in die Türkei abschieben, weil er den Tagespiegel-Redakteur für einen Türken hält. Amjahids Eltern stammen aber aus Marokko. Ein anderer Leser sieht in dem Terrorismus-Experten der Zeiteinen Islamisten. Yassin Musharbash ist aber kein Muslim.
    "Lieber Herr Hurensohn, das Wort Islamophobie ist eine Wortkreation von Islamfaschisten wie Sie, damit die Islamisierung ungehindert fortschreiten kann. Aber die Bürger dieses Landes werden noch aufwachen, und dann werden wir ja sehen."
    Andere Leserbriefschreiber rufen offen zu Gewalt auf, wie in einer E-Mail an Deniz Yücel, den Redakteur und Kolumnisten der taz.
    "NSU, NSU, blablabla... Und wo ist die NSU, wenn man sie braucht? Nette Döner-Verkäufer abknallen, aber Deniz Yücel stehen lassen. Was soll das denn? So überzeugt ihr mich nicht."
    Sexistischer und rassistischer Inhalt
    Özlem Topçu schreibt für Die Zeit. Sie bekommt oft lange, handgeschriebene Hass-Briefe; in denen die Absender kein Problem damit haben, ihre Namen und ihre vollständigen Adressen offenzulegen. Andere schicken kurze E-Mails mit sexistischem und rassistischem Inhalt; manchmal allerdings auch mit Drohungen.
    "Der Tag der Abrechnung wird eine lange Nacht der langen Messer auch für euch Türken. Nichts wird vergessen. Pardon wird nicht gewährt. P.S. Ach ja, geht nach Hause, Kanaken. Geht nach Anatolien zurück und bleibt dort. Ihr habt auf deutscher Erde nichts zu suchen."
    Amüsant sind solche Hasstiraden nicht. Auch nicht für die Journalisten. Trotzdem tragen sie diese Zeilen bewusst auf offener Bühne vor, um dann darüber zu lachen. Und das Publikum lacht mit. Öffentlich ausgelacht und geächtet zu werden, für so manchen Leserbrief-Schreiber gibt es keine größere Schmach: Denn sie werden öffentlich als rassistisch entlarvt. Und mehr noch: Die Journalisten machen sich über sie lustig: Beschimpft der Leserbrief-Schreiber sie als Ausländer, ziehen sie sich auf der Bühne lange Gewänder an; beschimpft er sie als Islamisten, kleben sich die Journalisten Salafisten-Bärte an. Fünf Stunden dauert das Programm der Hate Poetry –, bei dem die Redakteure gegenseitig auch die vorgelesenen Texte kommentieren. Ansonsten könnte man über die folgenden Zeilen nicht lachen, die an Hasnain Kazim gingen, den Türkei-Korrespondenten des Spiegel:
    "Du, Arschloch. Wir Deutschen sollten mit euch Muslimen das Werk fortsetzen, was wir mit den Juden begonnen haben – mit dir zuerst. Ich freue mich, dir mal zu begegnen, wenn du als Rauch aus dem Schornstein steigst. (Kommentar Musharbash): Die sind schon so ein bisschen hart drauf. Sie können auch gerne zugeben, wenn sie den geschrieben haben.
    Lachen befreit
    Das Lachen befreit. Und es hilft den Journalisten dabei, mit dem Hass umzugehen, der ihnen in den Leserbriefen entgegenschlägt. Die Zuschauer solidarisieren sich.
    "Es ist halt befreiendes Lachen über schreckliche Dinge. / Ich finde es sehr amüsant, dass sie mit Humor an das Thema rangehen. / Ich finde solche Veranstaltungen gut, wo einem mal realistisch gezeigt wird: Ja, solche Dinge passieren, und irgendwie müssen wir damit umgehen. Also, was machen wir am besten? Na ja, dann lachen wir darüber."
    Seit drei Jahren gibt es Hate Poetry
    Die Hate Poetry gibt es genau seit drei Jahren. Von Beginn an moderiert die taz-Redakteurin Doris Akrap die Veranstaltung. Sie war überrascht, dass das Publikum egal ob in München oder in Leipzig den Humor sofort verstand und mitgelacht hat, erzählt sie. Doch so war es nicht überall, sagt sie.
    "In den Städten Köln, Düsseldorf, Bochum - da war das erstaunlicherweise öfter so, dass es eine Weile gedauert hat, bis die Leute sich getraut haben zu lachen; vielleicht weil der Karneval eh da ist und man sowieso immer lacht. Jetzt möchte man was Ernstes hören, weiß ich nicht. Aber es ist eine Erfahrung auf jeden Fall."
    Nach bundesweit etwa 30 Auftritten ist aber noch lange nicht Schluss. Das öffentliche Lachen geht weiter, versprechen die Journalistinnen und Journalisten. Es geht weiter - solange es die Hassbriefe gibt.